Das leere Meer

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Deutschland, 21. Februar 2050

"Aufwachen! Leute, wacht auf." Von Zed geweckt zu werden, war fast so schön wie von meinem nervigen Wecker.
"Ist ja gut.", grummelte Ginger. Ich drehte mich und wand mich so aus Gingers Armen. Er hatte sein keckes Lächeln auf den Lippen und ich verdrehte die Augen. Als ich mich aufrichtete, rieselte schwarzer Sand aus meinen Haaren. "Das ist echt nervig. Wir sind raus aus dieser Sandwüste, aber das Zeug werden wir einfach nicht los."
Mein Rücken schmerzte von dem harten Boden.
Ginger richtete sich neben mir auf und verzog das Gesicht. An ihm schien der harte Boden auch nicht spurlos vorbei gegangen zu sein. Seine Haare standen in alle Richtungen ab und waren am Hinterkopf plattgedrückt. Er fuhr sich mit den Fingern hindurch und lockerte sie auf.
"Was frühstücken wir?", fragte er und angelte nach einer Tasche, die neben unserem Felsbrocken lagerte. "Wir haben diese tollen Brötchen."
"Ja, mach sie auf."
Ginger holte drei Vakuum verpackte braune Schrumpel-Teile aus der Tasche und riss das Plastik auf. Er warf sie auf einen Plastikteller und goss aus einer Flasche Wasser darüber. "Fertig in fünf Minuten."
Ich hoffte wir würden nicht ewig von diesem Zeug leben müssen. Während wir auf unsere "Brötchen" warteten, packten wir unsere Decken zusammen. Ich schüttelte meine aus und stöhnte, als noch mehr Sand heraus rieselte. Das war wirklich nervig.
Zusammengefaltet passte eine Decke in meinen Rucksack, die andere band ich daran fest.
Zed stand ein paar Meter entfernt und sah in die Ferne. Was suchte er dort?
"Zed!" Er drehte sich um und nickte kurz. Nach einem letzten Blick in die Ferne kam er wieder zu uns. Ginger streckte ihm den Teller entgegen und er angelte sich eines der Brötchen. Ja, das Schrumpel-Ding hatte sich zu einem Brötchen aufgeblasen.
Ich nahm mein eigenes und riss ein Stück davon ab. Ich wusste nicht warum jemand so etwas erfand. Es schmeckte nach garnichts, war außen schleimig und innen trocken. Bestand eigentlich nur aus Luft und war mit allen möglichen Zusatzstoffen versetzt, damit es halbswegs nahrreich war. Aber jetzt gerade kam es uns zu Gute. Vielleicht hatte der Erfinder ja gewusst, dass wir uns mit einer Apokalypse würden herumschlagen mussten?
Nach unserem mehr als kläglichen Mahl, packten wir unsere restlichen Sachen ein und machten uns auf den Weg. Wir brauchten nicht einmal Meyro als Wegangabe, weil Zed in der Ferne etwas Spannendes entdeckt hatten.
Sah aus wie eine Stadt oder ein Dorf, eine Ortschaft auf jeden Fall. Und in die Richtung sah die Erde weniger verbrannt aus. Tatsächlich fanden wir mit jedem Schritt weniger Ruß auf dem Boden, die monumentalen Risse wurden kleiner und schließlich tauchten die ersten Bäume auf, zwischen denen kein Feuer gewütet hatte.
Ich seufzte erleichtert. Die Möglichkeit hier eine andere lebende Seele zu treffen, war um einiges größer als in Berlin. Mit Schaudern dachte ich an die Stadt zurück. Das Gravar hatte dort all diese millionen Menschen getötet, nur in der Hoffnung, es möge mich treffen. Ich hatte das Gefühl, dass mir der Tod, seit das alles hier begonnen hatte, auf Schritt und Tritt folgte. Wie es schien brachte ich jeden, der sich auch noch Kilometer von mir entfernt aufhielt, in Gefahr. War es egoistisch von mir, dass ich bei Zed und Ginger blieb? Weil ich nicht alleine sein wollte. Aber hatten wir zusammen nicht eine größere Chance, das hier zu beenden? Nur: Hatten wir überhaupt eine Chance?
Als wir die Ortschaft schon klar vor uns sehen konnten, trafen wir auf eine Straße. Das schwarze Asphaltband schlängelte sich durch die Landschaft, seine Oberfläche war nur hier und da von Rissen verziert, die genauso gut auch noch vom Beben stammen konnten.
"Gott sei dank.", stöhnte ich. Auf der glatten Oberfläche war es um einiges leichter fort zu kommen, als auf dem hügeligen, rissigen und von Hindernissen übersähten Erdboden.
Zed verdrehte die Augen. "So schlimm war das jetzt auch nicht!"
Ich schüttelte vehement den Kopf und ließ meine kastanienbraunen Haare fliegen. Am Ansatz zeigte sich bereits wieder das erste Blond. "Für dich vielleicht, mit deinen übernatürlich guten Konditionen, aber für jeden normalen armen Menschen war das eine Totur, nicht wahr Ginger?"
Ginger grinste unschuldig. "War doch ganz locker."
"Klasse. Ich bin mit den einzigen Menschen in dieser Hemisphäre unterwegs, die das hier 'locker' finden." Meine Begeisterung war sicher kaum zu überhören. Ginger lachte.
"Meine Füße sind jedenfalls so gut wie tot.", lammentierte ich noch ein bisschen weiter.
"Ach, soll ich Prinzesschen ein bisschen rumtragen?", feixte Ginger und ich streckte ihm die Zunge raus.
"Haha. Sehr witzig."
Das Grinsen in seinem Gesicht war so furchtbar verschlagen... Was hatte er vor?
Mit einem Satz war er bei mir und hob mich an den Unterschenkeln hoch. Ich kreischte auf als ich den Boden unter den Füßen und mein Gleichgewicht verlor und das Gewicht meines Rucksacks mich nach hinten zog. Um nicht weg zu kippen schlang ich meine Arme um seinen Hals und meine Beine um seine Hüfte. "Mist, Ginger, was soll das?!"
"Na, ich trage dich.", erwiderte er ganz die Unschuld in Person.
"Ich wär wohl eher fast auf dem Boden gelandet." Ich löste einen Arm von ihm und zeigte ihm damit einen Vogel. "Und du hast was vergessen."
"Ach und was?"
"Ich bin kein Prinzesschen. Aber falls du eins findest, sag mir Bescheid." Mit diesen Worten wand ich mich aus seinem Griff und atmete erleichtert durch, als ich wieder auf festem Boden stand. Dali kam mir in den Sinn und wie sie Witze über mich und Ginger gemacht hatte. Solche Witze. Aber es gab kein Ginger und ich. Aber wenn ich ihm so nah war, war ich mir da leider nicht mehr so sicher. Besser schmerzende Füße, als weiche Knie. Und sein Blick verwandelte meine Knie in Wackelpudding.
Nein, halt stopp. Hier gab es gerade wichtigere Dinge, über die ich nachdenken konnte. Das Ende der Welt zum Beispiel. Ja, das wäre ein gutes Thema.
Wir erreichten die Stadt und es war ein trostloser Anblick.
Die Zeichen von Feuer waren deutlich zu sehen. Ich konnte mir vorstellen, wie leicht es in den Städten ausgebrochen sein musste. Überall gab es Glas, schon von der kleinsten Flasche, das nur einen starken Sonnenstrahl brauchte, um eine Flamme zu entzünden.
Und kein Löschwasser da um sie wieder zu ersticken.
Nebeneinander suchten wir uns unseren Weg durch die Straßen. Über allem lag diese Stille, als würden alle den Atem anhalten. Aber auch bei ihrem nächsten Atemzug würde es hier noch genauso schrecklich aussehen. Hier war mehr passiert, als nur ein Erdbeben und eine Hitzewelle. Aber was?
Ich schlug Zed leicht gegen die Schulter, als ich das Gesicht einer Frau in einem Fenster auftauchen sah. Völlig verdreckt und die Haare zu allen Seiten abstehend, war das doch nicht das Schlimmste. Sondern ihr Blick. Voller Misstrauen. Lauernd.
Wir begegneten diesem Blick immer wieder. Menschen, die beim Geräusch unserer Schritte aus Fenstern lugte. Menschen, die auf der Straße herumschlichen und verschwanden, sobald sie uns sahen.
"Was ist hier passiert.", murmelte Zed, eher zu sich als zu uns. Aber Ginger antwortete ihm.
"Das was immer passiert, wenn den Menschen eine Katastrophe widerfährt und sie nicht mehr genug zum Überleben haben. Entweder werden sie stark als Einheit, oder", er umfasste die Gegend mit einer Handbewegung. "sie entzweien sich, werden misstrauisch und kämpfen um alles."
In dem Moment, als es wirklich schwierig wurde, hatte die Gesellschaft versagt. Alle schönen Worte über Zusammenhalt waren nur noch das: Schöne Worte. Aber von Worten allein konnte man nicht leben. Es hatte Jahrtausende gebraucht, damit aus kleinen kämpferischen Clans eine große Einheit wurde. Aber für den Schritt zurück hatten zwei Katastrophen gereicht. Fast zwei Monate. Mehr nicht.
"Hilfe werden wir hier sicher nicht bekommen."
"Hilfe brauchen diese Menschen selbst.", antwortete ich betroffen. Darauf gab es nichts zu antworten. Schweigend setzten wir unseren Weg fort.
Schließlich stellte ich die Frage, die mich schon die ganze Zeit umtrieb. "Wohin sollen wir als nächstes?"
Keiner der beiden hatte eine Idee. "Lasst uns als erstes sehen, dass wir an neues Wasser kommen. Und dabei sollten wir uns aus allem raushalten, keinen Ärger suchen. Was Richtiges zum Essen wäre auch nicht schlecht. Dann sehen wir weiter." Zeds Vorschlag klang vernünftig, also nickten wir.
Das stellte sich aber als Problem heraus. Auf Läden konnten wir nicht zählen. Die waren schon wie leergefegt, keine Wasserflasche war übrig geblieben. Warum auch? Die Menschen hier saßen bestimmt nicht herum und verdurstete, solange die unbewachten Regalreihen noch voller Wasserflaschen waren. Ein paar klägliche Konserven fanden wir, die unter ein Regal gerollt waren. Die Gemüsetheke war von einem grauen Pilz überfallen, der einem die Galle in den Mund trieb.
Ich unterdrückte einen Würgereitz und suchte so schnell ich konnte das Weite.
Auch im Kühlregal fand ich noch einige Sachen vor. Aber nachdem der Strom ausgefallen war, waren aus den gefrorenen Fertigpizzen schleimige Scheiben geworden und anschließend hatten sie sich in Brutstätten für Fliegen und Schimmel verwandelt.
Ich wedelte energisch mit einer Hand in der Luft herum und versuchte die nervigen schwazen Summer zu vertreiben. Dieses Ungeziefer überlebte, wie es aussah, einfach alles.
Aber dieser Zustand war natürlich auch überaus optimal für die Fliegen. Jede Menge vergammeltes Zeug, aber was wichtiger war:  Niemand kümmerte sich mehr so groß um die Leichen. Ich hatte auf der Straße schon zwei gesehen. Wenn die Leute Glück hatten, hatten sie Verwandte, die ihnen ein Loch buddelten und sie eilig beerdigten, aber um viele kümmerte sich keiner. Und warum für einen Fremden Zeit und Energie aufwenden?
Ich hatte schon viele Weltuntergangsfilme gesehen oder Bücher über das Thema gelesen. Aber irgendwie übersprang man dort immer das Thema um deine täglichen Bedürfnisse. Und damit meine ich nicht das Essen, sondern, na ja, das was danach kommt. Ich versuchte es ja so blumig wie möglich auszudrücken, aber der Gestank, der in manchen Gassen herrschte, war einfach nicht blumig!
Um die Menschheit auszurotten, hätte wahrscheinlich schon ein totaler Stromausfall genügt. Der Mensch konnte ohne Strom doch nicht mehr. Keine Maschienen, die noch funktionierten. Also kein Auto mehr, aber auch keine Landwirtschaftgeräte. Wie also Lebensmittel herstellen? Der Einkauf wäre zum Problem geworden und dann wären irgendwann sowieso die Produkte ausgegangen, weil es ohne Auto keine Anlieferung mehr gäbe.
Das Gravar machte sich in meinen Augen viel zu viel Aufwand. Ein einfacher EMP hätte vollkommen genügt.
Dafür, dass die so mächtig waren, waren sie wohl doch nicht mit so viel Grips beschenkt. Oder Flexibilität. Ihren Weltuntergangs-Plan hatten sie in einer Zeit aufgestellt, in der es unsere moderne Welt nicht gab. Ja, wären wir nicht auf unseren Strom angewiesen, dann wären diese Katastrophen vielleicht tatsächlich nötig. Aber Umdenken war anscheinender nicht so deren Sache.
Um zu unserer Erkundungstour zurück zu kommen: Unsere Ausbeute belief sich auf drei Konserven, die immerhin besser waren als unser Aufblas-Essen, eine Flasche Fanta, die Ginger hinter einem Regal gefunden hatte und jede Menge Batterien. Zed wollte versuchen wieder eine Verbindung mit seinem Laptop zu bekommen und wurde dabei sehr kreativ.
Seine Begeisterung stürzte erst in sich zusammen, als ich ihn darauf hinwieß, dass (auch wenn er Strom hätte) er keine Verbindung übers Internet würde herstellen können.
Aber Zed wäre nicht Zed, wenn er keine halsbrecherische Lösung parat hätte.
"Ich brauch kein Internet. Ich kann das einfach über einen Satelliten machen. Ich brauche nur ein Kabel und einen Supersatelliten, der bis ins All reicht, dann stell ich die Verbindung her."
"Wäre es nicht einfacher einfach hinzufahren?", fragte Ginger sarkastisch, aber Zed warf ihm nur einen kurzen (dezent herablassenden) Blick zu. "Natürlich, wenn du zeigst, wie wir über Wasser laufen. Unser Hauptquartier ist nämlich in England."
"Und du musst unbedingt dort hin?"
Er nickte. "Dort laufen alle Informationen zusammen. Nirgendwo sonst."
"Also schön." Ich verstaute die Fanta in meinem Rucksack. "Wo finden wir den nächsten Supersatelliten?"
Zed war natürlich wie immer sehr sparsam mit seinen Informationen. Aber anscheinend stand uns eine Fahrt ans Meer bevor.
Wir wollten keine Zeit verlieren und sofort losfahren. Zed schloss ein paar akzeptabel aussehende Autos kurz, aber bei einigen war die Stromanzeige so weit unten, dass es sich einfach nicht lohnte damit loszufahren.
Endlich fanden wir eins, das noch voll getankt worden war und bei dem auch noch in allen vier Reifen Luft zu finden war.
Das Fenster an der Beifahrerseite war eingeschlagen und wir mussten die Scherben aus dem Auto fegen, ansonsten sah unser Gefährt gar nicht mal so schlecht aus. Weil ich schon erlebt hatte, wie "gut" Zed fahren konnte, scheuchte ich ihn vom Fahrersitz und ließ mich selbst hinter das Steuer fallen.
"Und warum muss ich jetzt hinten sitzen? Ich geb schließlich die Richtung an.", beschwerte sich Zed.
"Das kannst du von da aus auch.", gab Ginger nur zurück und rutschte mit dem Sitz so weit nach hinten wie es ging, um die Beine auszustrecken.
Wir hatten eins der wenigen Autos mit Schaltgetriebe erwischt, was mir ganz recht kam, denn das Auto meiner Mutter war ebenfalls so zu fahren gewesen. Ich legte den ersten Gang ein und manövrierte das Auto aus der Parklücke. Auf den Straßen hier fuhren wir nur mit Schrittgeschwindigkeit. Es lag so viel herum, das alles andere zu gefährlich gewesen wäre. Ich musste lauter Hindernissen ausweichen und einmal auch einem Hund, der mitten auf der straße saß, die Zähne fletschte und sich weigerte auch nur einen Schritt zu tun. Dabei musste ich ungewollt an Loeny denken, schob die Erinnerungen aber schnell beiseite.
Als wir die kleine Stadt hinter uns ließen, war das Fortkommen um einiges einfacher. Zed lotste mich anhand der Straßenschilder auf die Autobahn, die Richtung Norden führte.
Ich war noch nie auf einer so leeren Autobahn gefahren. Auf unserer ganzen Strecke begegneten wir zwei mal anderen fahrenden Autos und ein paar Mal fuhren wir an Lastwagen oder PKWs vorbei, die auf der Fahrbahn standen.
Kurz nach der Stadt Neuruppin trafen wir dann auf das erste wirklich unüberwindbare Hinderniss.
Es musste während dem Erdbeben passiert sein. Auf der linken Seite der Fahrbahn hatten sich ein paar Autos ineinander verkeilt. Ich bremste ab um an ihnen vorbeizufahren, als ich vor Schreck die Augen weit aufriss und eine Vollbremsung hinlegte.
Ginger biss sich dabei heftig auf die Lippe und fluchte ununterbrochen, während ich mich flüchtig bei ihm entschuldigte, meinen Gurt löste und ausstieg.
"Seht ihr das selbe, was ich sehen?", fragte ich und hoffte doch nur einer Fatamorgana zu begegnen.
"Ja.", bestätigte Zed leider meine Sichtung.
Auf der rechten Spur stand ein Lastwagen, besser gesagt, hing ein Lastwagen.
Die Vorderräder des Zugfahrzeugs hingen über die Kante eines monumentalen Risses, die hinteren berührten gerade noch den Asphalt. Der Anhänger war alles, was das Führerhaus am Absturz hinderte.
Warum hatte ihn niemand von dort weggezogen?
Ich schätzte mal, das wäre Verschwändung von Einsatzkräften gewesen.
Unser Problem war natürlich nicht der Lastwagen, aber der Spalt war definitiv ein Problem. Er war fast zwei Meter breit und als ich mich an seinen Rand stellte und nach unten sah, war alles was ich erkennen konnte, tiefe Schwärze. Der Riss reichte von einem Ende der sechs Spurigen Autobahn bis zum anderen. Ein Überwinden war unmöglich. Zumindest mit dem Auto.
"Wartet kurz." Zed deutete auf ein Auto auf der anderen Seite. "Ich schau nach, ob wir damit weiterfahren können."
Er ging vier Schritte von der Kante zurück, nahm Anlauf und flog mit einem riesen Satz auf die andere Seite. Als er kurz zurück sah, hob ich die Hand und streckte den Daumen in die Luft. Er verbeugte sich theatralisch.
Ginger war endlich auch ausgestiegen und spuckte ein bisschen Blut neben sich auf den Boden. "Versuch nächstes Mal bitte, nicht so hart zu bremsen.", brummte er.
"Ja, nächstes Mal fahr ich uns einfach in de Abgrund."
"Da war noch mehr als genug Platz für ein sanfteres Anhalten."
Ich verdrehte nur die Augen und hielt mich mit einer Antwort zurück. Stattdessen versuchte ich zu erkennen, wie weit Zed mit der Mission Neues-Auto voran kam.
Er steckte immer noch unter dem Lenkrad fest, wie es aussah. Im nächsten Moment sprang das Auto an und Zed tauchte wieder auf. "Wir können!"
Ich holte mit Ginger zusammen unsere Taschen aus unserem bisherigen Auto und wir warfen sie über den Spalt hinweg zu Zed, der sie in dem anderen Wagen verstaute. Als alle Taschen drüben waren, sprangen Ginger und ich Zed hinterher. Es war auch nicht viel schwerer, als von einem Hausdach auf das nächste zu springen.
Unser neues Auto war um einiges kleiner und rot. Die Farbe war schon mal nicht schlecht. Ginger und Zed, die beide größer waren als ich, hatten ein paar Probleme ihre Beine unterzubringen. Dieses Mal hatte sich Zed den Beifahrersitz gesichert und Ginger musste sich auf die Rückbank quetschen.
Ich fummelte eine Weile mit dem Schalthebel herum (das hier war ein Automatikwagen) und endlich konnten wir unseren Weg fortsetzten.
Es war besser selbst zu fahren, als nur im Auto zu sitzten. Ich musste mich voll und ganz auf die Straße konzentrieren und hatte keine Zeit, mir über etwas anderes Gedanken zu machen.
Ich beteiligte mich nur selten an Zeds und Gingers Gespräch und zwang mich meine Gedanken nicht wandern zu lassen.
Wir waren fast zwei Stunden gefahren, als Zed mir auf die Schulter tippte und auf ein Schild zeigte. "Nimm hier die Ausfahrt."
Ich bremste ab und fuhr durch die Schleife. Die Nebenstraßen, die wir jetzt nahme, waren um einiges schlechter zu befahren. Laut Zed wäre unser Weg nicht mehr länger als eine halbe Stunde gewesen, aber wir brauchten fast eine ganze Stunde.
Die graue Betonstraße wurde plötzlich von einem Zaun und eine Tor durchschnitten und ich bremste langsam ab, um davor halten zu können. Ein Schild war an dem Tor angebracht.
"Ein Militärstützpunkt?", fragte ich und drehte mich zu Zed. Er nickte nur und wieß dann aus dem Fenster.
Aus einem kleinen Häuschen war ein Mann in Uniform getreten und bedeutete mir das Fenster runter zu lassen. Ich tat wie geheißen und versuchte dann so wenig nervös wie möglich auszusehen.
"Irgendwelche Papieren dabei?", fragte der Uniformierte und ich schüttelte zögerlich den Kopf. "Waffen irgendeiner Art?" Mein Blick wanderte zu Zed, denn ich hatte keine Ahnung was er so alles in seinem Rucksack versteckt hatte, aber er lehnte sich nur ein Stück vor, damit der Mann ihn sehen konnte. "Nein, wir haben nur das Nötigste dabei."
Er klang wirklich ehrlich, aber wir redeten hier von Zed, daher...
Der Uniformierte nickte jedoch nur und deutete die Straße entlang. "Das Auto auf dem großen Platz abstellen und dann bei Hangar zwei melden. Ich melde Sie an." Sein Blick sagte sehr deutlich: Und denkt nicht mal daran wo anders hin zu wandern.
Ich nickte und lächelte liebenswert. Als er die Hand vom Türrahmen nahm, ließ ich das Fenster wieder hoch. Er gab einem Kollegen im Häuschen einen Wink und das Tor fuhr langsam auf. Ich startete den Wagen und fuhr wieder an.
"Und jetzt?", fragte ich Zed.
"Wir melden uns in Hangar zwei."
Ich zog die Brauen hoch und er zuckte nur mit den Schultern. "Wir sollten nicht jetzt schon Aufmerksamkeit auf uns ziehen."
"Ja, ein kurzgeschlossenes Auto und deine Tasche mit lauter komischem Zeug, zieht sicher keine Aufmerksamkeit auf sich." Meine Stimme triefte nur so vor Ironie.
"Das mit dem Wagen ist sicher kein Problem. Wir befinden uns schließlich in einer Ausnahmesituation. Aber mein Zeug sollten sie besser nicht finden..."
Er sah sich einen Moment suchend im Wageninneren um, dann streckte er die Hand in die Luft. "Ich hab eine Idee, halt an."
Verwirrt tat ich was er wollte und ließ nervös meinen Blick durch die Umgebung schweifen, als Zed ausstieg. Aber jede Sorge war unbegründet. Wir befanden uns noch immer mitten in der Pampa, weit und breit niemand zu sehen.
Zed holte den Rucksack mit seinen Gräten und dem Laptop aus dem Kofferraum und öffente dann die hintere Tür. Mit der Hand fuhr er an der unteren Verkleidung der Sitze entlang und holte dann ein Taschenmesser aus der Hosentasche. Er ließ es aufspringen und fuhr damit zwischen Verkleidung und Boden. Vorsichtig löste er das Kunststoffteil und schob dann den Rucksack in den Hohlraum dahinter. So unter dem Sitz verborgen, verschloss er das Versteck wieder mit der Verkleidung und ließ sein Messer in der Tasche verschwinden.
Kaum hatte er die Beifahrertür wieder hinter sich zugezogen, fuhr ich weiter.
Wir fanden den uns beschriebenen Platz schon recht schnell. Er war voll gestellt mit PKWs, mehr Uniformierte wustelten dazwischen herum und aus einem Bus stiegen gerade ein paar Zivilisten. Wie es aussah, nutzen sie den Militärstützpunkt als Art Auffangstation.
Ein Mann winkte uns zu einer Praklücke und gestikulierte uns auszusteigen.
Wir holten unser restliches Gepäck aus dem Kofferraum und folgten einem ausgeschriebenem Weg zu Hangar zwei. Als ich einen kurzen Blick zurück warf, sah ich, dass sich der Mann in Uniform in "unser" Auto beugte und es zu durchsuchen schien. Na hoffentlich fand er Zeds Tasche nicht.
Hangar zwei war wohl einst mit Flugzeugen oder was auch immer voll geparkt gewesen, doch nun waren in jede Ecke Feldbetten gequetscht. Eine laute schnatternde Menschenmenge hatte sich in der riesigen Halle versammelt. Das alles sah ich mit einem kleinen Blick durch die Türen, bevor wir uns in eine Schlange vor einem Tisch einreihen mussten.
Zed beugte sich dicht zu mir und wisperte in mein Ohr: "Keine echten Namen, okay? Nur zur Sicherheit." Ich nickte leicht.
Als wir an der Reihe waren, trat Zed als Erster vor.
"Name?", fragte der Mann auf dem Metallstuhl hinter dem Tisch. Er wirkte gestresst.
"Karl Becker." Der Mann nickte nur und kritzelte den Namen auf ein Blattpapier. Er besah sich Zed kritisch und fügte dann noch ein paar Sachen hinzu. Ich beugte mich leicht vor und erhaschte einen Blick auf das Blatt. Er hielt eine kurze Beschreibung von Zed fest. "Sie haben Nummer 304." Er reichte Zed ein kleines Stück Papier und wandte sich dann sofort an mich.
"Name?"
"Ähm... Melanie Zelter.", sagte ich langsam und versuchte das ganze nicht wie eine Frage klingen zu lassen. Es war der erste Name gewesen, der mir in den Sinn gekommen war. Melanie Zelter, eine alte Klassenkameradin von mir.
Der Mann nickte jedoch nur und fügte seinem Blatt wie zuvor eine Beschreibung hinzu. "Nummer 305." Er reichte mir mein Blatt über den Tisch und ich schnappte es mir schnell.
Bevor der Uniformierte Ginger nach seinem Namen fragen konnte, hatte der schon geantwortet. "Erik Maier." Dabei starrte er dem Mann intensiv in die Augen, ein leichtes Grinsen auf den Lippen. Der Mann war unfähig sich von den grauen Augen Gingers abzuwenden, räusperte sich mehrmals und fuhr sich unbehaglich über den Nacken, bevor er endlich den Namen notierte, die Beschreibung so flüchtig hinkritzelte, dass sie kaum gut sein konnte und den Zettel mit Gingers Nummer vor sich auf den Tisch warf.
"Danke.", sagte Ginger und hob den Zettel langsam auf.
"Da drüben bitte Gepäck zur Inspektion geben und Nummer nicht verlieren. Sie können sich frei in allen Bereichen bewegen, die nicht mit Zutritt-verboten markiert sind, nach Einbruch der Dunkelheit ist das Verlassen des Hangars nicht mehr gestattet." Der Mann sprach unglaublich schnell und sah Ginger dabei kein einziges Mal an.
Ich zog leicht eine Augenbraue hoch, folgte jedoch Zed zu dem nächsten Tisch.
Wir mussten unsere Rucksäcke auf einen Tisch stellen und zwei weitere Uniformierte durchsuchten sie. Sie konfiszierten zu meinem Bedauern all unsere Essens- und Wasservorräte mit der Erklärung, dass hier die Ausgabe streng geregelt sei, um Streitigkeiten zu verhindern. Jeder bekam gleich viel. Ich war froh, dass ich unsere Fanta schon im Auto vernichtet hatte. Das wäre doch zu blöd gewesen: Die letzte Fanta meines Lebens und sie sollte mir weggenommen werden?
Den Rest unseres Gepäcks fanden sie unbedänklich. Allerdings wollten sie uns noch durchsuchen. Wir mussten unsere Hosentaschen leeren (meine waren sowieso schon leer) und fuhren uns dann noch mit einem Detektor ab, der wohl Metall finden sollte, um zu verhindern, dass wir Waffen mit hinein brachten. Wo Zed bei der ganzen Sache sein Messer versteckte, war mir schleierhaft, aber sie fanden es nicht.
Mit unserem übrig gebliebenen Gepäck schoben wir uns in die Halle und durchsuchten die Bettreihen nach unseren. An jedem Bett war eine Nummer angebracht. Am anderen Ende an der Wand fanden wir schließlich die betreffenden Betten. Laut Zed war das ein guter Ausgangspunkt. Wir mussten uns nicht durch eine Menge schleichen, sondern konnten einfach an der rückwärtigen Wand zum hinteren Ausgang gehen.
Ich warf meine Tasche auf das Bett, Ginger schob sein näher an meins heran.
"Also dann, Melanie."
Ich grinste ihn an. "Erik."
Er legte den Kopf schief und zupfte an einem Faden meines Pullies. "So hieß ich wirklich mal, weißt du?"
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Wann?"
"Ist schon eine Weile her."
"Wie kann jemand in deinem Alter schon so viele verschienden Namen gehabt haben?", hakte ich nach. Ob Ginger irgendein Superschurke war, der zig Geheimidentitäten hatte, um untertauchen zu können?
"In meinem Alter..." Er lächelte wehmütig. "Ich hab Erik gemocht. Er war Pilot für Kleinflugzeuge. Touristenrundflüge und so."
Ich starrte ihn mit weit aufgterissenen Augen an. "Du kannst ein Flugzeug fliegen?"
Er nickte. "Ist gar nicht so schwer. Macht auch echt Spaß. Ist aber eine Weile her, dass ich das letzte mal geflogen bin."
"Cool." Wir schwiegen einen Moment. Irgendwann würde ich Gingers Geheimnis lüften.
Es war Zed, der unser Schweigen unterbarch. "Wir sollten uns hier ein bisschen umsehen."
Ich nickte zustimmend und zusammen schoben wir uns erneut durch die Menge. Wir fanden die Toiletten und Waschräume, vor einer Tür mit der Aufschrift 'Betreten Verboten' standen wir eine Weile herum, weil Zed unbedingt hineinsehen wollte. Schließlich konnten wir ihn weiterziehen und verließen den Hangar.
Wir schlenderten über den Platz dahinter und sahen uns nach allen Richtungen um. "Wo sind jetzt deine Satelliten?", fragte ich Zed.
"Wir finden sie schon."
Wir wollten weiter zum rückwertigen Gelände gehen, als wir aufgehalten wurden. Ein Soldat hob die Hand und schüttelte heftig den Kopf. "Dort können Sie nicht weiter gehen."
Zed lächelte nur und nickte. "Natürlich."
Der Soldat beobachtete uns, bis wir außer Sicht waren. Dann drehte Zed wieder scharf um und wir schlichen zurück.
Hier standen viele Fahrzeuge herum, hinter denen wir uns verstecken konnten. Leider waren hier auch viel mehr Soldaten unterwegs.
Aber Zed schaffte es uns hindurch zu lotsen, bis zum hinteren Zaun des Geländes. Ich hielt mich in den Maschen fest und bestaunte die Aussicht die sich uns bot.
Der Zaun endete vor eine Klippe und dahinter begann das Meer. Endlose Weite. Aber keine endlos blaue Weite, nein. Das Meer hatte sich zurückgezogen, hatte kilometerweiten Strand zurückgelassen. In einiger Entfernung konnte ich endlich Wasser entdecken.
Zed starrte jedoch nicht aufs Meer, sondern weiter nach links. Ich folgte seinem Blick und mein Mund fomrte ein 'o'.
"Da müssen wir hin?" Auf einer Felsnase, die nur über einen Zugang mit dem Festland verbunden war, erhoben sich mehrere riesige Satellitenschüsseln.
Das Ganze war doppelt eingezäunt, zwei Tore schnitten die Felszuge ab und davor wuselte es nur so von Soldaten.
Zed nickte. "Genau da müssen wir hin."
Das konnte ja heiter werden.
Wir standen noch eine Weile dort am Zaun, versuchten uns einen Weg zu überlegen und bewunderten ab und zu das Meer. Jetzt, wo sich die Sonne dem Horizont zu neigte, färbten sich Sand und Wasser rosa. Ein bezauberndes Schauspiel. Schließlich beschlossen wir, uns einen Weg zurück zu suchen.
Wir nahmen den schnellsten, spazierten einfach mitten hindurch.
Der erste Soldat, dem wir begegneten, rief uns zu sich und wollte wissen, was wir hier machten. Er sah wenig begeistert aus. Ich schob mich vor die anderen zwei und machte große Augen.
"Wir finden den Weg zurück nicht. Das ist alles so riesig hier!" Ein bisschen Wimpernklimpern und der Soldat war beruhigt. Er brachte uns zurück zu unserem Hangar und rang sich sogar ein Lächeln für mich ab.
"Wie durchtrieben du doch bist.", witzelte Ginger.
"Wer kann der kann." Ich lachte, aber Innen war mir bleischwer zu Mute.
Wir sollten wir nur an diese verdammten Satelliten ran kommen?

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