Deutschland, 23. Januar 2050
Ein stechender Schmerz. Tiefe Dunkelheit. Ein Rauschen in den Ohren. Das Gefühl nicht Atmen zu können.
Ich wollte schreien, aber mir fehlte jede Kraft. Es mussten mindestens zwei Lastwagen über mich gefahren sein. Und dann noch mal zurück, um sicher zu sein, dass mir auch wirklich alles weh tat.
Mein Mund war so trocken, meine Kehle lechzte nach Wasser.
Ich schlug die Augen auf, wollte etwas sehen, aber tiefe Dunkelheit umgab mich. Panik machte sich in mir breit. Was war passiert?
Wieso sah ich nichts? Was war los mit mir?!
Ich konnte nicht... Ich war nicht blind, oder?
Ein Wimmern entfloh mir.
"Kassie?" "Kassandra?"
Plötzlich flammte links von mir ein kleines Licht auf, im nächsten Moment war der ganze Raum erhellt. Ich war nicht blind! Das Licht war bloß ausgeschaltet gewesen!
Ich wollte weinen vor Erleichterung, aber es ging nicht. Mein Kopf schmerzte, so als hätte ich bereits Stunden lang geweint.
Ich wollte mir mit der Hand über das Gesicht fahren, aber mein Arm war so bleischwer, dass ich ihn kaum heben konnte.
"Kassie?" Ein besorgter Ginger schob sich in mein Blickfeld. Im nächsten Moment wurde er zur Seite gezogen und Zeds Kopf tauchte über mir auf.
"Kassandra, wie geht es dir?" Er strich mir vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht.
Ich wollte etwas sagen, aber mein Mund war zu trocken, meine Kehle zu kratzig. "Wa...wa...sser.", brachte ich schließlich hervor.
Zed wurde zurückgerissen und ein Becher tauchte über mir auf. Er schwankte so heftig hin und her, dass Wasser überschwappte und auf mein Bett platschte.
"Platz da, der Wassermann kommt!", scherzte Ginger. Und trotz meines Zustandes musste ich grinsen.
Langsam und mit Zeds Hilfe setzte ich mich auf und ließ mir dann von Ginger beim trinken helfen. Er zeigte mir einen pinken Plastikhalm. War das ein Strohalm?
Seine Augen blitzten begeistert. "Schau mal was ich gefunden habe! Ein Trinkröhrle aus Plastik! Das muss schon ewig hier rumliegen. Keine Sorge, ich hab es durchgespühlt. Kamen ein paar Spinnen raus, aber sonst alles easy."
Mit Hilfe des Plastikröhrchens trank ich ein paar Schlucke. Das reichte schon, um mir jede Kraft zu rauben. Zumindest konnte ich wieder sprechen.
"Was... was ist passiert?"
"Weißt du es nicht mehr?", fragte Zed. Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, was ich wissen sollte. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Watte gefüllt und ich konnte meine Gedanken nicht wirklich fassen.
"Wir haben dich in... in diesem Raum gefunden.", sagte Ginger langsam und senkte den Blick. Er sprach von dem Grab. Dem Massengrab. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken.
"Du hast auf dem Boden gelegen und... sahst ziemlich... tot aus." Ich sah hoch und meine Augen trafen auf seine Grauen. War das Angst, die ich in ihnen erkennen konnte?
"Was hast du da gemacht?", fragte Zed. Er schien sich viel schneller gefasst zu haben. Ich dachte angestrengt nach, aber jeder Gedanke entschlüpfte mir sofort wieder.
"Ich weiß nicht mehr.", gestand ich schließlich frustriert.
"Wir haben uns verdammt Sorgen gemacht! Du wolltest einfach nicht aufwachen und hast so gut wie gar nicht geatmet!" Gingers Stimme klang angesprannt und er fuhr sich durch das lange Haar.
"Wie lange war ich weg?", fragte ich.
Ginger schwieg, also wandte ich mich an an Zed. "Wie lange?", fragte ich alarmiert.
"Drei Tage."
Ich merkte wie ich weiß wurde und atmete erschrocken ein. "Drei Tage?"
"Ja. Und...", Zed brach ab.
"Was, was denn noch?"
Er deutete auf meinen linken Arm. "Es hat total verrückt gespielt."
Was meinte er damit? "Was meinst du damit?"
Dieses Mal war es Ginger der wieder antwortete. "Es war nicht nur auf deinem Arm... Kassie, es sah verdammt gefährlich aus! Diese... Linien waren überall auf dir. In deinem Gesicht... Deine Augen..."
Was war mit meinen Augen los gewesen?
"Sie waren schwarz. Einfach nur noch und komplett schwarz. Ich hatte schon lange keine solche Angst mehr." Die letzten Worte sagte er so leise, dass sie wohl nur für seine Ohren bestimmt waren, aber ich hatte sie dennoch gehört.
Ich konnte das alles nicht begreifen...
Mein Blick wanderte neben mein Bett und fiel auf ein kleines Schmuckstück, dass dort auf einem kleinen Schränkchen lag.
Wieder entfuhr mir ein Krächzen. Langsam griff ich danach, wie in Trance nahm ich es hoch.
"Du hattest es in der Hand, als wir dich gefunden haben.", erklärte Zed. "Du hast es so fest gehalten, dass der Verschluss dir in die Hand geschnitten hat.
Ich strich mit dem Finger über den Deckel des Medaillons und spürte Tränen in meine Augen steigen, als die Erinnerungen wiederkamen. "Diana...", murmelte ich leise.
"Wer?"
Ich ignorierte Zeds Frage, setzte mich auf und zog die Beine an meinen Körper. In der einen Hand hielt ich noch immer Dianas Kette und schlag die Arme um meine Beine. Der Schmerz in meiner Brust war kaum auszuhalten.
Ich erinnerte mich, in diesen Raum gegangen zu sein, um etwas herauszufinden. Was mit diesen Menschen passiert war. Und ich hatte es erfahren. Hatte mehr erfahren, als ich ertragen konnte.
Es hatte es mir gezeigt. Alles was passiert war. ich hatte es gesehen, hatte es praktisch miterlebt.
Starke Arme legten sich um mich und ich ließ meinen Schluchzern freien Lauf. Gingers Präsenz war in diesem Moment meine einzige Stütze.
"Ich ha...hasse dich. Wie konntet ihr sowas tun?!", presste ich zwischen meinem Schluchzen hindurch. Ich wusste, dass Zed und Ginger im Moment wohl völlig verwirrt und ratlos waren. Sie konnten ja nicht wissen, an wen ich meine Wortete richtete.
"Wieso? Sag mir nur, wieso, zum Teufel!"
'Sie waren zu nah dran, etwas zu entdecken, das uns gefährlich werden konnte.' Ich hatte kaum mit einer Antwort gerechnet.
"Verschwinde! Verschwinde aus mir, ich ertrage das nicht!" Ich wollte nichts damit zu tun haben, ich wünschte es so weit weg, wie es nur ging.
'Nein.'
Das war jetzt nicht sein beschissener Ernst?
"Geh raus aus mir!"
"Kassie?" Ich ignorierte Gingers zutiefst verstörte Stimme.
'Nein.'
Ich merkte wie ich wütend wurde. Wieso ließ es mich nicht in Ruhe?
Die Lampen an der Decke flackerten auf, eine explodierte und ließ Glassplitter regnen. Es war wie ein Flashback. Ich sah erneut die panisch zusammengerängten Menschen, die hofften ihrem Schicksal noch entgehen zu können.
'Beruhig dich!'
Das bist du, nicht ich!, dieses Mal war ich so schlau, in meinen Gedanken zu antworten, damit Zed und Ginger mich nicht für vollständig bekloppt hielten.
'Deine Gefühle beeinflussen mich. Du musst dich beruhigen. Ich werde nicht gehen.'
Ich atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, jetzt den Bunker in die Luft zu jagen. Zu meinem Leitwesen konnte ich nichts dagegen machen, um das Gravar aus meinem Körper zu vertreiben. Was hatte es noch gesagt, bevor es mir diese Erinnerungen gezeigt hatte? Ich solle es nicht hassen. Warum? Lag ihm wirklich etwas daran?
"Kassandra, sprich mit mir. Bitte." Ich konzentrierte mich wieder auf Zed und Ginger. Ich musste ihnen so einiges erklären. Nicht nur, weil sie eine Erklärung für mein Verhalten verdienten, sondern auch, weil es für uns alle enorm wichtig sein konnte.
"E.D. Loyana." Das war alles was ich sagte, den Blick fest auf Zed gerichtet, Gingers 'Was soll das heißen' ignorierend. Zed wurde weiß und zog die Augenbrauen hoch. "W-wie weißt du-?"
"Zed, dein Großvater, hieß der Harry?" Wenn das ging, dann wurde Zed in diesem Moment noch weißer. Er brachte vor Überraschung kein Wort heraus, aber sein Anblick gab mir jede Antwort die ich brauchte.
"Hat er dir je erzählt, woher dieser Name kommt? Wie eure Geheimorganisation entstand?"
Ich hatte Zed so von den Socken gehauen, dass er nur stammelnd Worte heraus brachte. Ich schätze, ich sollte mir eine Medaille verleihen. Es war ein Kunststück, Zed sprachlos zu machen.
"Er... Der Name kommt von unseren Gründern."
"Eloy und Diana...", warf ich ein, mein Blick fiel wieder auf das Medaillon. "Weißt du, was aus ihnen geworden ist?"
Zed schüttelte den Kopf. "Niemand weiß es... Wir sind eine Splittergruppe der eigentlichen Organisation, aber ich schätze, das weißt du auch?" Ich nickte und er fuhr vor. "Sie haben hier etwas erforscht, als die Organisation den den Bunker aufgab. Sie haben entgegen der Anweisungen weiter gemacht und sind abtrünnig geworden. Sie haben sich immer bei Harry gemeldet, andersrum war es zu gefährlich. Falls die Organisation im Bunker nachgesehen hätte... Es ging darum alle anderen aus E.D. Loyana zu schützen. Eines Tages haben sie sich nie wieder gemeldet. Haben den Bunker wahrscheinlich verlassen und-"
Ich unterbrach ihn, die Tränen wollten wieder losbrechne, aber ich ließ es nicht zu. "Nein! Sie haben den Bunker nie verlassen. Nie."
Zed sah mich an und langsam dämmerte Erkennen in seinen Augen. "Sie sind dort..."
"Ja." Meine Stimme klang erstickt, völlig karftlos. Ich musste daran denken, dass Diana an dem Tag gestorben war, als sie beschlossen hatte ihre eigene Zukunft zu bauen. Eine Familie zu gründen. Sie war so glücklich gewesen. Sie hatte dieses Glück nie bekommen.
"Das Gravar... Sie haben sie getötet, bevor sie mehr über den Endzeitplan herausfinden konnten. Dann wüssten wir jetzt vielleicht, wie wir das hier aufhalten sollten." Ich hatte natürlich auch ein paar wichtige Dinge in diesem... nennen wir es Traum, erfahren, aber was mich sauer stimmte, war, dass Zed diese Dinge alle schon gewusst hatte.
"Bist du mal auf die Idee gekommen, uns zu erzählen, was du weißt!?", fuhr ich ihn an und löste mich dabei aus Gingers Armen. Zed antwortete mir nicht, was noch frustrierender war.
"Schön! Egal! Ich werde sie begraben.", wechselte ich abrupt das Thema.
"Was?"
"Sie haben es verdient, ordentlich begraben zu werden." Stur sah ich ihn an.
Er seufzte und nickte. "Ja, aber weißt du wie warm es draußen inzwischen ist?"
"Hab ich dich gefragt mit raus zu kommen?", gab ich pampig zurück. "Helft ihr mir jetzt, oder nicht?"
Ginger sprang augenblicklich auf. "Ja! Weil du diesen Raum nie wieder betreten wirst, klar?" Ich war froh über seine Worte. Auch wenn ich Diana, Tina, Eloy, Tatjana, Lars, Ralph und all den anderen ein richtiges Grab schenken wollte, so war ich nicht schwarf darauf noch einmal diesen Raum zu betreten.
Es war keine schöne Angelegenheit die elf Leichen aus dem Bunker nach oben zu schaffen. Bevor ich die Leiter hinauf kletterte, sah ich auf das Thermometer. Dreiundsechsig Grad Celsius. Definitiv zu warm für einen normalen Menschen. Aber was an mir war denn schon normal?
"Brauchst du keine Schaufel?", fragte Zed verwirrt. Ich schoss ihm nur einen Blick zu, der ihn zum Schweigen brachte. Wer hätte je gedacht, dass Zed vor mir kuschte? Vor drei Wochen wäre ich vor Angst vor ihm am liebsten in den Boden gekrochen.
Da nur noch gelbe Knochen übrig geblieben waren, hatten Zed und Ginger sie in einen Sack gepackt. Der einzige Weg sie hier heraus zu bekommen. Dennoch war es falsch. So falsch. Sie hatten besseres verdient.
Kaum, dass ich die Luke öffnete, schlug mit die Hitze wie ein Faustschlag entgegen und ich hätte mich fast übergeben müssen. Von meiner kleinen Pass-out-session war ich noch recht wackelig, aber ich kämpfte mich ins Freie und zog den Sack hinauf.
Nach nur zwei Minuten war ich nassgeschwitzt bis auf die Haut, mein Kopf begann sich langsam zu drehen. Ich ignorierte alles, konzentrierte mich nur auf den Schmerz in meinem linken Arm.
"Du schuldest diesen Menschen etwas."
Ich wartete darauf, dass das Gravar etwas machen würde. Und ich musste nicht lange warten. Die Luft um mich herum begann zu flimmern. Natürlich flimmerte sie von der Hitze sowieso schon, aber dieses Flimmern war... anders.
Augenblicklich spürte ich die Hitze nicht mehr.
Dann begann das Gravar mich zu leiten. Ich kniete mich nieder, legte die Fingerspitzen auf die Erde vor mir. Sie war bereits rissig, die Blätter hatten sich zusammengrollt, waren zerbröselt zu Staub. Ich spürte wie die Engergie durch mich pulste und in den Boden über ging. Der vibierte erst sachte, dann stärker.
Als hätte ich einen gigantischen Maulwurf oder Regenwurm freigesetzt, grub sich die Energie durch den Boden vor mir. Wühlte das trockene Erdreich auf und schob es außeinander, bis sie ein großes breites Loch in rechteckiger Form geschaffen hatte.
Danach griff das Gravar über auf die sterblichen Überreste der elf Menschen, die ihr Leben an diesem Ort gelassen hatten. Sie hatten Mneschen inspiriert das Richtige zu tun und unsere Welt zu schützen.
Die Energie hob sie aus dem Sack und in ihr Grab. Als sie fertig war, stand ich auf und trat dicht an den Rand. Dort lagen sie, nebeneinander (jeder Knochen dort wo er hingehörte). Ihre Fingerknochen berührten sich sanft, so als würden sie selbst noch im Tod zueinander stehen.
Ich war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, aber in diesem Moment senkte ich den Kopf und faltete die Hände vor mir. Im Stillen wünschte ich ihnen, dass sie jetzt an einem anderen Ort waren. In Frieden und Ruhe.
Als ich einen Schritt von dem Grab zurücktrat, begann die Erde ihre Körper zu zudecken, um sie in ihrer letzten Ruhe für immer zu beschützen. Ich sah still dabei zu, und als das Gravar fertig war, zog ich Dianas Kette aus meiner Tasche. Das letzte Zeugnis, dass sie einst auf dieser Erde gewandelt war. Vor so vielen Jahren...
Es war als spräche sie in diesem Moment durch die Zeit zu mir. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, der Stress, die ständige Angst, aber ich wusste, dass sie wollte, dass ich alles tat um unsere Welt zu retten. Und still gab ich ihr das Versprechen, dass ich genau das tun würde.
Ginger und Zed empfingen mich unten am Boden des Schachts. Sie sahen mich beide forschend an und ich erwiderte einen Moment lang ihre Blicke.
"Du siehst fertig aus.", sagte Zed schließlich und ich warf ihm ein sarkastisches Lächeln zu. Wie kam er denn darauf? Ich hatte schließlich nicht gerade einen dreitägigen Dornröschenschlaf gehalten, in dem ich ganz zufällig sowas wie eine Reise in die Vergangenheit gemacht hatte. Und danach hatte ich ja nicht elf Menschen bei über sechszig Grad begraben.
Ich fühlte mich völlig kaputt.
Still griff ich nach Gingers Hand und er stützte mich auf dem Weg zurück in die Kantine.
Jetzt war dieser Ort noch viel unheimlicher. Wohin ich auch sah, sah ich die Geister von Diana und all den anderen. Dort hatten sie am Tisch gesessen, Lars in der Überwachungszentrale...
Ich schob die Gedanken weg, als Ginger mich auf einen Stuhl nötigte und ein Glas Wasser vor mich stellte. "Trink noch etwas. Ich besorg dir was zu essen." Mit seinen sturmgrauen Augen musterte er mich, bis ich zustimmend nickte. Oder eher erschlagen. Zum Widerstrechen hatte ich jetzt wirklich keine Kraft.
Zed drehte den Stuhl mir gegenüber um und setzte sich rittlings darauf. Mit dem Finger tippte er auf die Tischplatte, hatte den Blick gesenkt. Ich seufzte. "Frag schon."
Blitzartig sah er auf und ich verdrehte die Augen. "Du willst doch fragen, also tu dir keinen Zwang an."
"Schön. Wie hast du das alles gewusst? Was ist passiert? Und jetzt sag nicht, dass du es nicht weißt!"
"Das hatte ich gar nicht vor. Ich weiß nicht wie es passiert ist, aber ich weiß ziemlich genau was."
Abwartend sah er mich an. "Ich will jetzt nicht streiten, deswegen sage ich mal nicht, dass es dich nichts angeht, schließlich teilst du Infos auch nicht." Er schnalste ungeduldig, aber ich hob nur den Finger, um ihn davo abzuhalten etwas zu sagen.
"Ich sagte, ich streite mich nicht." Ich legte vorsichtig meinen linken Arm auf die Tischplatte. "Es hat es mir gezeigt, das Gravar. Sie haben sie damals getötet."
"Es hat es dir gezeigt? Wie? Wieso?"
"Ich sagte doch bereits, ich weiß nicht wie. Wieso? Weil ich es wissen wollte."
"Klingt, als hättet ihr ein nettes Pläuschchen gehalten." Zeds Stimme war scharf und ich war froh, dass in diesem Moment Ginger wieder auftauchte. Zed ähnelte gerade wieder dem Mann, als den ich ihn kennengelernt hatte. Dieser Ausdruck in seinen Augen...
Ich hatte nie so darauf geachtet, aber irgendwann waren seine Augen warm geworden, hatten die Eiseskälte hinter sich gelassen. Sie war nur aufgetaucht, als er mit Alex zu tun hatte oder manchmal, wenn er mit Ginger sprach. Aber er hatte sie mir gegenüber verloren. Und jetzt war sie wieder da.
Ginger stellte einen Teller sehr geräuschvoll vor mir ab und warf Zed einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, der ziemlich genau 'Halt's Maul' ausdrücken sollte.
Zed sah nicht sehr begeistert aus, aber zumindest ließ er mich in Ruhe mein Essen verschlingen. Oder na ja, den ekligen Pamps, den ich auf dem Teller hatte, hinunterwürgen. "Fertigessen.", entschuldigte sich Ginger.
Aber ich war so hungrig, dass ich mich nicht beschwerte und meinen Teller ratzekahl putzte.
Als ich aufstand, um ihn wegzuräumen, schwankte ich augenblicklich. Ich war ausgelaugt. Fühlte mich ausgesaugt, wie das Vakuumverpackte Essen. "Vorsicht.", Ginger packte meinen Arm im letzten Moment und zog mich auf meinen Stuhl zurück. "Ich mach das."
Kaum war er mit meinem Teller verschwunden, legte Zed wieder los. "Also, dann unterhälst du dich mit diesem Zeug?!"
"Verdammt, Zed, ja! Was willst du hören?"
"Vielleicht, dass du nicht mit unserem Feind auf du und du bist?"
"Scheiße! Ich hab mir das doch nicht ausgesucht! Wie soll ich etwas ignorieren, das in mir drin ist?! Huh? Sag mir das bitte mal!", ich hatte meine Stimme erhoben. Ginger kam in die Kantine geschlittert.
"Zed!", sagte er scharf, aber der wischte seinen Einwurf mit einer Handbewegung weg.
"Es ist gefährlich! Es tötet Menschen!"
"Ich weiß! Ich weiß das vielleicht sogar besser als du!" Ich konnte nicht still sitzen. Obwohl sich meine Füße wie Wackelpudding anfühlten, sprang ich auf.
"Es nimmt uns alles! Jeden Menschen den wir lieben!" Zed sprang seinerseits auf und warf dabei seinen Stuhl um. Er schlitterte durch den Raum und krachte gegen die Wand. "Du kannst dich damit nicht einfach unterhalten oder diese Kraft benutzen. Denn das ist es doch, was du machst!"
Ich biss die Zähne zusammen und traf dabei heftig meine Wange. "Ich muss mich damit arangieren, nicht du! Ich bin sein kleines Homo-Sapiens-Hotel!"
"Und wieso erzähst du nichts? Rede doch einfach, verdammt noch mal, mit mir!"
"Wieso? Wieso sollte ich dir vertrauen, du vertraust doch mir auch nicht! Leck mich, Zed, ich geh dir doch am Arsch vorbei."
Mit zwei schnellen Schritten war er bei mir. Ich wich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Seine Arme links und rechts von mir schnitten mir den Fluchtweg ab. "Sag sowas, nie-" Er brach ab, atmete schwer. Ich starrte ihn an. Tief drinnen wusste ich, dass Zed mir nichts tun würde, aber ja, in diesem Moment machte er mir wieder Angst. Der Moment, an dem er diesen zwei Männern das Genick gebrochen hatte zog in Sekundenschnelle an meinen Augen vorbei.
"Hey!", rief Ginger von irgendwo hinter Zed, aber er war nicht schnell genug bei uns. Das Gravar war schneller gewesen.
"Fuck!", Zed wich zurück, als er einen heftigen Schlag abbekam. "Siehst du? Siehst du, das mein ich!"
Ich starrte ihn wütend an. "Verflucht, Zed, er greift hier niemanden an. Er beschützt mich. Auf eine verdrehte Art, aber er hat mich schon in diesem Gebäude beschützt, als Gaver dabei war mir meine Finger zu brechen!", meine Stimme war schrill. "Und jetzt, jetzt beschützt er mich vor dir!"
In einem Moment fiel Zed in sich zusammen, Schmerz stand in seinem Blick. "Ich-" Er brach ab, sein Blick glitt über mich. "Es... Es tut mir Leid." Zed drehte sich um, zögerte noch einen Moment, als wollte er noch etwas sagen, verschwand dann aber Richtung Kontrollzentrum.
Ich sah ihm hinterher. Verwirrt. Ich war wirklich sehr verwirrt. Man konnte Zed einfach nicht durchschauen.
Meine Beine zitterten, aber ich winkte ungeduldig mit der Hand, als Ginger mir helfen wollte. "Ich bin nicht aus Zucker.", brummte ich, lächelte ihm aber zu um ihm zu zeigen, dass ich es nicht böse meinte. "Ich brauch jetzt einfach nur eine Dusche."
Ich schnappte mir ein paar frische Sachen und ein Handtuch und schleppte mich ins Badezimmer. Ich stand minutenlang unter dem prickelnden Strahl, ohne auch nur eine Hand zu rühren, um den Mief von drei Tage langem Ohnmächtigkeitsanfall abzuwaschen.
'Danke.' Es ist schon verrückt, wenn jemand in deinem Kopf zu dir spricht, aber immerhin war es in meinem Fall keine Persönlichkeitsstörung, sondern ein Alien. Nicht viel besser, aber ich war zumindest nicht auch noch geisteskrank.
"Wofür bedankst du dich?", meine Stimme war kaum mehr als ein Wispern.
'Das du es verstanden hast. Ich will dir nichts Böses, niemals jemandem wie dir... Und dafür, dass du... Du sagtest 'er', 'er beschützt mich'. Du hast mich als Individuum gewertet, als jemand.'
"Ich hab keine Ahnung was oder wer du wirklich bist, aber irgendwie muss ich dich ja werten, oder nicht?"
'Meyrokischovito' Großer Gott, ich hatte nur ein Zischen verstanden.
"Was?"
'Das ist mein Name. Meyrokischovito.'
"Kann sich ja kein Mensch merken. Meyro. Das ist ein aussprechlicher Name. So werde ich dich nennen."
'Meyro...'
"Und jetzt, lass mich bitte in Ruhe duschen."Als ich aus der Dusche zurück kam, fand ich nur Ginger vor, aber ich wusste, dass ich mit Zed reden musste. Sonst würden das noch ein paar unangenehme Tage werden. Ich fand ihn im Kontrollzentrum auf einem klapprigen Drehstuhl, den Kopf in die Hände gestützt. Ich klopfte vorsichtig gegen die Glasschiebetür. "Zed?"
Er sah auf. Seine Augen waren rot. Da er nichts sagte, nahm ich das als Aufforderung rein zu kommen und setzte mich auf einen Schreibtisch in seiner Nähe.
"Rede mit mir, bitte. Ich kann es dir ansehen. Diese Geschichte mit dem Gravar geht dir so nahme. Viel näher, als es dir gehen würde, wenn es nur ein Job wäre."
Ich glaubte schon fast, er würde sich weigern mit mir zu sprechen, als er dann endlich etwas sagte. Zwar zu seinen Händen und sehr dumpf, aber er sprach. "Du erinnerst mich an jemanden."
"An wen?"
Er fuhr sich fahrig übers Gesicht. "Meine Tochter."
Mit dem Mund formte ich ein 'o', brachte aber keinen Ton raus. Zed hatte eine Tochter?
"Sie... sie sah dir nicht wirklich ähnlich, aber sonst, war sie genau wie du."
Wieso sagte er 'war', warum sprach er in der Vergangenheitsform?
"Dickköpfig, hat immer ihren Willen durchgesetzt. Neugierig. Hatte einen Hang dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen."
Ich blieb still, hörte ihm einfach nur zu.
"Ich wurde in diese Arbeit hineingeboren. Harry, mein Großvater, hat, wie du weißt, Gravar erforscht und versucht es zu bekämpfen. Genauso wie mein Vater. Er hat mir alles beigebracht. Hat mir alles gezeigt. Nur hat das nicht gereicht, um meine eigene Familie zu beschützen... Es war wohl einfach ein Unfall, Pech, aber...
Ich hatte den Auftrag ein Artefakt zu stehlen, das von Gravar behaftet war. Ich habe es in einer Kiste bei mir Zuhause herumstehen lassen. Es war ja nur noch ein Steinbrocken." Er lachte trocken auf. "Britney hat es aus der Kiste geholt. Weil sie so neugierig war. So viele Forscher hatten es in der Hand gehabt, sogar ich selbst und nie ist etwas passiert. Nur gerade dann, wenn es meine vierzehn Jahre alte Tochter in den Händen hält.
Als ich ins Zimmer kam war ese schon zu spät. Ihre Hände, ihre Haut war grau, wie deine. Ihre Adern haben sich schwarz gefärbt... Ich wusste nicht, was passieren konnte. Wusste nicht, was ich machen sollte. Ich konnte nur dabei zusehen, wie sie starb. Als das... das Schwarz ihr Herz erreichte.
Ich habe sie nicht beschützen können. Ich hab mich danach in meine Arbeit gestürzt. Wollte nur noch herausfinden, wie ich das Gravar ein für alle mal zerstören konnte. Dabei habe ich übersehen, wie sehr meine Frau am Tod unserer Tochter zerbrochen ist. Ich ließ sie mit ihrem Schmerz allein."
Ich schloss die Augen. Ich wollte es nicht hören und doch wusste ich, dass Zed es sagen musste. Für sich selbst. "Sie hat sich erschossen. Mit einer meiner Waffen." Er sprach so schnell, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Ein Schluchzen entfuhr ihm.
"Ich hab beide verloren! Meine Schuld... Alles." Als ihm die erste Träne über das Gesicht lief, kniff ich die Augen zu, um meine eigenen Tränen zurück zu halten.
"Britney... Sie wäre jetzt so alt wie du. Als ich dich in diesem Wald stehen sah... Den selben Tod in dir lauern sah..." Er brach ab, schwieg einen Moment.
"Als es dich nicht getötet hat,", fuhr er fort. "war das wie eine zweite Chance. Eine Chance auf Wiedergutmachung. Ich sehe sie in dir, und vielleicht ist es falsch, dass ich dich deswegen beschützen möchte, Kassandra, aber ich-" Ein erneuter Schluchzer unterbrach ihn.
Zed, den großen starken Zed, so zerstört zu sehen, ließ meine Weltbild zusammenstürzen. Aber zugleich zeigte es mir, dass in jedem Menschen, egal wie kalt er ist, Untiefen lauern. Gefühle, die so stark sind, dass sie dir die Füße wegziehen, wenn du nicht aufpasst.
Ich rutschte von meinem Sitzplatz auf dem Schreibtisch und kniete mich vor Zed, nahm vorsichtig seine Hände in meine. Hielt sie einfach nur, als er leise weinte. Machmal braucht auch der stärkste Mann Trost.
"Ich habe dir nichts gesagt, um dich zu beschützen. Nicht, weil ich dir nicht vertrauen würde. Wenn ich meine Arbeit damals vor Britney fern gehalten hätte..."
Ich sagte nichts. Jedes Wort wäre in diesem Moment unpassend und hohl gewesen. Darum schwiegen wir beide einen Moment. Ich ließ ihn in seinen Erinnerungen an seine Familie und dachte selbst an meine.
Schließlich hatte Zed sich wieder ein Stück beruhigt und ich stand auf. Meine Beine taten vom Hocken weh. Ich legte meine Hand kurz auf seine Schulter. "Danke. Für dein Vertrauen. Für alles. Aber hier, Zed, sind wir ein Team. Bei dieser Sache müssen wir zusammenarbeiten."
Er nickte leicht und ich ließ ihn alleine zurück. Sicher brauchte er einen Moment um sich wieder ganz zu sammeln und sein Image wieder aufzubauen.
Ginger war immer noch in der Kantine, lehnte an einem Tisch und sah mit entgegen. Ich kniff einen Moment die Augen zusammen, um all die aufkeimenden Gefühle nieder zu drücken.
Er kam auf mich zu, als ich zu meinem Bett wankte. Ich ließ mich darauf fallen und zog ihn an seinem Shirt zu mir nach unten. "Halte mich." Nur einen Moment. Ich hatte das Gefühl in einen Strudel all dieser Emotionen zu fallen und zu ertrinken.
"Lass dich fallen, Kleines." Er nahm mich in den Arm und ich legte meinen Kopf an seiner Schulter am.
"Ich werde immer da sein um dich aufzufangen."
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2050 - Rule one
Science Fiction- Schwer atmend hielt ich in einer Querstraße zu seiner Wohung an und keuchte: "Da ist es." Zed beugte sich vor (kein Stück aus der Puste übrigens) und zog sogleich den Kopf wieder zurück. "Oh shit!" "Was?!" Ich sah jetzt meinerseits um die Ecke und...