Achtundzwanzig Tage

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Die nächsten Wochen vergingen und wir warteten jeden Tag auf das Ende des Zweiten Sturms. Uns blieb nichts, als in diesem Bunker zu sitzten und an die Zerstörung zu denken, die dort oben von Statten ging.

Am dreißigsten Januar merkten wir, dass immer weniger Wasser aus den Leitungen kam. Wir füllten jedes nur verfügbare Gefäß mit Wasser. Jede Wanne, jeden Eimer, jedes noch so kleine Glas.

Am vierten Februar verloren wir den Strom und waren somit von der Außenwelt abgeschnitten. Wir benutzten nur noch Taschenlampen, denn das Notstromagregat ließen wir nur für die Luftfilterung laufen. Nicht auszudenken, wenn das ausfallen würde. Dann hätten wir sehr schnell wie Fische auf dem Trockenen ausgesehen.

Am Tag darauf sahen wir wirklich wie Fische auf dem Trockenen aus, denn das war der Tag, an dem kein Wasser mehr lief. Aufs Klo gehen war wirklich keine spaßige Angelegenheit mehr. Waschen konnten wir uns nur selten, denn wir brauchten das Wasser, das wir noch hatten, zum Trinken und das meiste unseres Fertigessens musste mit Wasser zubereitet werden. Wir hatten eine Gaskochplatte, also war zumindest das kein Problem.

Da der Bunker praktisch hermethisch abgeriegelt war, wurde es immer kälter. Wir öffneten die Luke seit dem Tag nicht mehr, an dem ich die Elf begraben hatte. Doch am zehnten Februar war der Tag gekommen, als die Hitze draußen so groß war, dass sie durch die Erdschichten drang und unsere Innenräume auf eine erträgliche Temperatur heizte. Unser Thermometer funktionierte schon seit Tagen nicht mehr, dass hieß wir hatten keine Ahnung wie heiß es wirklich draußen war.

Von Meyro wusste ich, dass sich die Hitzewelle nicht überall gleichmäßig verteilte. Während es an manchen Orten so heiß wurde, dass das Wasser in den Flüssen praktisch kochte, blieb es wohl an anderen Orten so "kühl", dass es den Menschen dort möglich sein sollte zu überleben. Als ich ihn fragte, warum das so war, verhedderte er sich in unglaublich komplizierten Ausflüchten und ich gab es schließlich auf zu zuhören.
Der Schmerz in meinem Arm war mit jedem Tag stärker geworden. Meyro erklärte ganz sachlich, dass Gravar immer und zu jeder Zeit eine Verbindung zueinander hatte. So waren sie vielleicht in der Theorie Individuuen, aber in er Praxis unglaublich eng verknüpft. Darum spürte ich den Aufstieg des Sturmes körperlich. Immerhin war das eine seiner verständlichen Erklärungen.

Ab dem vierzehnten Februar ließen die Schmerzen in meinem Arm nach, der Sturm zog davon. Die Temperaturen sanken wieder.

Es war der zwanzigste Februar, als Meyro den Zweiten Sturm als beendet bekannte und die Temperaturen so weit gesunken sein mussten, dass wir unser Versteck verlassen konnten.
Das erste Mal, seit einem Monat öffneten wir die Luke...

Deutschland, 20. Februar 2050

Ich stieg als Letzte die Sprossen hinauf, Ginger beugte sich über den Rand und zog mich aus dem Schacht. Ich atmete tief die Luft ein und konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich.
Doch dann fiel mein Blick auf die Umgebung und der Schock ließ mich heftig einatmen.
Dieser Ort war einst eine Lichtung gewesen, umgeben von mächtigen Bäumen, die hunderte von Jahren alt gewesen waren.
Jetzt war es eine Wüstenei.
Aus der Landschaft ragten hier und da die allerletzten kläglichen Überreste von Baumstämmen auf; schwarz und verkohlt. Der Boden war durch die Hitze aufgebrochen und in einem heftigen Wind zu feinem Sand zerrieben worden. Ich sank fast mit dem ganzen Schuh darin ein.
Wo einst die Bäume den Blick auf die große Metropole Berlin verschleiert hatten, war eine weites flaches Land übrig geblieben. Hier in Norddeutschland gab es keine Hügel, das Land war genau wie mein Körper frustrierender Weise für die meiste Zeit meiner Pubertät gewesen war: Nämlich platt.
Vom Wind hochgewirbelter Sand machte es schwer etwas genaues zu erkennen, aber die Skelette der Stadt erhoben sich dort deutlich in den Himmel.
"Oh mein Gott.", hauchte ich. Zu mehr war ich nicht fähig.
Um das mit dem Sand richtig zu stellen: Es war kein schöner, goldener glänzender Wüstensand, kein Sand wie am Meer. Es war nur zerriebene braune Erde und die Asche der Vegetation. Da sicher nicht nur Bäume in dieser Hitze verbrannt waren, sondenr auch Tiere und Menschen, wollte ich kaum atmen.
Ich riss ein Stück meines Hemdes ab und wickelte es mir zum Schutz vor dem Sand um den Kopf, sodass es Mund und Nase überdeckte. Danach kniete ich mich auf den Boden und fuhr mit den Händen durch den Sand, grub um zu sehen, ob es unendlich so weiter ging. Ich hatte fast dreißig Zentimeter erdigen Sand herausgegraben, bis der Sand endete. Mit den Fingern kratzte ich über Stein. Oder etwas, das so hart war wie Stein.
Die Hitze hier war so groß gewesen, dass sie die Erde erst hart gebacken hatte und danach hatte es die oberste Schicht zerrieben. Durch den Druck, der sich aufgebaut hatte? Wind? Das 'Wie' war egal. Es war passiert. Es war nicht rückgängig zu machen.
Zed schlug die Luke zu und nickte dann Richtung Stadt. "Lasst uns nachsehen gehen."
Was wollten wir dort schon finden? Außer Zerstörung, natürlich. Dennoch stimmte ich Zed zu. Wir mussten irgendwo hin gehen, brauchten alle Bewegung. Also konnten wir auch nach Berlin pilgern.
Es wurde tatsächlich anstrengend wie eine Pilgerfahrt. Der Boden war kein fester Weg mehr, der Sand ließ uns bei jedem Schritt einsinken. Es war eine wahre Plackerei um es bis zu den Außenbezirken der Stadt zu schaffen. Und wofür? Um den Schock meines Lebens zu erleben. Ich hatte niemals gedacht, dass es möglich war eine Stadt in so kurzer Zeit aussehen zu lassen, als würde sie schon seit Jahrzehnten vor sich hin rotten.
Die Hitze hatte gereicht, um die Verkleidung vieler Häuser zu zerfressen. Den ohnehin sehr Zerstörungs unresistenten Fertigbauten, waren die Wände geplatzt, die Fenster gesprungen. Bei vielen Häusern waren nur noch die Metallstreben, die dem ganzen Stabilität gegeben hatten, geblieben.
Manche Häuser hatten besser überlebt. Durch eingebrochene Wände konnte man Innenräume sehen, die fast unverändert aussahen. Verbrannte Stoffe, geschmolzenes Plastik, aber ich erkannte noch, wo ihre Bewohner einst gelebt hatten.
Acht Millionen Einwohner hatte diese Stadt gehabt und es konnte wohl kaum eine Handvoll überlebt haben.
Ginger legte einen Arm um meine Schulter und so folgten wie Zed durch die Straßen. Den Asphalt hatte es nicht so heftig getroffen wie die nackte Muttererde. Er war von Rissen durchzogen, aber nicht völlig zerrieben.
Die Autos gaben wirkliche Jammerbilder von sich. Die Plastikbauteile waren geschmolzen, die Reifen explodiert, Fensterscheiben gesprungen.
Und es war still. So still. Überall.
"Hallo!", schrie ich in die Stille. Nicht einmal mein Echo kehrte zu uns zurück.
Still und tot...
"Wir können nicht in dieser Gegend bleiben.", stellte Ginger fest. Zed blieb stehen und drehte sich zu uns um. Entsetzten lag in seinem Blick, aber er nickte.
"Du hast recht, wie müssen verschwinden."
Ich lachte freudlos auf. "Und wie stellt ihr euch das vor? Hier ist nirgendwo ein fahrbarer Untersatz und nur Ödnis, so weit wir schauen können."
"Wenn wir bleiben, wird uns über kurz oder lang das Wasser ausgehen." stellte Zed fest. Und er hatte recht. Unsere Reserven waren jetzt schon sehr erschöpft. "Wir haben keine Wahl."

2050 - Rule oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt