Der Knall

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Deutschland, 03 Januar 2050 -

Das alte Jahr war gegangen und das neue gekommen. Ich weiß nicht, ob etwas anders, besser, war, ich fühlte mich wie noch Tage zuvor.
Die Feiertag endeten und die Schule zog uns wieder in den Alltag zurück. Die Feier war nur noch Erinnerung, die in den traurigen Zeiten an uns vorbei zog.
Doch viele schienen plötzlich beseelt von dem Gedanken, dass wir in einer neuen Ära angelangt sein. Unser Lehrer verglich es mit dem Mauerfall und führte in der Geschichtsstunde einen langen Vortrag über die Vergangenheit unserer Nation.
"Noch vor der Jahrtausendwende endete der letzte Weltkrieg und erstmals schlossen sich Nationen zusammen. Bildeten einen festen Verbund, den niemand zerreißen sollte.
Die EU sorgte für einen Handel unter den Völkern!" Seine Stimme überschlug sich geradezu. Er hatte die Vierziger schon überschritten und so erinnerte er sich noch an die Zeit des langen Friedens, wie die Geschichtsbücher sie nannten.
"Ich weiß noch wie schnell die Modernisierung oder Digitalisierung voranschritt. Noch als ich ein Kind war, konnten wir Unmögliches schaffen, das nur ein Jahrzehnt zuvor nie da gewesen war. Natürlich hat sich so viel verändert. Die Lehrer benutzten noch Tafeln und bereits als mein Sohn zur Schule kam, waren diese überholt. Aber wir wollen uns nicht bei Erfindungen aufhalten. Kassie! Wärst du so freundlich dein Wissen über die Vergangenheit mit uns zu teilen?"
Ein Blick völliger Erwartung ruhte auf mir. Herr Reihmann war überzeugt, dass wir uns an alles, was er uns jemals erzählt hatte, erinnert müssten.
Ich kramte in meinem Gedächnis. "Nach der Jahrtausendwende gab es wieder Unruhen, doch viele Menschen konnten an ihnen vorbei leben. Natürlich würden viele sagen, die Zeit brachte den Untergang für unsere Natur und erneuerbare Energien und Ökotrends fanden großen Anklang. Bis Zweitausendundzwanzig war die Lage stabil, aber damals schien ein neuer Krieg schon fast unausweichlich. Offizell trieb natürlich keine Nation Kriegswirtschaft, doch jeder rüstete sich. Ein offener Krieg konnte jedoch bis Zweitausendunddreißig hinausgezögert werden. Dann verbündeten sich Amerika und Russland gegen Nordkorea, nachdem diese offensichtlich das Atomgesetzt gebrochen hatten, dass den Besitz und Herstellung von Atomwaffen untersagte. Obwohl ich sagen würde, auch sie hielten sich nicht daran und suchten nur einen Vorwand.
Sie griffen die Lagerstation an und dabei detonierten mehrere Atombomben und verseuchten die Umgebung. Nordkorea antwortete mit einer Attacke auf Russland und China griff ein.
Sie zogen sich jedoch schnell wieder zurück um das Friedensabkommen mit der EU nicht zu gefährden."
Herr Reihmann nickte und seufzte kurz. "Die Nachrichten waren voll davon und jeder hatte Angst in einen neuen Weltkrieg gezogen zu werden. Zweitausendzweiunddreißig marschierte dann die Türkei in Griechenland ein und übernahm das Land. Hätte die EU damals eingegriffen, hätte vieles verhindert werden können, aber die ließen es geschehen.
Sie hofften die Türkei wurde dort bleiben, doch diese verfolgten den Plan, die Südeuropäische Republik zu gründen."
Er wieß mit dem Daumen auf die Karte hinter uns. "In drei Jahren nahmen sie Bulgarien, Serbien, Rumänien, den Iran und die Ukraine ein, bevor die EU vormarschierte.
England wollte seine Unabhängigkeit wahren und hielt sich raus."
"Aber das Problem waren die innerpolitschen Spannungen!", warf ein Junge ein und Reihmann nickte. "Darum überließ man der Türkei schließlich alles von Ungarn und Polen, bis Belgien und dem Sudan und sie gründeten ihre Republik. Alles verschob sich; Norwegen, Schweden und Finnland schlossen den Drei-Länder-Pakt mit einheitlicher Währung, Russland schluckte alles bis Polen umd erklärte sich zur Weltmacht, gleichgestellte mit Amerika und die EU löste sich auf. Von Portugal bis Polen schlossen sich die restlichen Länder zum Neuen demokratischen Verband, kurz NdV zusammen. Nach Zweitausendundvierzig waren die Machtverhältnisse ausgeglichen und nur an den Grenzen kam es noch zu Kriegshandlungen. Und nun, ein Jahrzehnt nach seinem Beginn, endete der Krieg! Wissenschaft, Globalisierung und Handel können endlich fortfahren unsere Welt zu verbessern."
Herr Reihmann war definitiv ein Fan dieses Friedens. Phil, der neben mir saß, beugte sich zu mir und zeigte mir sein Handy.
Redet euer Lehrer auch bloß über den Vertragsschluss? Gäähn -M
Ich schmunzelte und Phil rollte mit den Augen. Der Frieden war seit Jahren beschlossen, doch die Abrüstung und Stabilisierung hatte viel Zeit in Anspruch genommen. Und alle Welt war misstrauisch.
Ich ließ meine Gedanken schweifen und blendete die Stimme unseres Lehrers aus. Versunken betrachtete ich das Kreisen der Windräder, die man vom Klassenzimmer aus sehen konnte.
Ich weiß, es war wohl ignorant zu sagen, dieses ganze Kriegs-Frieden-Ding jucke mich nicht. Bis auf erhöhte Steuern und Preisen hatten wir hier nämlich kaum etwas mitbekommen.
Ich erinnere mich noch genau, was ich in dem Moment dachte, in dem es passierte: Wenn der Frieden jetzt beschlossen ist und die Preise sinken, kann ich mir vielleicht dieses geile neue Handy leisten.
KNALL!
Das Geräusch ließ meine Ohren klingeln, den Boden und die Fenster erzittern und Schüler aufschreien. Ich fühlte mich, als wäre eine Bombe unter mit explodiert.
Mit einem Schlag waren tausend Vögel aufgeschossen und flohen panisch in alle Richtungen davon. Ich konnte es von der Straße aus Splittern und Hupen hören, Meschem schrien.
Und dann herrschte Stille, vollkommene Stille. Jeder schien den Atem anzuhalten und stumm nach der Ursache zu suchen.
"Da!", jemand schrie und alle sprangen ans Fenster, Chaos brach los. Und ich sah den Grund.
Hinter den Hügeln, über die sich die Windräder streckten, stieg eine mächtige Rauchschwade auf. Doch das war nicht das Erschreckenden:
Das erste Windrad schien einen Moment zu schwanken, als könne es dem Wind nicht wiederstehen, dann hing es einen Moment schräg in der Luft, bevor es sich immer schneller dem Boden zuneigten und mit einem weiteren Knall Bäume und Erde meterhoch schleuderte. Mit Entsetzten sahen wir mit an, wie zwei weitere ebenfalls zu Boden stürzten und hinter dem Berg aus unserem Blick verschwanden.
Ein viertes began sich immer schneller und schneller zu drehen, das metallischen Ächzen und Reißen, mit dem ein Flügel abbrach, hörten wir bis hier.
Er grub sich Metertief zwischen den Bäumen in die Erde und blieb dort zitternd stecken.
Ich merkte, dass Phil meine Hand hielt und klammerte mich an ihn. Die obere Hälfte des Windrats knickte ab, die Flügel standen steil zu zwei Seiten ab und mit unaufhaltsamer Geschwindigkeit raste es den Hang hinab, eine breite Schneise ziehend.
Dann war alles vorbei und eine unheimliche Ruhe kehrte ein.
Ich merkte, dass alle unter Schock standen und die Zerstörung nicht aus den Augen lassen konnten.
Ich suchte hilflos Phils Blick und er drückte beruhigend meine Hand. "Komm, wir suchen Millie."
Auch die anderen erwachten aus ihrer Starre und zwischen wildem Gerede verließen wir mit vielen anderen den Raum.
Ich erhaschte noch einen Blick auf Herr Reihmann. Er blickte starr ins Leere, als sei seine gesamte Welt zusammengebrochen.
Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

2050 - Rule oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt