Zed und Ginger

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Ich verbrachte den restlichen Tag mit schlafen. Mein Körper war völlig erschöpft und so war es auch nicht verwunderlich, dass ich auch weit in den nächsten Tag hinein schlief.
Mir sollte noch oft auffallen, dass die Kontrolle über das Gravar in mir mich sehr erschöpfte.
Ich will euch nicht damit quälen zu erzählen, wie ich auf einer alten Couch lag und schlummerte. Dies wäre ein guter Punkt um sich an Zed und Ginger zu erinnern.

Sie erzählten mir ihre Geschichte später.

Frankreich, 14. Januar 2050

Ginger schlug die hölzerne Tür des Plumsklos hinter sich zu. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen. Er hatte so etwas schon lange nicht mehr gesehen und es war ein schönes Schwelgen und Erinnerungen.
Er zog ein Haarband aus seiner Hosentasche und band sich damit die langen braunen Haare zurück. Es war der einfachste Weg um sie zu bändigen.
Er kehrte vor die Hütte zurück und stellte fest, dass Kassie nicht mehr auf dem Holzstapel saß. Obwohl Ginger keine Lust hatte sich weiter mit Zed abzugeben, kehrte er wohl oder übel in die Hütte zurück.
"Also, Leute, was ist denn jetzt unser Plan?" Verwirrte erkannte er, dass Kassie nicht in dem schummrigen Duster war.
"Ist Kassie nicht wieder rein gekommen?"
Zed schüttelte den Kopf, über seine Tasche gebeugt. "Nein, ist sie nicht bei dir draußen geblieben?"
Ginger zuckte mit den Schultern. "War auf dem Klo. Sie wird schon in der Nähe sein."
Zed stöhnte genervt auf. "Als ich das das letzte mal dachte, fand ich sie Tage später in einem anderen Land wieder!" Er zog seinen Rucksack zu und warf ihn sich über die Schulter.
"Wir sollten sie suchen."
"Vielleicht ist sie ja nur zu ihrer Familie gegangen. Wär doch möglich."
Zed marschierte an Ginger vorbei. "Fang nicht wieder damit an. Es ist sicherer, wenn Kassandra sich von ihrer Familie fern hält."
Ginger folgte ihm nach draußen und kniff wütend die Augen zusammen. "Es ist vielleicht sicherer, aber nicht besser. Familie ist wichtig!"
Zed sah sich aufmerksam um und strebte dann auf den Trampelpfad zu, über den sie gestern gekommen waren. "Wenn Familie in deinen Augen so wichtig ist, warum hab ich dich dann an der Backe? Von mir aus verschwinde und geh zu deiner Familie.", rief er dem Jungen über die Schulter zu.
Ein kaum merklicher Schatten legte sich über Gingers Gesicht. "Mir ist klar, dass jemand wie du keinen Wert auf Familie legt.", antwortete er.
"Was soll das denn heißen, bitte?"
"Du mit deiner Geheimniskrämerei. Familie bedeutet Vertrauen und sowas ist für dich ja unmöglich." Ginger überholte Zed und sprang geschickt über umgestürzte Baumstämme. Seinen Trenchcoat hatte er unter seinen Arm geklemmt und er schlenkerte wild hin und her. "Und wir sollten dort entlang gehen."
Er deutete nach links auf einen Busch. "Da, die Zweige sind abgeknickt, Kassie ist dort entlang gelaufen."
"Vielleicht nur ein Reh?", knurrte Zed, folgte ihm aber.
Ginger glaubte nicht, dass es nur ein Reh war. Er dachte an das was Kassandra ihm vor nicht einmal einer halben Stunde gesagt hatte. Es stimmte, dass es unheimlich ruhig war.
An einem Morgen wie diesem erwartete Ginger die Natur leben zu hören. Das Rascheln kleiner Tiere, das Zwitscher von Vögel und ihre Wahrnrufe, wenn ein Fuchs durch das Gestrüpp schlich. Ginger genoss es in der Natur zu sein, aber heute war es anders. Er fühlte sich wie in einem Geisterwald. Kein Leben außer ihm und dem arroganten Kerl hinter ihm schien zu existieren.
Auch wenn Ginger wollte, dass Kassie zu ihrem Vater ging, hieß das nicht, dass er sich keine Sorgen gemacht hätten. Natürlich konnte sie überall sein. Auf einem kleinen Spaziergang zum Beispiel. Schließlich führte die Spur, die er entdeckt hatte nicht in Richtung Waldweg und somit Wynndenau, aber er ging davon aus, dass Kassie sich in diesen Wäldern auskannte und vielleicht ein bestimmtes Ziel vor Augen haben könnte.
Er nahm das Plätschern eines Baches war und folgte dem Geräusch bis zu dem Wasserlauf.
"Sie ist dem Bach bestimmt bis zum See gefolgt.", vermutete Ginger und drehte sich kurz zu Zed um.
Der trug noch immer eine verbissene Miene zur Schau, nickte aber. "Wenn sie dort nicht ist können wir immer noch ins Dorf gehen."
Den restlichen Weg bis zum Ufer legten sie schweigend zurück. Als sie zwischen den Bäumen hervortraten und auf das spiegelnde Nass blickten stöhnte Zed genervt auf. Mit einem schnellen Blick hatte er erkannt, dass niemand sonst dort am Ufer war.
"Klasse, wir sind deiner tollen Spur ganz umsonst gefolgt!"
Aber Ginger schüttelte den Kopf und zeigte auf einen Punkt mitten auf dem See, der sich zu bewegen schien.
"Ist das ein Boot?", fragte Zed, trat einen Schritt vor und kniff die Augen zusammen um besser erkennen können, wer dort auf dem Boot war.
"Das ist Kassie.", stellte Ginger ohne Mühe fest.
"Was für eine bescheuerte Idee ist denn das nun wieder? Und wo hat sie ein Boot her?"
"Kassie!", erhob Ginger seine Stimme. "Kassie!"
Doch sie hörte sie nicht und die beiden Männer standen einen Moment unnütz dort am Ufer und beobachtete, wie plötzlich ein Ruck durch das Boot lief und es dann kleiner zu werden schien.
"Es sinkt." Ginger löste sich aus seiner Starre und lief los. "Sie ist auf dem Weg ins Dorf!", rief er und schlängelte sich an der Uferlinie entlang. Er achtete nicht darauf ob Zed ihm folgte, aber ein Rascheln verriet es ihm.
Beide jagten am Ufer entlang um den See, so schnell sie konnten. Dabei entfernten sie sich zuerst weiter von Kassie, da der See oval war. Ginger verlor sie jedoch nicht aus den Augen.
"Wo ist sie?"
"Da! Sie schwimmt. Sie ist am Ufer!" Ginger merkte wie sein Atem schwerer ging. Es musste einen Grund geben, warum Kassie diesen sehr skurrilen Weg über den See genommen hatte. Und ihm viel kein guter ein.
Die Bäume standen manchmal dicht an der Wasserlinie und erschwerten das Vorankommen. Als sie endlich den Wald hinter sich ließen und die letzten hundert Meter über Felder zurücklegten, sah Ginger etwas auf der Straße. Nur für einen Moment, dann verschwand es wieder.
War das ein Auto gewesen?
"Aide! Aide! S'il vous-plais!" Gingers Blick schoss zurück zu den Häusern, als er die Rufe hörte. Zed neben ihm machte einen Satz und rannte noch schneller. Ginger warf sich seinen Trenchcoat über die Schulter und beeilte sich Schritt zu halten.
Sie sprangen über eine Hecke in einen Garten, umrundeten das Haus und folgten den Schreien. Sie verlangsamten ihre Schritte, als sie einem Auflauf von Menschen näher kamen. Grob schob Zed sich durch die Leute und beachtete ihr Fluchen nicht. Ginger versuchte ihn nicht zu verlieren.
Sie drängelten sich an einem jungen Mann vorbei, der die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatte und sich hilflos umsah. Zusammenhanglose Worte kamen aus seinem Mund, die Ginger nicht verstand.
Dann sah er es.
Blut sickerte über die Pflastersteine eines Hofes. Mit Grauen folgte er der Spur mit dem Blick. 'Lass es nicht Kassie sein.', betete er im Stillen.
Seine Augen fanden einen Schuh und das Bein einer Jeans und dann das Gesicht eines Mannes. Seine Augen starrten blicklos in den Himmel.
Kurze Erleichterung durchströmte ihn, bevor diese durch Grauen ausgetauscht wurde. Was war hier passiert?
Wo war Kassie?
Zed war bereits auf den Toten zugegangen, vermied es in das Blut zu treten und beugte sich leicht über den Mann.
"Ein Schuss ins Herz. Er ist innerhalb von wenigen Minuten verblutet.", stellte er nüchtern fest.
Eine alte Dame, die neben dem Toten in den Armen eines Mannes stand schluchtzte auf.
"Verdammt, Zed!", fluchte Ginger. "Ein bisschen mehr Feingefühl!"
Er ging langsam auf die beiden zu und beachtete dabei nicht, dass seine Füße in den roten Strom traten.
"Madame? Monsieur? Qu'est-ce qui est arrivé?", fragte er und deutete leicht auf den Toten.
Die Frau schluchzte wieder auf, doch ihr Mann begann auf schnellem Französisch auf Ginger einzureden. Als er geendet hatte, war Gingers Miene verschlossen, er nickte einmal. "Danke. Es tut mir Leid. Aber wir finden sie, keine Angst."
Er gesellte sich zu Zed, der sich ein Stück von den restlichen Menschen enfernt hatte.
"Was hat er gesagt?", fragte Zed leise und kratzte sich am Kinn.
"Das dort", Ginger deutete auf den Mann. "Ist Kassies Vater. Und das Paar mit dem ich gesprochen habe sind ihre Großeltern. Hier sind Männer aufgetaucht, die mit Kassie sprechen wollten. Ihr Vater hat versucht sie wegzuschicken. Er sagt, dass sie bewaffnet waren, aber ihr Vater nicht zurückgewichen ist, als sie die Waffen gezogen haben. Auch wenn alle anderen Panik bekommen haben.
Und dann ist Kassie aufgetaucht." Er brach ab und schloss für einen Moment die Augen. "Verdammt, Zed, sie hat mit ansehen müssen, wie diese Schweine ihren Vater erschossen haben!" Er gestikulierte wild mit den Händen.
"Und Kassandra? Wo ist sie?"
"Sie haben sie mitgenommen." Ginger biss die Zähne zusammen. "Der dort drüben, er heißt Pete, wollte noch dazwischen gehen, aber die haben ihm eins übergebraten und waren weg, bevor irgendjemand sonst reagieren konnte."
"Das waren Profis.", erklärte Zed. "Ich wusste, dass sie sie finden würden. Darum wollte ich nicht, dass sie hier herkommt."
"Profis?!", zischte Ginger. "Profis erschießen keinen Mann vor einem ganzen Dorf als Zeugen!"
"Verzweifelte Profis. Kassandra war ihre erste richtige Spur. Da haben sie wohl die Kontrolle verloren."
"Spur wohin?", hakte Ginger argwöhnisch nach. Zed schwieg, aber Ginger genügte das als Antwort. "Eine Spur zu dir. Hab ich recht? Du hast sie da mit reingezogen!"
Zed wandte sich wütend ab. "Nein."
"Ach nein?!" Ginger riss ihn wütend an der Schulter herum. "Ach nein?!", wiederholte er.
"Nein! Ich habe diese Kids nicht gebeten, dieses bescheuerte Viedeo online zu stellen. Hätten sie es gelassen, hätte nie jemand erfahren, was sie gesehen haben!"
"Gib jetzt ja nicht Kassie und ihren Freunden die Schuld an dem, was du verbockt hast!"
"Verdammt was kratzt es dich überhaupt?! Du kennst sie noch nicht einmal!"
"Aber du, ja? Mir scheiß egal, was du jetzt machst, aber ich werde Kassie suchen." Ginger ließ Zed stehen. Er wusste nur noch nicht ganz, wie er die Suche nach ihr beginnen sollte. Sie war noch nicht lange weg, aber ohne Auto konnte er Kassie nicht einholen. Und da gab es gleich mehrere Probleme: Problem Nummer eins, er hatte kein Auto. Und zweitens konnte er nicht fahren.
"Schön.", Zed hatte ihn eingeholte und überholt. "Wir holen mein Auto aus dem Wald."
"Du meinst das Auto, das du gestohlen hast?", stichelte Ginger.
"Halt einfach den Mund."

2050 - Rule oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt