Götter

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Deutschland, 14. Januar 2050

Ich befand mich in einem Raum mit nur einem Tisch, an dem sich zwei Stühle gegenüber standen, einer Kamera, die fröhlich in der Ecke blinkte und einem Einwegstiegel.
Ich stand an die hintere Wand gelehnt und starrte mein Spiegelbild an. Mein Haar konnte man gut und gerne als einzigen Knoten bezeichnen und meine Klamotten als dreckigen Klumpen. Mein Gesicht hatte diesen trotzigen Ausdruck drauf.
Da es hier weder Fenster noch Uhr gab, hatte ich keine Ahnung wie spät es war oder wie lange ich hier schon stand. Poke hatte mich hier abgeliefert, war verschwunden und ich hatte meine Stellung an der Wand übernommen. Da meine Füße begannen weh zutun, entschied ich, dass ich hier schon zu lange wartete.
Wie aufs Stichwort wurde die Tür geöffnet und ein mir unbekannter Mann trat ein. Er war nicht alt, vielleicht etwas älter als Zed. Sein Haar war kurz geschnitten und von einem tiefen dunkelbraun, genau wie seine Augen.
Er musterte mich intensiv, aber ich hatte dennoch nicht das Gefühl, dass Ginger bei mir auslöste. Ich war mir sicher, dass Ginger ein einziger Blick reichte, um einen Menschen zu durchschauen, aber glücklicher Weise hatte dieser Typ keine Ahnung was in meinem Kopf vorging.
Sein Anzug war garantiert maßgeschneidert. Einen Hungerlohn verdienten die bei Duce Acano nicht. Was eine interessante Frage aufwarf. Wie wurde die Organisation bezahlt? Da sie ja geheimer als geheim war, sollte beim Vinanzamt keine Meldung 'Überweisung an streng geheime Anrichtung' eingehen.
Ich hatte verpasst, wie der Mann mich angesprochen hatte, denn er schaute mich nur an, ohne ein Wort zu sagen und stand auf der anderen Seite des Tisches, hinter dem zweiten Stuhl.
Aus seinem Gesicht konnte ich nichts lesen und beeilte mich ebenfalls eine undurchdringliches Fassade aufzubauen.
"Frau Werdens? Kann ich Kassandra sagen?" Das war offensichtlich die Lass-uns-Freunde-sein-und-du-erzählst-mir-alle-deine-Geheimnisse-Masche. Kannte man doch aus jedem Film. Also zuckte ich nur mit den Schultern.
"Also nicht.", nuschelte der Mann eher zu sich selbst als zu mir.
Er ließ einen recht dünnen Ordner auf den Tisch fallen. "Ich bin Agent Bond. Inger Bond."
Ich konnte mir das kurze geprustete Lachen nicht verkneifen. "Mein Name ist Bond. James Bond.", sprach ich mit tiefer Stimme die berühmten Worte. "Ich liebe diese alten Klassiker. Dieser eine, ist schon vierzig Jahre alt, 'Skyfall', ist mein Lieblingsfilm." Ich summte die ersten Takte des gleichnamigen Liedes und genoss den genervten Ausdruck, der über Inger Bonds Gesicht huschte. "Man, Sie müssen den Spruch schon tauschend Mal gehört haben."
Er ging nicht darauf ein, sondern deutete auf den Stuhl. "Setzen Sie sich."
Ich verschränkte die Arm, legte den Kopf schief und erwog mich zu weigern. Da meine Füße aber inzwischen wirklich schmerzten, ließ ich mich auf den Stuhl sinken.
Bond ließ sich mir gegenüber nieder.
Ich will hier niemanden verwirren, darum nenne ich ihn besser Inger. Wie ich das später mitbekam, tat das sowieso jeder. Sein Nachname bereitete ihm wohl einige Unannehmlichkeiten.
"Sie wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte, Frau Werdens?", begann Inger.
Ich kniff leicht die Augen zusammen und legte den Kopf nach links schräg. War wohl eine nervige Angewohnheit von mir. "Sicher meinen Sie, dass meine Freunde, von der meine Freundin übrigens noch minderjährig ist, entführt wurden. Von euch. Oder meinen Sie die Tatsache, dass mein Vater heute erschossen wurde? Auch von euch."
"Ich muss mich wohl für die drastischen Maßnahmen meiner Kollegen entschuldigen."
"Okay, tun Sie das." Ich sah ihn abwartend an.
"Bitte, was?" Ich musste sagen, dass ich ziemlich stolz war, ihn zu verwirren.
"Ich warte noch darauf, dass sie sich entschuldigen."
Er legte die Hände gefaltet auf den Tischen, Amen, und sah mich eindringlich an. "Ich möchte diese Situation nicht unangenhem machen."
"Noch unangenehmer, meinen Sie?"
"Aber", fuhr er fort ohne meinen Einwurf zu beachten, "ich muss Sie darauf hinweisen, dass wir nicht dem Gesetzt unterstehen. Und wenn es sein muss, können wir die Regeln... etwas dehnen." Er lächelte leicht.
Ich lehnte mich mit verschränkten Armen in meinem Stuhl zurück. "Verdammt, Sie sollten hier andere Stühle rein stellen. Ist ja richtig unbequem."
"Sie begreifen den Ernst der Lage nicht."
"Nein. Den begreife ich ziemlich gut. Ich verstehe nicht, was sie wollen. Schön: Wir haben ein Video hochgeladen, auf dem das Millitär nicht so toll drauf aussieht. Aber wen interessiert das bei den aktuellen Geschehnissen? Ja, diese Soldaten wurden ermordet, genau wie Ihre Männer,  but who cares? Ich sehe darin keinen Grund regelrecht Jagd auf uns zu machen!"
Inger sah mich einen Moment lang schweigend an. "Wir sind für den Schutz der Bundesrepublik verantwortlich. Wissen Sie wie viele Terroristen wir unschädlich gemacht haben? Wie viele Berichte und Dokumente wir haben verschwinden lassen, die unseren hart erkämpften Frieden gefährdet hätten, weil Dummschwätzer wie Sie, die keine Ahnung haben, Gerüchte verbreiten und jeden Mist weiter erzählen?" Noch immer sah ich keine Regung in seinem Gesicht. "Wir sogen dafür, dass Bürger wie Sie und ihre Freunde in Frieden leben können. Ob einer unserer Männer ermordet wird, ist von großer Bedeutung."
Ich sah ihn an, versuchte zu ergründen, was in ihm vorging. "Sie begreifen es nicht.", begann ich. "Was spielt der Frieden in Deutschland für eine Rolle, wenn Menschen auf der ganzen Welt durch außernatürliche Geschehnisse getötet werden? Wenn niemand mehr da ist, der den Frieden genießen kann?"
"Unsere Mission endet, wenn unser Land aufhört zu existieren. Sie reden von außernatürlichen Vorkommnissen. Wer soll die bekämpfen wenn nicht wir?"
Fast, nur fast, wäre ich darauf hereingefallen und hätte ihm zu viel erzählt. Aber nur weil ich blond war, war ich noch lange nicht blöd. "Wie bekämpfen Sie Götter?", fragte ich ihn stattdessen.
Inger lehnte sich vor. "Glauben Sie das wirklich? Das Götter der Auslöser hierfür sind?"
Ich dachte an das, was Zed Gravar-Energie nannte und das es innerhalb von Stunden schaffte eine Katastrophe heraufzubeschwören. Ich dachte an die schwarzen Linien auf meinem linken Arm, die sich bewegten, veränderten und wieder verschwanden. Insgeheim beantwortete ich die Frage mit ja. Mag sein, dass Was-auch-immer keine Götter waren, aber sie konnten ganz schön krasse Sachen.
Da ich nicht antwortete fuhr Inger fort. "Wissen Sie, was Ihre Freunde über diese beiden toten Soldaten erzählt haben? Dass ein einzelner Mann sie umgebracht hat, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist."
"Ja.", sagte ich. "War ein Mann."
"Es gehört einiges dazu zwei ausgebildete, bewaffnete Soldaten so einfach zu töten."
"Er war wohl besser ausgebildet." Ich dachte an Zed und automatisch schob sich auch Ginger vor mein inneres Auge. Ich hatte meine Eltern verloren und war mit der Mir-ist-alles-egal-Einstellung hier rein gegangen, aber als ich an die beiden dachte, regte sich Widerstand in mir.
Ich verschwendete meine Zeit hier. Ich musste schleunigst einen Weg raus finden. Wenn meine Vermutung, die ich auf der Autofahrt gehabt hatte, über das, was der Zweite Sturm war, stimmt, dann blieb mir nicht unendlich viel Zeit um Ginger und Zed zu finden und sie zu warnen. Ansonsten würden sie auf jeden Fall sterben.
"Hören Sie. Ich habe keine Ahnung, wen sie suchen. Okay? Lassen Sie mich verschwinden und ich höre auf Sie zu nerven."
Inger senkte den Kopf in offensichtlich gespieltem Bedauern. "Ich denke nicht." Ich zog genervt meine Zunge zwischen die Zähne.
"Und jetzt möchte-" Ich unterbrach ihn, bevor er weiter reden konnte.
"Sie behaupten, Menschen wie mich und meine Freuden zu beschützen? Damit wir in Frieden leben können. Tja, Hier eine Neuigkeit für Sie: Diese Menschen zu entführen und zu ermorden, fällt nicht unter die Definition beschützen."
Dieses Mal senkte Inger den Kopf in echter Frustration. "Na schön. Sie haben recht, Frau Werdens. Also möchte ich ihnen die Sache erklären. Zwei Soldaten wurden ermordet: Das interessiert mich, weil DNA Spuren am Tatort gefunden wurden, die auf zahlreiche weitere Fälle hindeuten. Mordfälle, Diebstahl von Staateigentum und... als jemand in unsere Organisation eindrang. Wir haben es hier mit einer akuten Bedrohung zu tun. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie genau wissen von wem ich spreche."
Mordfälle. Natürlich war mir klar, dass Zed schon zuvor Menschen getötet hatte, aber ich fragte mich erst jetzt, wie viele andere es wohl gab.
"Dieser Mann ist eine Bedrohung für uns alle."
"Dann ist er wohl genau wie Sie.", sagte ich langsam. "Der Zweck heiligt die Mittel. Auch ihr tötet für euer Ziel."
"Okay, ich gebe Ihnen Zeit darüber nachzudenken." Inger stand auf. "Vielleicht trinken Sie was? oder versuchen ein wenig auf diesen Stühlen, die Sie so unbequem  finden, zu schlafen?"
Ohne ein weiteres Wort verschwand er durch die einzige Tür. "Echt jetzt? Sie lassen mich einfach hier sitzen?" Ich wollte wirklich gerne wissen, was für eine doofe Verhörtechnik das sein sollte.
Das wurde mir jedoch bald schon klar. In einem kahlen Raum zu sitzen, ohne zu wissen wie spät es war, ohne mit einem anderen Menschen, mit dem man reden konnte und der kalten weißen Beleuchtung, die einem am Schlafe hinderte, wurde man unruhig.
Ich fühlte mich wie ein Tiger im Käfig.
Wie lange war ich schon hier?
Ich hatte begonnen auf und ab zu laufen. In der Stille hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Aber meine Gedanken waren unruhig wie ich. Ein fieser kleiner Schmerz begann sich in meinem linken Arm auszubreiten.
Sechs Schritte bis zur Tür, vier bis zum Spiegel. Wieder sechs Schritte und wieder vier.
Sechs, vier, sechs, vier, sechs, vier...
Du hast doch gesagt: Irrenanstalt, ich komme. Tada, da sind wir. Fehlen nur die Gummiwände!', meine kleine fiese Stimme im Kopf hatte völlig recht.
Stimmt. Und du bist der Grund, warum ich genau dort hin gehöre.
'Ich bin eine überaus nette Gesellschaft.'
Du bist nervig.
Fuck, ich redete wirklich mit mir selbst. Aber sonst war ja auch niemand hier, oder?
Und was machen wir jetzt um aus dieser Anstalt rauszukommen? Ich meine, Ich, wie ich hier rauskomme. Nicht wir.
'Also willst du mich hier lassen?'
Fuck, du bist mein Kopf. Ein nervöses Lachen entschlüpfte mir. Ich meine, jeder führte schließlich mal Selbstgespräche, aber das hier war schon ein bisschen... bedenklich.
'Tja, dann vertrau deinem Kopf mal.'

2050 - Rule oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt