Achtzehn.

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Mittlerweile haben wir Mitte Mai und noch immer bekomme ich den quirligen Mann mit den braunen Haaren nicht aus meinem Kopf, egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Am schlimmsten ist es, wenn man sich sieht. Ich fühle mich wie ein komplett anderer Mensch, mein Selbstbewusstsein verkriecht sich in der hintersten Ecke und die flatternden Schmetterlinge in meinem Bauch sind voller Lebensenergie.

Kann man diese blöden Gefühle nicht einfach abstellen?

Seufzend drehe ich den Wasserstrahl der Dusche aus und trete hinaus auf die Badematte. Aus dem weißen Regal links von mir ziehe ich ein Handtuch heraus und beginne mich abzutrocknen. Gemma hat heute Geburtstag und feiert diesen in so einem hippen Club namens Elements, in dem ich noch nie war. Leider kenne ich von ihren Gästen nur ihre beste Freundin, sodass ich Niall mitnehmen durfte. Dieser hat jedoch heute Morgen abgesagt, da er mit Fieber im Bett liegt. Auch Liam hat spontan keine Zeit, sodass ich wohl oder übel alleine gehen werde. Und das mache ich auch nur, weil es meine Schwester ist.

Im Schlafzimmer schiebe ich die Türen meines Kleiderschrankes auf und ziehe sogleich ein weißes Shirt sowie eine dunkle Jeans heraus. Mir ist absolut nicht nach Feiern zumute, also ist mir auch egal, was ich anziehe. Im Club später werde ich einfach ein bisschen quatschen, vielleicht eine Runde tanzen und wenn die Leute ihr drittes Glas getrunken, merkt sowie keiner, wenn ich verschwinde.

Kaum ist die Wohnungstür hinter mir ins Schloss gefallen, gebe ich einen lauten Seufzer von mir und laufe langsam zum Auto. Die Musik drehe ich lauter und die Fenster lasse ich herunter, ehe ich den Motor starte und mich in den Verkehr einfädle, geradewegs von der dunklen Dorfstille in das nächtliche Lichtermeer der Stadt. 

Die Strecke in den besagten Club kommt mir viel länger vor, als ich vorher rausgesucht hatte. Brechend voll ist die Straße und das um diese Uhrzeit. Hat irgendein Club heute Neueröffnung oder gibt es irgendwo etwas umsonst? Im Herzen der Stadt angekommen suche ich in der Nähe ein Parkhaus, zum Glück finde ich direkt im Erdgeschoss eine freie Lücke und stelle meinen Wagen dort ab. Ich knalle die Tür zu, schließe ab und werfe auf meinem Weg zum Club einen Blick auf mein Handy. Doch nichts - selbst Nick hat sich seit ein paar Tagen nicht mehr gemeldet.

Abende mit Gemma laufen immer gleich ab. Zunächst erkundigt sie sich, wie es mir geht, was ich so mache, ob ich jemanden kennengelernt habe oder ob sie sonst etwas verpasst hat. Ich verneine, sie nickt schweigend, versucht mich abzufüllen und dann, egal ob ich es möchte, mich zu verkuppeln - bisher nicht erfolgreich. Und auch heute habe ich die Befürchtung, dass ich in den nächsten fünf Minuten mein erstes Déjà-vu haben werde. Vorm Eingang tummeln bereits eine Menge Leute, Männer die schon jetzt zu viel getrunken haben, Mädels mit zu kurzen Kleidern und eine Gruppe, bei der ich mich wirklich frage, ob die alle schon volljährig sind. Ich gehe weiter zum Eingang, bezahle den Eintritt und gehe dann hinein.

Etwas überfordert streife ich durch den ganzen Club auf der Suche nach Gemma und ihren Gästen. Ab und zu werde ich angerempelt, da es bereits ziemlich voll ist, was mich nur noch mehr nervt. An der Bar sehe ich schließlich die beste Freundin meiner Schwester stehen, die mich bereits bemerkt hat und mir entgegen grinst. "Hey Harry", ruft sie, "schön, dass du auch kommen konntest." - "Hallo. Na klar, immerhin hat meine Lieblingsschwester Geburtstag", antworte ich und stelle mich neben sie an die Bar. Ein Räuspern hinter mir lässt mich herum fahren. "Darf ich dich daran erinnern, dass du nur eine Schwester hast?", fragt Gemma gespielt empört, muss dann aber grinsen. Ich steige mit ein und ziehe sie dann in eine Umarmung. "Hi Schwesterherz, ich wünsche dir alles alles Liebe zum Geburtstag. Das Geschenk gebe ich dir morgen oder so, das wollte ich jetzt nicht mit in den Club schleppen." - "Kein Thema. Ich freue mich, dass du da bist", erwidert sie glücklich und reicht mir auch sogleich ihr Sektglas. "Oh nein, danke. Aber ich fahre heute und trinke daher nichts." Gemma zuckt nur mit den Schultern und setzt dann ihre eigenen Lippen ans Glas, um die prickelnde Flüssigkeit zu genießen.

Langweilig! Exakt so lässt sich dieser Abend beschreiben, aber das habe ich ja erwartet. Natürlich hat Gemma noch mehr Gäste und kann sich nicht ununterbrochen mit mir unterhalten, so dass ich häufig alleine rumstehe. Und eigentlich bin ich ein sehr aufgeschlossener Mensch, doch heute habe ich auch keine Lust darauf, ihre Leute kennen zu lernen. Auch jetzt gerade ist jeder in sein Gespräch vertieft, die anderen in ihr Glas und ein paar toben sich auf der Tanzfläche aus. Ich hingegen kann nicht verhindern, dass mein Hirn gerade nur negative Dinge hier sieht. 

Stickig, laut, voll, betrunkene Menschen, Schweißgeruch, müde.

Zeit, um etwas frische Luft zu schnappen. Ächzend drücke ich mich von der Bar weg und laufe langsam den Weg nach draußen. Etwas abseits des Trubels lehne ich mich gegen die Gebäudemauer und blicke hinauf in den Himmel. Ob es wohl auffallen würde, wenn ich jetzt einfach nach Hause fahre?

Ein paar gemurmelte Stimmen lassen meinen Blick in die dunkle Ecke huschen, aus der sie gekommen sind. Ich sehe zwar ein paar Bewegungen, kann jedoch nicht exakt erkennen, was da los ist. "Aber warum?", höre ich eine weibliche Stimme leise sagen. "Süße, das war doch so abgemacht." Ich weiß, dass ich diese männliche Stimme schon irgendwo einmal gehört habe, als die Personen näher kommen. Als sie noch etwa fünf Meter entfernt sind, bemerke ich, dass es drei Personen sind. Und mit einem genaueren Blick sehe ich auch, wer die beiden Kerle sind und ich muss die Augen verdrehen. Es sind diese beiden homophoben Typen aus Louis' Fußballmannschaft. Der eine ist Robin und den Namen des Anderen weiß ich bis heute nicht. 

"Ohhhhh, ein buntes Eichhörnchen." - "Na los jetzt, wir werden eine Menge Spaß haben", grinst dieser Robin auf einmal ziemlich anzüglich, als die blonde junge Frau langsamer wird. Sie kichert ohne Grund und scheint generell ziemlich wackelig auf den Beinen zu sein. Mir ist sofort bewusst, dass hier nicht nur Alkohol im Spiel sein kann. "Ichwillnichtichwillnachhause...", nuschelt sie undeutlich und hält sich am Arm des anderen Typens fest. "Kleines, wir haben doch gesagt, dass wir noch was vorhaben... danach kannst du nach Hause." Okay, das reicht mir. Energisch stoße ich mich von der Wand ab und gehe auf die Gruppe zu.

"Hey, lasst sie in Ruhe. Wie ihr gehört habt, will sie nach Hause." Ich sehe, wie Robin erschrocken zusammen zuckt und sich umdreht. Als er mich sieht, fängt er an zu lachen: "Ach ne, die Schwuchtel ist auch hier." - "Das hast du messerscharf erkannt. Gut kombiniert, Watson!"

Sein Lachen erlischt und seine Augen verformen sich zu Schlitze, mit denen er mich durchbohrt. Ich bin mir sicher, dass er auch handgreiflich werden würde, weswegen ich schon minimal Panik habe. Denn gegen Zwei wird's schwierig, obgleich ich eigentlich denke, dass der andere nichts machen würde. Ihn schätze ihn eher als Mitläufer ein, der nichts zu sagen hat und eigentlich ein handzahmes Kerlchen ist. 

"Verpiss dich. Es geht dich nichts an, was wir machen", zischt er wieder und stellt sich vor das Mädchen. "Wenn ihr unschuldige Personen unter Drogen setzt und euch wahrscheinlich noch an ihnen vergreifen wollt, mische ich mich sehr wohl ein. Sowas nennt man Zivilcourage. Kannst du das Wort überhaupt buchstabieren?", frage ich spitz und baue mich vor ihm auf. Zum Glück bin ich größer als er, vielleicht schüchtert ihn das ja etwas ein.

"Natürlich kann ich das, aber das-" Sofort unterbreche ich ihn grinsend: "Na dann lass mal hören...Robin." - "Z....was? Nein! Ich buchstabiere doch jetzt nicht für dich. Sieh zu, dass du Land gewinnst!", faucht er und spuckt mir vor die Füße. Was für ein ekelhafter Typ.

Kopfschüttelnd ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und entsperre den Bildschirm: "Wie gut, dass ich mit meinen Freunden hier bin. Ein Anruf und 10 Mann sind innerhalb einer Minute hier." Meine Stimme ist singend und gespielt gut gelaunt, doch es zeigt Wirkung. Robin kräuselt kurz die Stirn, dreht sich zu seinem Kumpel und nickt in die entgegen gesetzte Richtung: "Hey! Wir verschwinden." Wie zu erwarten nickt seine männliche Begleitung nur und zusammen stampfen sie schnellen Schrittes ab. Puh, zum Glück haben die mir das abgekauft.

Vorsichtig laufe ich auf das Mädchen zu und gehe zu ihr in die Hocke: "Hey, ich bin Harry. Ist alles in Ordnung?" Zwar hebt die hübsche Frau mit den blonden Haaren ihren Kopf und sieht mich an, doch eine Antwort erhalte ich nicht. Im Mondschein kann ich sogar ihre riesigen Pupillen erkennen, sodass fast nichts mehr von der Iris zu sehen ist. Entweder haben die Typen ihr was ins Glas gemischt oder sie wurde überredet irgendwas einzuschmeißen. Ich denke nicht, dass sie es von alleine freiwillig genommen hat. Seufzend fahre ich mir durchs Gesicht. "Kannst du mir sagen, wo du wohnst?", frage ich sie leise und erhalte tatsächlich ein Nicken. Notfalls hätte sie wahrscheinlich auch einen Ausweis mit, auf dem ihre Anschrift drauf steht, aber da sie jetzt reagiert, ist es umso besser.

Ich richte mich wieder auf und hebe auch das Mädchen hoch. "Ich bringe dich nach Hause."


Escape and follow - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt