Einunddreißig.

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Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist die Betthälfte neben mir leer. Seufzend lasse ich mich zurück ins Kissen fallen und schließe wieder die Augen. Was habe ich auch erwartet? Dass Louis plötzlich mit mir zusammen sein will und sein bisheriges Leben links liegen lässt, wenn er merkt, dass ich ihn so akzeptiere, wie er ist? Ehrlich gesagt, habe ich es gehofft... zwar nicht erwartet, aber gehofft - wie naiv von mir.

Jeweils mit Zeige- und Mittelfinger massiere ich meine Schläfen und lasse den gestrigen Abend Revue passieren. Nachdem wir aus dem Badezimmer gekommen sind, habe ich für uns beide Abendessen gekocht und die restliche Zeit haben wir auf dem Balkon verbracht. Meine Lippen verziehen sich zu seinem kleinen Lächeln, als ich an das Kerzenlicht, den Wein und Louis' Anwesenheit denke. Es war so schön.

Kurz kamen wir noch auf Katie zu sprechen und er klärte mich darüber auf, dass er sie damals im Internet kennen gelernt hat. Katie arbeitete nebenbei für eine Alibi-Agentur und Louis hatte sie tatsächlich gebucht, um sie vor seiner Mutter als Freundin auszugeben. Zunächst habe ich wirklich gedacht, er erzählt mir Quatsch, denn nie hätte ich geglaubt, dass es solche Alibi-Firmen wirklich gibt. Erst als er mir die Homepage auf dem Handy gezeigt hat, habe ich es ihm abgekauft. Und Katie arbeitete dort, weil sie selbst auf Frauen steht und ihre Eltern das überhaupt nicht tolerieren. So haben sich Katie und Louis kennen gelernt, sind Freunde geworden und schließlich in eine WG gezogen - perfekt, um vor ihren Eltern das Pärchen vorzugeben. 

Später habe ich Louis das Bett angeboten, ich hätte dann auf dem Sofa geschlafen, aber er hat darauf bestanden, dass ich ebenfalls im Bett schlafe, immerhin ist es groß genug. Sein Wunsch hat mich tatsächlich glauben lassen, dass es mit uns vielleicht klappen könnte. Und nun? Jetzt ist er trotzdem fort, ohne sich zu verabschieden, das sagen mir seine Klamotten, die nicht mehr auf dem Fußboden liegen.

Seufzend schlage ich die dünne Bettdecke beiseite, schwinge die Beine über die Bettkante und stehe auf. Mit einer Hand reibe ich mir übers Gesicht, als ich in die Küche laufe und die Schublade aufreiße, in die ich vorgestern die Nachricht von Louis gelegt habe. Dann tapse ich zurück ins Schlafzimmer und schnappe mir meine kurze Hose von gestern, fische dort mein Handy aus der Hosentasche. Zu meiner Verwunderung habe ich bereits eine Nachricht von einer nicht eingespeicherten Nummer.

From: Unbekannt
Hi Harry, danke für den gestrigen Abend und dass du mir zugehört hast. Vielleicht verstehst du mich jetzt besser, warum ich niemals eine Beziehung haben kann. Lass uns bitte einfach befreundet bleiben und nie wieder über meine Vergangenheit sprechen. LG Louis

"Scheiße!", fluche ich und pfeffere mein Handy quer durchs Zimmer. Zum Glück fliegt es gegen das gepolsterte Kopfteil des Bettes und fällt dann dumpf aufs Kissen, so dass es heil bleibt. Dennoch schaue ich es erschrocken über meine eigene Wut an, da ich sonst eigentlich zur ruhigeren Natur gehöre. Noch nie habe ich mich so gefühlt wie in diesem Moment. Ich kann noch nicht einmal sagen welches Gefühl überwiegt - Wut, Enttäuschung, Verzweiflung? 

"Freunde...tzz... genau", schnaube ich spöttisch und krame dabei aus meinem Kleiderschrank frische Klamotten. Mit eben diesen in der Hand laufe ich ins Badezimmer und stelle mich kurze Zeit später unter die Dusche. Wie soll ich bitte mit ihm befreundet sein? Ich bin wie benebelt, als wenn ich betrunken wäre, wenn er in der Nähe ist. Mein Körper brennt für ihn, das kann ich doch unmöglich ignorieren.

_____

Geistesabwesend sitze ich bei Niall auf der Couch im Schneidersitz, kaue auf meinen Fingernägeln rum, nachdem ich ihm erzählt habe, was am Wochenende vorgefallen ist. "Vielleicht hätte ich anders vorgehen soll", überlege ich leise, was Niall aufseufzen lässt. "Mach dir keinen Kopf, Harry. So wie ich dich verstanden habe, hast du ihm durchaus die Chance gegeben, sich zu wehren. Er ist ein erwachsener Mann, er muss selbst wissen, was er tut. Und wer weiß, vielleicht war es auch gut so, wie du es gemacht hast. Du kannst nicht wissen, ob bisher alle weggeschaut haben und vielleicht merkt Louis ja jetzt, dass du es nicht tust... dass er dir wirklich etwas bedeutet", versucht er mich aufzubauen.

"Das hatte ich auch gehofft. Aber ich glaube nicht, dass er sich überzeugen lässt", seufze ich und greife in die Schüssel mit Chips, welche Niall eben aus der Küche mitgebracht hat. "Warum denkst du das?" - "Naja, es ist nun schon ein paar Tage her, er hat mir nicht auf meine Nachricht geantwortet und als ich gestern beim Sport war, ist er in die Personlräume verschwunden und auch nicht mehr aufgetaucht, während meiner Anwesenheit. Ich finde, das ist definitiv schon ein Statement."

Verstehend nickt mein bester Kumpel zwar, lässt aber trotzdem nicht locker. "Ich finde, du solltest trotzdem noch einmal mit ihm reden, vielleicht brauchte er ein bisschen, um das zu verarbeiten, was ihr besprochen habt?", fragt er hoffnungsvoll, doch ich schnaube nur. "Ich habe nicht ewig Zeit Niall. Du kennst das Angebot von meinem Chef. So verrückt das auch klingen mag, denn so lange kenne ich ihn noch nicht, aber er wäre ein Grund hier zu bleiben. Aber ich kann ihn schließlich nicht zu einer Beziehung zwingen. Wenn er nicht will... dann bin ich weg", sage ich entschlossen. Ich unterstreiche meine Entscheidung mit einem Kopfnicken, denn mittlerweile bin ich mir wirklich sicher, dass ich diese einmalige Chance nutzen will. Nur Louis könnte mich überzeugen hier zu bleiben, allerdings bezweifle ich, dass das je passieren wird.

"Weiß er, dass du gehen willst?", hakt Niall direkt nach. "Nein, ich will ihn nicht unter Druck setzen." - "Dir ist aber schon klar, dass du das tun solltest? Woher soll er das sonst erfahren? Solange dauert das nicht mehr, in knapp zwei Wochen musst du spätestens deinem Chef Bescheid geben und eine Woche später geht's los", spricht er ernst zu mir und ich verdrehe die Augen. "Ja ja, ich weiß."

"Naja, du musst es wissen. Außerdem kennst du meine Meinung, niemals würde ich so eine berufliche Chance sausen lassen. Wenn ihr schon Jahre zusammen wärt, hätte ich nichts gesagt, aber so? Ich würde mit ihm abschließen, wenn man das so nennen kann, da schließlich nie etwas angefangen hat und dann abhauen", informiert mich Niall. Eigentlich hat er ja Recht, aber es ist so schwer. Während ich meinen Kopf in den Nacken lege, schließe ich die Augen. Louis ist leider nicht nur so eine kleine Schwärmerei, meine Gefühle für ihn sind viel tiefer, das ist mir mittlerweile klar. Und dann zu sagen, ich lass ihn einfach links liegen, fällt mir unglaublich schwer. Wenn er doch nur einsichtiger wäre, aber nein, er denkt, es gibt nur diesen einen Weg für ihn. 

Schnell öffne ich meine Augen und setze mich aufrecht hin, als mir eine Idee einfällt: "Ich werde ihn fragen, ob er mitkommt. Das wäre unglaublich schön, dann können wir-" - "Harry...", unterbricht Niall mich und schaut mich skeptisch an. "Ich denke nicht, dass er sich darauf einlassen wird, so ungern ich das auch sage, Kumpel."

"Nein, nein. Die Idee ist gut. Dann kann er alles hinter sich lassen", schwärme ich von meinem Einfall und male mir gedanklich bereits aus, wie es sein wird, wenn wir Händchen haltend am Flughafenschalter stehen, gemeinsam einchecken und dann quasi flüchten aus diesem Land. Das wäre der absolute Wahnsinn. Vor mich hingrinsend spinne ich die Bilder weiter zusammen, kassiere dafür ein Seufzen und ein Kopfschütteln von Niall, doch das stört mich gerade herzlich wenig. Jetzt muss nur noch mein Auserwählter zustimmen.

"Harry, ich will dir ja nicht deine Illusionen zerstören, aber eben warst du selbst noch davon überzeugt, dass du Louis nicht umstimmen kannst. Meinst du nicht, dass du dir gerade etwas zu viele Hoffnungen machst? Warum sollte Louis einer Beziehung im Ausland zustimmen, wenn er nicht einmal hier mit dir zusammen sein will?"

Da hat Niall auch wieder recht und ernüchtert lasse ich meine Schultern wieder fallen. "Ich werde es ihm trotzdem vorschlagen... wenn er denn mal mit mir redet", murmle ich vor mich hin und stopfe erneute ein Ladung Chips in meinen Mund.

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Was Louis wohl von der Idee hält?


Escape and follow - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt