Siebenundzwanzig.

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Mit einem rauchenden Kopf laufe ich zurück zum Esstisch und greife zu dem Zettel. Ich ahne schon, was drauf steht und mein Gefühl täuscht sich auch nicht, als ich seine Handynummer sehe. Jedoch hat er noch ein paar Worte dazu geschrieben.

Harry,
bitte melde dich noch einmal bei mir. Ich verspreche dir, dieses Mal meine Lage zu erklären. Allerdings kann ich dir nicht versprechen, dass ich dir geben kann, was du dir wünschst. 
Louis.
0123/123456789

"Tzzz...", zische ich und werfe den Zettel zurück auf den Tisch. Wenn ihm nichts an einer Beziehung oder an meinen Gefühlen liegt, warum sollte ich dann noch einmal mit ihm reden? Er hat mir schon genug weh getan. Neugierig bin ich zwar, warum er sich so verhält, wie er sich eben verhält, allerdings weiß ich auch nicht, ob es so gut ist, es zu wissen. Vielleicht bin ich dann erst recht enttäuscht oder noch verletzter. Oder ich mache mir wieder Hoffnungen, die eh nur zerstört werden.

Ehrlich gesagt wundert es mich ja schon, dass er mir selbst noch nicht geschrieben hat, schließlich hat er sich ja bereits an den Daten im Fitnessstudio bedient und mich angerufen. Und als hätte jemanden diesen Gedanken gehört, vibriert in diesem Moment mein Handy. Ich gestehe mir selbst, dass sich ein Hauch Enttäuschung in mir ausbreitet, als ich sehe, dass es nicht Louis sondern Niall ist. Schnell habe ich ihm auch eine Antwort getippt.

From: Niall
Hi Harry, haste Bock auf Party heute Abend?

From: Harry
Sorry, muss morgen arbeiten und habe auch ehrlich gesagt keine Lust.

From: Niall
Wie? Du und keine Lust?

From: Harry
Louis mal wieder, er verwirrt mich einfach zu sehr. Und nicht nur er, auch seine Freundin. Aber das ist jetzt zu viel um es zu schreiben. Ich erzähle es dir ein anderes Mal.

Ohne noch auf eine Antwort zu warten, lege ich das Handy wieder beiseite und lege mich dann wieder auf den Balkon, dieses Mal allerdings in den Schatten.

____

Als am nächsten Morgen mein Wecker klingelt, geht es mir nicht sonderlich besser, als gestern - jedenfalls seelisch. Meine Gedanken schwirren weiterhin ununterbrochen um den attraktiven Mann mit den blauen Augen und machen keine Anstalten irgendwie zu verschwinden.

Auch heute ist wieder so ein heißer Tag wie gestern, sodass ich zu einem luftigen Shirt und einer kurzen Jeanshose greife. Da wir im Büro keinen direktdn Kundenkontakt haben, dürfen zum Glück auch die Männer mit kurzen Hosen rumlaufen und nicht nur die Mädels, das ist in anderen Firmen anders. In der Küche schmiere ich mir noch ein paar Brote für's Mittagessen und mit einem Apfel in der Hand, schließe ich die Tür hinter mir und laufe hinunter durchs Treppenhaus. Man merkt, dass wir Wochenende haben, denn es herrscht gähnende Leere auf den Straßen. Die meisten schlafen noch oder sind gerade erst aufgestanden und frühstücken jetzt in aller Ruhe, während ich gleich im Büro hocken darf. Dass die Leute später aufstehen merkt man dort auch, denn die ersten zwei Stunden ist am Wochenende so gut wie immer Langeweile angesagt.

"Guten Morgen, Harry", begrüßt mich mein Chef mit einem freundlichen Lächeln, als ich das Büro betrete. Liam ist auch schon da und seufzend lasse ich mich auf meinem Platz neben ihn fallen. Wir haben unsere Schichten extra so anpassen lassen, dass wir am Wochenende zusammen arbeiten, so hat man wenigstens etwas Spaß hier, während andere ihre Freizeit genießen.

In meinem E-Mail-Postfach finde ich eine Mail unseres Chefs, die an alle Mitarbeiter aus der Abteilung ging. Es ist eine Einladung zu einem Teammeeting und zu meiner Überraschung ist dieses auch gleich in einer halben Stunde schon. Es gibt doch eh nie was Neues, also wird das auch wieder öde. Ich verdrehe kurz die Augen und sperre meinen Rechner wieder, um vor Schichtbeginn noch einmal auf Toilette zu gehen und mir in der Teeküche etwas zu Trinken zu holen.

Eine halbe Stunde später sitzt unser gesamtes Team in einem der Meetingräume und wartet darauf, dass unser Chef dazu stößt. Zwei Minuten später erscheint er dann auch und setzt sich ans Ende der Tischreihe.

Wie immer geht es um Zahlen, Daten und Fakten. Verkaufszahlen, Kontakte, Zeiten, Krankenquote und Engagement. Wie bereits gedacht - nichts Neues. Wider meiner Erwartung wird er zum Ende allerdings doch ganz geheimnisvoll und holt ein paar Unterlagen raus. "Ja, dann habe ich noch ein anderes Thema mitgebracht. Und zwar hat das Management aufgrund der hervorragenden Zahlen in den letzten Jahren sich dazu entschlossen ins Ausland zu expandieren. An zwei verschiedenen Standorten in Europa sollen neue Standorte eröffnet werden, einmal in Madrid in Spanien und einmal in Hamburg in Deutschland. Es werden dafür Mitarbeiter gesucht, die diese Standorte mit aufbauen möchten und bereit sind für vorerst zwei Jahre ins Ausland zu gehen. Nach diesen zwei Jahren hättet ihr die Wahl, ob ihr dort bleiben wollt oder wieder herkommen möchtet. Ich habe euch dazu Infoblätter ausgedruckt, die könnt ihr euch ja mal anschauen und bei Fragen gerne auf mich zukommen."

Er reicht einen Stapel Blätter an den Mitarbeiter, der neben ihm sitzt. Dieser nimmt sich einen Zettel und gibt den Stapel dann weiter. So geht es reihum, bis auch ich ein Infoblatt besitze, welches ich überfliege. Ausland... das klingt super spannend und ist auch gut für den beruflichen Lebenslauf. Noch habe ich keinerlei Verpflichtungen und bin ungebunden, wer weiß, wie das in zehn Jahren aussehen würde. Genau aus diesen Gründen, lehnen zwei Kolleginnen schon jetzt ab. Sie haben Kinder, einen Mann und Wohneigentum, damit ist es quasi unmöglich für zwei Jahre auszuwandern.

Überlegend lasse ich meinen Blick nach draußen schweifen. Die Gelegenheit wäre auch perfekt, um von Louis loszukommen. Wenn ich zwei Jahre Abstand zu diesem Dorf und zu ihm hätte, wäre ich auf jeden Fall über meine Gefühle hinweg und kann ihn wirklich als Kumpel betrachten.

Ich schaue zurück auf den Flyer und staune nicht schlecht beim Datum. Das Ganze soll bereits in vier Wochen starten! Wahnsinn, da müsste man ja schon so einiges organisieren, wie die Kündigung der Wohnung zum Beispiel. Als ich jedoch das Gehalt sehe, weiten sich meine Augen. Das ist wirklich extrem viel und ich frage mich, ob es nach den zwei Jahren nicht total krass ist, seinen Lebensstandard wieder runterzuschrauben, wenn man wieder das Gehalt wie jetzt bekommt.

"Ja, ihr habt drei Wochen Zeit, euch das zu überlegen. Allerdings wäre es dem Management natürlich lieber, wenn ihr euch früher melden würdet, damit die Verträge unterzeichnet werden können und wir in Hamburg und Madrid auch planen können. Selbstverständlich helfen wir beim Umzug und stellen auch Wohnmöglichkeiten dort zur Verfügung, wenn man so schnell keine Bleibe bekommt", erklärt mein Chef weiter und setzt damit eine Deadline.

Drei Wochen habe ich also Zeit, mir zu überlegen, wie mein Leben die nächsten zwei Jahre aussehen soll. Im Moment fällt mir nichts ein, was mich hier halten würde. Vielleicht habe ich im Inneren bereits sogar eine Entscheidung gefällt, ich werde mir dennoch noch ein wenig Zeit lassen und ein paar Nächte darüber schlafen. Ich habe nämlich keine Lust, meine Entscheidung später zu bereuen.

"Gut, dann habe ich nichts weiteres. Habt ihr noch Fragen?", will unser Chef wissen und blickt in die Runde. Diese ist erstaunlich ruhig, das ist man sonst gar nicht gewohnt, aber wahrscheinlich kommt es von der überraschenden Neuigkeit mit der Expansion.

Zurück an unseren Schreibtischen schaut Liam mich auch direkt neugierig an. "Und was sagst du?", fragt er mich und ich zucke mit den Schultern. "Ist eine ziemlich coole Möglichkeit. So eine Chance bekommst du nicht häufig und es würde sich gut im Lebenslauf machen", erkläre ich ihm und er nickt. "Ja, da gebe ich dir Recht. Allerdings bin ich mit Cheryl erst so frisch zusammen und ich weiß nicht, ob eine Fernbeziehung klappen würde", seufzt er und fährt nachdenklich mit dem Zeigefinger die Tischkante entlang. Auch wenn ich selbst gerade ziemlichen Liebeskummer habe, schmunzel ich etwas über Liam. Noch nie habe ich ihn so verliebt gesehen und es freut mich wirklich für ihn.

"Sprich mit ihr und frag sie nach ihrer Meinung. Ich bin mir sicher, ihr findet eine Lösung." - "Ja, das werde ich machen - mal sehen. Was ist mit dir?", fragt er dann und blickt mich neugierig an. "Habe ich doch eben gesagt?", erwidere ich verwirrt, doch Liam schüttelt den Kopf. "Ich meine wegen Louis, willst du ihn hier zurücklassen?" - "Haha, sehr witzig Liam. Wir sind nicht zusammen und werden auch nicht zusammen kommen. Das hat Louis schon deutlich gemacht und das weißt du auch, also lass das bitte", sage ich schnell und wende mich wieder meinem Rechner zu. "Sorry", murmelt Liam noch und widmet sich dann schließlich auch seiner Arbeit zu.

_____

Und was meint ihr? Werden Liam und Harry, oder nur einer von beiden, das Angebot annehmen?

Und was würdet ihr machen?

Escape and follow - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt