Siebenundfünfzig

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Der Flug zieht sich.

Doch als ich gegen 23:30 Uhr endlich aus dem Taxi steige, welches mich vom Flughafen zu Louis' und Katies Wohnung gebracht hat, bin ich einfach nur erleichtert. Vor Ort zu sein, macht das Ganze einfacher. Ich schlage die Beifahrertür hinter mir zu, schultere meine Tasche und gehe zum Hauseingang, während ich mein Handy aus der Hosentasche ziehe.

Die große Tür ist verschlossen, doch um diese Uhrzeit will ich nicht klingeln. Stattdessen wähle ich die Nummer von Zayn, welcher mir versprochen hat, wach zu bleiben, bis ich da bin. Es dauert nur zwei Sekunden, da nimmt er auch schon das Gespräch entgegen. "Hey, ich bin da und stehe unten. Kannst du mir bitte aufmachen?", frage ich ihn. "Ja natürlich, warte einen Moment."

Ich beende das kurze Telefonat wieder und warte dann auf das Surren, welches mir sagt, dass der Türöffner betätigt wurde. Während ich Stufe für Stufe die Treppe hinaufsteige, werde ich immer nervöser, habe ich doch keine Ahnung, was mich gleich erwartet.

Der schwarzhaarige beste Freund von Louis wartet bereits an der Tür auf mich und lässt mich auch sogleich eintreten. "Hi Harry", grüßt er und man sieht in seinem Gesicht die Erleichterung. "Hallo", sage ich leise und schlüpfe aus meinen Schuhen, um diese ordentlich abzustellen. Im Flur ist es dunkel, denn nur das Licht aus dem Wohnzimmer scheint durch einen Türspalt. Stimmen vom Fernsehprogramm dringen auch in mein Ohr und fragend schaue ich zu Zayn. "Ist er noch wach?" - "Nein, er ist vor einer Stunde ins Bett gegangen. Komm mit, Katie wartet auf uns."

Gemeinsam tapsen wir über den schmalen Flur und huschen in den Wohnraum, wo ich auch direkt Louis' Mitbewohnerin entdecke. "Harry", haucht sie und kommt stürmisch auf mich zugelaufen, ehe sie mich in eine Umarmung zieht. "Oh Gott sei Dank bist du da. Auf dich wird Louis hören", krächzt sie dankbar, als wäre ich Dschinni aus der Wunderlampe höchstpersönlich, der nun ihre Wünsche erfüllt.

Schön wär's.

"Hallo Katie", sage ich auch und löse mich wieder von ihr. Wir setzen uns auf die Couch und sofort will ich wissen, ob Louis noch etwas mitgeteilt hat. Doch zu unser aller Bedauern, wissen wir nicht mehr, als die Bruchstücke, die er Zayn erzählt hat. Ich überlege hin und her, ob ich Louis nicht vielleicht doch wecken soll, allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass er die letzten Tage wenig geschlafen hat.

Eigentlich sollte ich auch müde sein, habe ich doch eine verdammt kurze Nacht und einen ziemlich anstrengenden Arbeitstag hinter mir, gefolgt von dem Flug und der Zeitumstellung. In Hamburg hätten wir schon kurz vor 1 Uhr, dennoch bin ich hellwach. "War denn irgendetwas anders die letzten Tage? Oder hatte er Besuch?", erkundige ich mich.

"Nein, es war niemand hier. Jedenfalls nicht, wenn ich da war. Am Tag deiner Abreise war er nur ein paar Stunden weg, aber sonst nichts", erwidert Katie und zuckt mit den Schultern. "Naja und mich hat Liam ja erst gestern Abend informiert. Und als ich heute mit Louis sprechen konnte, ist er irgendwann eingeknickt, hat ein paar Tränen verloren und mir das erzählt, was ich dir auch schon gesagt habe. Er war total durch den Wind." Verstehend nicke ich, denn ja, das hatte er mir erzählt.

"Hat Louis gesagt, wer es war?", frage ich. Katie schüttelt den Kopf und schaut zu Zayn, welcher auch sofort ihren Blick erwidert. "Nein, hat er nicht, aber ich denke, es war Robin." Diese Vermutung habe auch ich, doch nur Louis kann das bestätigen. Seufzend fahre ich mir durch die Haare.

"Das glaube ich auch. Ich weiß ja nicht, aber...", ich halte inne, als ein Geräusch aus der Küche kommt. Schluckend starre ich zur Zimmertür und bin wie festgefroren. Natürlich kann das lediglich mein Freund sein, nur plötzlich stelle ich mir die Frage, was ich mache, wenn das alles doch keine Erpressung war und Louis mich loswerden wollte.

"Na los, geh schon", flüstert Katie neben mir und schlägt leicht gegen meinen Oberarm und zieht mich so aus meiner Starre. Schnell hole ich noch einmal tief Luft, ehe ich mich aufrapple und leise zur Tür gehe. Ich trete über die Türschwelle und schleiche wieder über den Flur, bevor ich im Türrahmen der Küche stehen bleibe.

Dort steht er wirklich. Louis hat nur das kleine Licht über dem Herd angemacht und steht mit dem Rücken zu mir. Der Wasserkocher blubbert und auf der Arbeitsfläche steht eine leere Tasse. Mein Freund streckt sich zum oberen Küchenschrank, von dem ich weiß, dass dort sein Tee steht und lässt so ein Stück nackte Haut seines Rücken blitzen. Auch wenn meine Anwesenheit ein ernster Grund ist, muss ich doch etwas lächeln, als ich ihn so auf seinen Zehenspitzen stehend sehe.

Erst als er wieder den Schrank geschlossen hat und gerade steht, räuspere ich mich. "Hey Lou", sage ich leise. Anscheinend ist es dennoch zu laut, denn Louis zuckt zusammen, wirbelt einmal umher und wischt dabei die Tasse von der Arbeitsfläche, die daraufhin quer durch die Küche fliegt, ehe sie klirrend in hundert Einzelteile zerscheppert.

Weder Louis noch ich schenken ihr Beachtung, denn sofort bin ich wieder in seinem Blick gefangen, als er mich mit großen Augen ansieht. "Harry... was...", haucht er ungläubig und schüttelt den Kopf mit zusammengekniffenen Augen, so als würde ich dann verschwinden. Ich kann mir das nicht mit ansehen und mit vier großen Schritten bin ich bei ihm, will ihn umarmen, halte jedoch inne, als er seine Augen erschrocken aufreißt. "Nein! Was tust du hier? Du... du musst verschwinden...sofort."

Er schiebt Panik, doch natürlich lasse ich mich ganz bestimmt nicht von ihm wegschicken. "Louis, ich weiß Bescheid. Wir schaffen das", sage ich leise, lächle ihn an und hebe vorsichtig meine Hand, um ihm über die Wange zu streichen. Sein Gesicht ist schmerzhaft verzogen und seine Augen geschlossen, als an seiner Wange eine Träne hinunterkullert, die ich sofort mit meinem Daumen wegstreiche. "Wie kannst du hier sein? Das muss ein Traum sein... du hasst mich doch", haucht er, woraufhin es mit meiner Zurückhaltung vorbei ist. "Nein, das stimmt nicht", sage ich, lege dabei einen Arm um seinen Nacken, ziehe ihn zu mir und spüre auch gleich, wie er seine Finger in mein Shirt krallt. "Ich hasse dich nicht... ganz im Gegenteil... ich liebe dich. Du bist meine Welt", wispere ich in sein Ohr. Umgehend bemerke ich ein bebendes Wimmern von meinem Geliebten und drücke ihn daher noch etwas enger an meine Brust. Mein Herz blutet. Ihn so zerstört zu erleben, ist furchtbar.

Ich schwöre, wenn ich den Schuldigen in die Finger kriege, mache ich Hackfleisch aus ihm!

Es dauert einige Momente, bis sein zitternder Körper sich etwas beruhigt hat. Ich ziehe meinen Kopf ein Stück zurück, sodass ich ihn ansehen kann, löse mich aber nicht aus der Umarmung. Unsicher hebt auch Louis seinen Blick. In seinen Augen liegen Schmerz, Bedauern, Schuld und Reue, doch natürlich kann und werde ich ihm nicht böse sein. Es ist keineswegs seine Schuld, dass es solch gehirnamputierte Menschen auf der Welt gibt. "Es tut mir so leid. Ich wollte das nicht. Ich-", haucht er, doch ich unterbreche ihn direkt. "Ist schon gut. Wir reden morgen darüber. Lass uns jetzt schlafen", bestimme ich sanft, woraufhin Louis auch sofort nickt. "Geh schon mal ins Bett. Ich mache dir eben deinen Tee fertig und bringe ihn dir gleich."

Seufzend reibe ich mir übers Gesicht, als Louis die Küche verlassen hat. Zum Glück hat er mich an sich rangelassen. Ich hatte schon befürchtet, dass das ein schwieriger Kampf wird und dass er sich gegen jegliche Berührung und Unterhaltung sträubt. Gott sei Dank war dem nicht so. "Und?", höre ich Zayns Stimme, der mitbekommen haben muss, wie Louis die Küche verlassen hat. "Wir reden morgen darüber. Aber immerhin, hat er es bei einem einzigen kläglichen Versuch gelassen, mich wegzuschicken." - "Okay, gut. Dann... fahr ich jetzt nach Hause. Ist das in Ordnung?", fragt er mich und schnell nicke ich. "Ja klar. Fahr ruhig, ich kümmere mich um ihn." - "Alles klar. Wenn was sein sollte, kannst du mich aber jederzeit anrufen."

Fünf Minuten später ist Zayn aus der Wohnungstür verschwunden, ich habe Katie eine gute Nacht gewünscht und mit der gefüllten Tasse tapse ich ins Schlafzimmer. Louis liegt unter der Decke und langsam stelle ich den Tee auf seinen Nachtschrank. Gerade als ich einen Schritt zurücktrete, spüre ich seinen Griff ums Handgelenk. "Bitte geh nicht. Verlass mich nicht", wispert er und schaut mich leicht panisch an, als er sich aufsetzt.

Ich schlucke bei seinem ängstlichen Blick, weil es mir selbst so weh tut. "Was denkst du, wo ich heute Nacht schlafe? Ich verlasse diesen Raum heute ganz sicher nicht mehr", beteuere ich und lächle ihn an. "Oh", sagt er nur und langsam ziehe ich meinen Arm aus seiner Hand, damit ich mich von meiner Jeans, meinem Shirt und den Socken befreien kann. Rasch lösche ich noch das Licht und krabble dann zu ihm ins Bett. 

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Hach... wieder vereint :)


Escape and follow - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt