Das Glas lag zerschellt auf dem Boden, aber ich war nicht in der Lage mich zu rühren. Was Kaden mir gerade gestanden hatte, fühlte sich an, als wäre ein Laster mit 150kmH frontal mit mir zusammengestoßen. Seine Mate war markiert worden und das nicht von ihm. Da wunderte es mich jetzt überhaupt nicht mehr, warum er niemanden an sich heranzulassen schien und immer so extrem kühl zu allem und jedem war. Ich lebte schon viel länger hier auf Erden, als die anderen und noch nie bin ich jemanden begegnet, dessen Mate schon markiert war. Ich konnte mir nicht ansatzweise vorstellen, wie es damals für Kaden gewesen sein musste. Ich hielt mich an der Arbeitsplatte fest, während ich mich zu ihm drehte, um nicht auf den Scherben auszurutschen. Er ließ sich hängen und hatte verzweifelt die Hände in den Haaren vergraben. Ich konnte verstehen, warum er den anderen nicht gegenüber treten konnte und es auch nicht wollte.
"Kyra, hör auf damit.", mahnte er.
"Womit aufhören?", fragte ich und hatte keine Ahnung was er meinte. Die Glasscherben knirschten leise, als ich mich auf ihn zu bewegte. Seine blassgrünen Augen glänzten. Kaden hielt seine Tränen zurück.
"Hör auf mich so mitleidig anzusehen. Wenn ich eines nicht ab kann, dann ist es bemitleidet zu werden. Egal von wem.", sagte Kaden und ich schüttelte leicht den Kopf. Da war er wieder. Dieser grummelige, unausgeglichene Lykaner, der er war. Ich setzte mich auf den kleinen Couchtisch und hoffte, als er unter meinem Gewicht ächzte, dass er nicht zusammenbrechen würde und musterte dann Kaden aufmerksam.
"Ich bemitleide dich nicht und ich werde die letzte sein, die dich dafür bemitleiden würde.", entgegnete ich und sein Kopf schoss Augenblick nach oben. "Es war letztendlich euer beiden Entscheidung, die niemand von euch jetzt noch rückgängig machen kann. Es ist nunmal so. Aber ich bemitleide deine Art, wenn ich ehrlich bin. Ihr seid schlimmer als Menschen. Ihr macht euch abhängig vom einer einzigen Person, die gleichzeitig euer ganzes Leben und euer Tod ist. Mir ist klar, dass, wenn ihr eure Gefährtin findet es das größte Glück auf Erden gibt, aber der Preis, den ihr am Ende zahlen müsst ist groß. Deswegen bemitleide ich euch. Ihr seid abhängig von eurem Partner und könnt nicht ohne ihn leben, aber gleichzeitig gebt ihr euer Leben auch auf und habt ständig Angst, dass dem anderen etwas passiert. Auf mich wirkt es so, als wäre die Mondgöttin der Teufel an den ihr eure Seele verkauft um glücklich zu werden."Ich hatte über vierhundert Jahre mit den Lykanern verbracht und wusste teilweise mehr über ihre Art, als sie selbst. Und in all diesen Jahren, musste ich mit ansehen, wie Lykaner ihre Gefährten fanden und das größte Glück durchlebten, aber ich musste auch mitansehen, wie sie durch sie zugrunde gingen. Ich glaubte nicht an den Himmel oder die Hölle, an Engel oder Teufel - ja, ich glaubte noch nicht einmal an die Mondgöttin. Aber selbst für mich, war dieses Schicksal der Lykaner die reinste Höllenfahrt.
"Wahrscheinlich hast du recht.", gestand er nach einiger Zeit. "Aber daran kann niemand von uns etwas ändern, Kyra. Egal wie sehr wir uns das wünschen würden. Aber es ist immerhin das kleinere Übel, als sein ganzes Leben darauf zu warten, dass man die Liebe seines Lebens findet, wie es die Menschen tun." Ich konnte nur zustimmend nicken. Das stimmte, auf eine irgendwie verkorkste Art.
"Danke, Kyra.", meinte Kaden irgendwann. "Dafür, dass du mich deswegen nicht bemitleiden tust." Ich zwang mich als Antwort zu einem kleinen Lächeln. Wenn Kaden wollte, konnte er sich auch einmal nicht wie ein Arschloch in Lykanerform benehmen. Aber mir war nach diesem Gespräch mehr als deutlich geworden, warum er so war, wie er eben war. Doch auf einmal tauchte ein fieses Grinsen in seinem Gesicht auf, für das ich ihn am liebsten geschlagen hätte.
"Weißt du, Kyra, für eine Frau in deinem hohen Alter, bist du eigentlich noch wahnsinnig fit im Kopf.", sein Grinsen verriet mir, dass er nicht länger in der Vergangenheit herumwühlen, stattdessen aber mich ärgern wollte. Bitte, das konnte er haben.
"Tja, wenn du wüsstest.", entgegnete ich und lehnte mich zu ihm. "Mein Verstand ist nicht das einzige an mir, das noch mehr als fit ist, Kaden." Das dämliche Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter, selbst als das Handy in seiner Hosentasche läutete, behielt er es bei, bis sich Lee am anderen Ende der Leitung meldete und wissen wollte, ob er noch immer bei mir war.
"Ja, wieso?", fragte er grimmig, doch um Lee's Antwort zu hören, brauchte er noch nicht einmal das Handy laut stellen. "Ihr solltet sofort her kommen und euch das ansehen!" Die Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

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Wolfsblut - Adanyi
Lobisomem~ Weißt du, was du bist? Für Melania hat sich alles schlagartig geändert und in eine völlig andere Richtung entwickelt, als erwartet. Doch ein neues Gesicht taucht in der Stadt auf und die mysteriöse Kyra scheint alles andere als normal zu sein, abe...