Mir stehen die Teller bis hier

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Johannes führte mich zu einer der hinteren Türen. Alles schien hier aus massivem, dunklem Holz zu sein. Ich mochte Schiffe immer schon. Aber dieses hier war ein ganz anderes Kaliber. Wir betraten eine spärlich eingerichtete Küche, wo in der Ecke eine Decke (das reimt sich hihi) ausgebreitet lag. "Habt ihr einen Hund?", fragte ich verwundert. Der Junge schüttelte belustigt den Kopf. "Das ist mein und nun auch dein Schlafplatz." "Wow. Gemütlich." Er lachte hell auf und ich lächelte. Er führte mich gleich zu der Decke und setzte sich hin. Er bedeutete mir, es ihm gleich zu tun. "Nachts wird es ein bisschen kalt, aber jetzt sind wir ja zu zweit, da können wir kuscheln." Er wurde rot. "Also, äh, ich meine natürlich-" Er stolperte über seine eigenen Worte und ich lachte nur. "Alles gut, ich weiß schon." Immer noch rot nickte er. "Wir haben noch ein bisschen Zeit bis die anderen fertig gegessen haben, also erzähl mal, wie bist du hierher gekommen?" Ich wog kurz ab, ob es sicher war, ihm das zu erzählen, entschied dann aber, dass er ungefährlich war. Also setzte ich an:

"Nun, mein Vater lebt auf Hesperidos und meine Onkel in Poseis. Offensichtlich wollte ich mit dem Schiff von meiner Onkel zu meinem Dad fahren. Mir wurde zwar davon abgeraten, aber ich wusste, dass der Wasserweg der schnellste war. Ich nahm ihn also. Die Seemänner auf dem kleinen Kutter waren zwar ehrliche Leute, aber wohl keine allzu guten...nun ja, Seemänner. Wir gerieten in einen kleineren Sturm. Das Schiff wurde zerstört und alle bis auf mich sind verstorben." Ich hielt kurz inne, aus Respekt vor den Toten. "Ich konnte mich nämlich in letzter Sekunde auf ein Beiboot retten und ich weiß nicht, wie, aber ich habe den Sturm überlebt. Zwei Tage später war ich hungrig und hatte unglaublichen Durst, aber ich habe noch gelebt. Dann kam der nächste Sturm und ich wurde vom Boot geschleudert. Zuerst konnte ich noch schwimmen, aber nach einer Weile machte sich die Erschöpfung aufgrund der fehlenden Nahrungsmittel und der andauernden Anstrenung bemerkbar und irgendwann konnte ich mich nicht mehr über Wasser halten.
Ich bin gesunken. Und...naja, dann wurde ich wohl gerettet und jetzt sind wir hier." Die Augen des Jungen leuchteten. "Was für eine aufregende Geschichte! Ich kann nicht glauben, dass du noch lebst!" Ich lächelte. "Ich auch nicht, Kleiner. Ich auch nicht."

"Unser Käpt'n hat dich gerettet", rief er mit leuchtenden Augen, "sie hat ihren Hut abgezogen und ist furchtlos ins Wasser gesprungen, trotz des Sturmes! Sie hat dich wie eine Helding gerettet und dann Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht." Er kicherte. Diesmal war ich an der Reihe, rot zu werden. "Oh", war alles, was ich herausbekam. "Du hast Wasser gespuckt, warst dann aber erstmal bewusstlos. Leider hab ich nicht mitbekommen, wie du alles vollgekotzt hast." Er schob schmollend die Unterlippe vor. Ich grinste. "Willst du eine Demonstration?" "Nein, danke." Er schüttelte heftig den Kopf und wir beide prusteten los. Gott sei Dank hatte ich einen Verbündeten gefunden, auch wenn das hieß, ich musste Geschirr schrubben. "Johannes!", rief da eine Stimme. Sofort schreckte der kleine Junge hoch und sprintete aus dem Zimmer. Ich folgte ihm etwas langsamer und auf leisen Sohlen. Da kam er mir schon mit einem hohen Stapel Tellern und Besteck entgegen. "Kannst du den Rest holen?", fragte er und ich sag vor lauter Teller seinen Kopf nicht einmal. Ich nickte, ging den Flur runter und betrat das Zimmer. Während ich das Geschirr einsammelte, spürte ich die gierigen Blicke der Männer auf mir. Ich begriff, dass sie nur von einer Frau geführt wurden, weil sie in der Lage war, sich Respekt zu verschaffen. Diesen musste ich mir erst einmal verdienen. Ich ignorierte sie eifach und trug schwankend alles in die Küche. Ich knallte die Teller mit voller Wucht in die Wanne, in der wir sie waschen würden. Ich hätte sie nicht länger tragen können. Johannes quietschte auf, sagte aber nichts. "Habt ihr hier nicht irgendein High-Tech-Gerät oder so?", fragte ich ihn. Johannes schüttelte nur den Kopf. Ich starrte die volle Wanne an und krempelte meine Ärmel hoch. Das wird eine lange Nacht...

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt