Ein toter Mörder mordet nicht

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Die Soldaten im Raum hatten einen Halbkreis um den Thron gebildet. Der Rat stand zusätzlich dahinter, ebenfalls vor meinem Vater. Der saß auf dem Thron und hatte sich lässig zurückgelehnt. Die anderen konnten es wahrscheinlich nicht durchschauen, aber ich sah, dass sein Unterkiefer zum zerreißen gespannt war. Ein falsches Lächeln huschte sich auf seine Züge, als er mich sah. "Meine Tochter ist endlich wieder zurückgekehrt! Wie ich dich vermisst habe!" Er klatschte begeistert in die Hände. Johannes hob an, um wahrscheinlich irgendein Schimpfwort auszustoßen, aber ich hob die Hand. "Vater!", sagte ich überschwänglich, denn was er konnte, konnte ich schon lange. "Keine Sorge, ich bin gleich wieder weg, aber davor bräuchte ich eine winzige Kleinigkeit." Er hob einladend die Arme. "Was möchtest du denn, Perle?" Ich zuckte aufgrund des Namens zusammen. Ich atmete aus und sagte toternst: "Den Thron." Nun schlich sich das Lächeln auch von den Lippen des Königs. Stattdessen ließ er Wut und Angst die Überhand nehmen und verzog sein Gesicht zu einer Fratze. "Lasst sie ja nicht an mich heran", befahl er seinen Wachen. Ich wusste, dass das seine Elite war. Trotzdem, dachte ich, werden wir sie leicht besiegen können.

Bevor ich darüber nachdenken konnte, was mein nächster Schritt sein sollten, stürzten sich die Wachen gleichzeitig auf uns. Mit zusammengekniffenen Augen überflog ich die Menge. Drei Dutzend. Ich hob mein Schwert. Der Soldat, der sich als erstes an mich herantraute, hatte Angst. Ich konnte es förmlich riechen. Vielleicht war es der Angstschweiß. Er ging viel zu zögerlich vor und hielt sich eher defensiv. Ohne zu zögern stieß ich ihm mein Schwert in den Bauch. Ich warf einen letzten Blick auf ihn und wandte mich dann dem nächsten zu.

Die nächste war mir ebenbürtig. Das merkte ich sofort. Sie hatte die perfekte Balance zwichen Angreifen und Abwehren für sich gefunden. Ich könnte schwören, dass ich sie kannte. Ihr Blick war entschlossen, aber ich sah etwas in ihren Augen, das mir Schauer bereitete. Ich wusste nicht, was. Sie stach nach mir und im letzten Moment wich ich aus. Ich zuckte zusammen, als eine Kugel mich aus dem Nichts in der Hüfte traf. Ich hatte keine Zeit, um den Schützen zu lokalisieren, denn da griff sie wieder an. Diesmal heftiger, sie nutzte meine Schmerzen aus. Ich wehrte ab und konterte. Wiederum wehrte sie ab und irgendwann war es wie ein brutaler Tanz, den keiner gewinnen würde ohne ein Wunder. Und da wusste ich, wer sie war.

"Gib mir meine Puppe zurück!", ruft Saphira mir empört, aber mit einem Grinsen im Gesicht hinterher, als ich mit ihrer Barbie aus dem Zimmer renne. Sie fetzt hinter mir her. Wir sind genau gleich schnell, aber ich habe Vorsprung. Ich biege um eine Ecke und renne mit voller Wucht gegen meinen Vater. Er sieht streng auf mich hinunter. "Was-" Da kommt Saphira und knallt auch noch in mich hinein. Ohne auf meinen Vater zu achten, rennen wir weiter, aber ich habe den Vorsprung verloren und spüre ihre Arme um mich herum. Kreischend fallen wir auf den Boden. Wir rangeln uns und keiner gewinnt die Überhand. Irgendwann ist die Barbie kopflos und unsere Klamotten zerrissen. Beinahe gleichzeitig lassen wir voneinander ab. Dann steht mein Vater über uns und schaut uns vorwurfsvoll an. Das war das letzte Mal, das ich sie gesehen habe...

Ich riss die Augen auf und hielt mitten im Angriff inne. Für einen kurzen Moment vergaß ich alles um uns herum und starrte sie an. Sie starrte zurück. Da wurde ich plötzlich nach vorne geschleudert und ein unglaublicher Schmerz breitete sich in meinem Rücken aus. Bevor ich wusste, was passiert war, bohrte sich mein Schwert in Saphiras Bauch. Sie starrte mich ungläubig an. Dann sagte sie: "Verdammte Scheiße. Du hast mich noch nie fair besiegen können." Sie fiel auf die Knie und rollte sich dann auf den Boden. Ich wollte unter Schmerzen neben sie kriechen, ihr die letzte Ehre erweisen, meiner ehemaligen besten Freundin, aber da traf mich die nächste Kugel an der Schulter und mit einem wütenden Brüllen drehte ich mich um. Endlich sah ich den Schützen. Ich sprang wieder auf die Füße und schoss auf ihn zu. Ich hatte ihm das Schwert ins Herz gestoßen, bevor er überhaupt reagieren konnte.

Endlich hatte ich einen Überblick über das Geschehen. Die Hälfte der Soldaten waren gefallen, aber die andere machte uns schwer zu schaffen. Der Käpt'n und Olivia kamen rückwärts auf mich zu. Als sie neben mir standen, hatte ich drei weitere Soldaten besiegt. Ihre Bewegungen waren für ihre Verhältnisse unglaublich langsam und schwer geworden und sie sahen total müde aus. Sie hatten Ringe unter den Augen, die vor fünf Minuten noch nicht da waren. "STOP!" Wie aus einem Lautsprecher hallte dieses Wort durch den Raum und ich zuckte zusammen. Mein Vater stand mittlerweile vor seinem Thron und blickte mich an. Ein Soldat war neben ihm. Und in seinen Armen Johannes.

Das Blut gefror in meinen Adern. Der Soldat hatte ein Messer an seine Kehle gedrückt. Mein Vater grinste siegessicher, während Johannes' Blick wild hin und her huschte. Panisch sah er mich an. Ein kleiner Rinnsal an Blut bildete sich an seinem Hals, als er versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. Ich packte mein Schwert ganz fest, sodass meine Hand weiß wurde. "Lass ihn los", knurrte ich atemlos. Mein Vater lachte. "Erst legt ihr eure Waffen auf den Boden und ergebt euch." Er machte eine ausladende Geste. "Und all eure nervigen Anhänger da unten auch." Wenn das überhaupt möglich war, drückte ich den Griff meines Schwertes noch fester. Aber wir hatten keine Wahl. Ich beugte much gerade widerwillig herunter, um mein Schwert abzulegen, als Johannes meinen Namen sagte. Ich sah wieder auf. Er schüttelte den Kopf. "Der Junge", hauchte er. "Er ist wie ich." Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass er Nico meinte, den Jungen, der uns in der Stadt angehalten hatte. Mein Augen wurden groß. "Wieso hast du nichts-" Und dann fielen mir die vielen Male ein, in denen er versucht hatte, mit mir zu sprechen. Wie entweder Drama im Vordergrund war oder wir unterbrochen wurden. Er lächelte schief. Dann richtete er seinen Blick auf Olivia. Ich liebe dich, formte er mit seinem Mund, als er plötzlich mit einem Ruck den Kopf nach links riss. Ich stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, der für mich aber lautlos war. Und ab da geschah alles in Zeitlupe. Johannes sank zu Boden, mit durchtrennter Kehle. Er hatte sich geopfert. Für uns. Der Käpt'n rannte auf die Soldaten zu und metzelte sie nieder. Olivia stand einfach da und verarbeitete, was gerade passiert war und ich stand da und schrie. Mein Vater fuhr sich gestresst durch die Haare. Meine Gedanken lenkten sich plötzlich nur auf eine Sache: Rache. Ich hörte auf zu schreien. Meine Schwertspitze richtete ich mit verzerrtem Gesicht auf den Soldaten, der meinen besten Freund getötet hatte. Er sah mich mit Furcht in den Augen an. Ich ging langsam auf ihn zu. Ich ließ mich von nichts beirren. Eine eiserne Ruhe legte sich auf mich. Ich stieg die Treppen zur Empore hoch. Niemand wagte es, sich mir in den Weg zu stellen. Er wehrte sich nicht. Ich konnte sehen, wie das Leben aus seinen Zügen wich. Zum ersten Mal bereitete es mir Freude, jemanden zu töten. Ich ließ mein Schwert in ihm stecken und sank neben Johannes auf die Knie. Seine Augen waren glasig und starrten leer an die Decke. Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen. Ich schloss seine Augen. "Was hast du nur getan, du dummer Junge?", flüsterte ich. Ich fühlte nichts. Und diese Leere tat mehr weh als jeder Schmerz, den ich hätte fühlen können. Ich richtete mich wieder auf und drehte mich mit ausdruckslosem Gesicht zu meinem Vater um. Der hob abwehrend die Hände. "Perle, ich wollte ihn doch nie umbringen!" Mit einem Schmatzen zog ich mein Schwert aus dem toten Mörder. Ich ging langsam auf den König zu. "Der wie vielte?", zischte ich. "Wie viele vor ihm? Wie viele? Du führst Buch über all die Menschen, die du getötest hast, hast aber trotzdem keine Ahnung. Mörder. Mörder. Mörder." "P-perle, er war selbst schuld! I-ich-" Ich stieß ihn von der Treppe. Als er unten aufschlug, hörte ich mehrere Knochen brechen. Er stöhnte. Langsam stieg ich ihm hinterher. Ich richtete meine Schwertspitze auf seine Kehle. "Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich habe dich gehasst, seit du mir Saphira weggenommen hast, aber woher soll ein kleines Mädchen wissen, was man für seinen Vater fühlen sollte? Du hast mir alles genommen. Meine beste Freundin, meine Freiheit, mein Leben. Einfach alles. Damit ich deine persönliche kleine Marionette werde. Ich hasse dich. Und ich habe jedes Recht, dich zu töten." Er wimmerte vor Angst und ich hielt inne. Und da traf es mich wie ein Schlag. Mein bester Freund ist tot. Mit einem erstickten Schrei fiel ich auf den Boden. Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen und schluchzte. Tränen liefen mir wie Flüsse aus den Augen und mein Herz drohte zu zerbrechen. "Atlas-" "MONSTER", schrie eine Stimme über uns und Olivia bohrte ihr Schwert in seine Brust. Fast sofort sprudelte Blut aus seinem Mund. Er griff nach meiner Hand und bevor ich die wegziehen konnte, sagte er: "E-es tut m-mir leid." Sein Blick wurde leer und mit ihm starb der letzte Funken Hass in mir. Um mich herum erstarb das Klirren der Waffen. Wir hatten gewonnen. Wir hatten tatsächlich gewonnen. Aber zu welchem Preis...?

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt