Singen wir schief? Niemand weiß es...

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"Hey", sagte ich verlegen. Ich bekam keine Antwort, nicht einmal eine Regung ihrerseits. Ich holte tief Luft. "Hör zu. Ich weiß, du hasst mich und du hast auch jeden Grund dazu, ich habe viele große Fehler gemacht. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber ich habe sie aus gutem Grund gemacht. Genauso wie du wollte ich euch immer beschützen. Ich...weiß, dass du mir trotzdem nicht vergeben wirst. Kannst du mir wenigstens sagen, wo die anderen sind?" Sie sagte nichts, aber aus einer der anderen Zellen wurde gerufen: "Wissen wir nicht. Aber es ist möglich, dass sie fliehen konnten." Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung. Ich atmete tief aus.

"K-Käpt'n, ich weiß nicht, auf wie viele Weisen ich mich noch entschuldigen kann. Bitte, gib mir noch eine Chance. Oder sag mir wenigstens, was ich tun kann, damit du mich nicht mehr hasst!" Immer noch schwieg sie wie ein Grab. Ich hatte mittlerweile Tränen in den Augen, ich hatte mich noch nie so ohnmächtig gefühlt. Die Person, die ich seit drei Jahren liebte, war hinter Gittern und hasste mich auch noch. Mein bester Freund war spurlos verschwunden, so wie meine halbe Familie. Und ich kann nichts dagegen tun. Ich sank auf die Knie. Es war, als hätte nun endlich auch mein Körper verstanden, dass es keinen Grund mehr gab, um weiter zu existieren. Dass es keinen Grund mehr gab, stehen zu bleiben. Dass eh alles sinnlos war. Schluchzend und mit dem Gesicht in meinen Händen saß ich da und ließ zu, dass mich alle dabei sahen, wie meine Welt zusammenbrach.

Plötzlich hörte ich aus der Zelle neben der des Käpt'ns Marcus' raue Stimme eine Melodie summen, die mir nur zu bekannt war. Die Stimme wurde lauter und irgendwann stimmte ein Zweiter ein. Dann ein Dritter, ein Vierter und bald alle Insassen. Mir liefen Schauer über den Rücken. Das Lied des Meeres. Wir hatten es jeden Abend an Bord gesungen, wenn uns schlecht zumute war oder jemand aus unseren Reihen von uns gegangen war. Ich horchte nun leise dem Text des Liedes:

Sanft wiegt die See mich in den Schlaf
Wenn der größte Sturm in mir wütet
Wenn es mich nach Zuhause bedarf
Weiß ich, das das Meer mich trotzdem hütet

Das Lied des Meeres singen wir
Für immer, mein Freund, das sag ich dir

Sanft wiegt die See mich in den Schlaf
Wenn das Herz gar so schmerzt
Wenn ich mich selbst ewig straf
Weiß ich, dass das Meer die Pein ausmerzt

Das Lied des Meeres singen wir
Für immer, mein Freund, das sag ich dir

Sanft wiegt die See mich in den Schlaf
Wenn die Welt sich fremd anfühlt
Wenn sich der Freund als Lügner entlarvt
Weiß ich, dass das Meer das Brennen kühlt

Das Lied des Meeres singen wir
Für immer, mein Freund, das sag ich dir

Und wenn die See doch stürmisch ist
Wenn sie sich auftürmt wie ein Berg
Hoffe ich, dass sie mich heut' nicht frisst
Damit mein Schiff noch weiter fährt

Das Lied des Meeres singen wir
Für immer, mein Freund, das sag ich dir

Das Lied klang aus. Meine Tränen waren versiegt, aber ich war wieder kurz davor zu weinen. Diesmal waren es allerdings Freudentränen. Ich war unendlich gerührt. Selbst, nachdem sie wussten, dass ich die Prinzessin war, hielten sie zu mir. Selbst, nachdem ich sie auf schlimmste Weise betrogen hatte. Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Dann stand ich wieder auf. Ich werde nicht brechen. Niemals. Wenn nicht für mich, dann für sie. Ich stand auf und stellte mich so nah an die Zelle des Käpt'ns wie möglich. "Du darfst mich hassen. Ich habe es verdient. Aber ignoriere mich nicht. Wir müssen euch da rausholen. Ich schaffe das nicht ohne dich!" Eine Weile geschah gar nichts, dann richtete sie ihren kalten Blick auf mich. Ich atmete erleichtert auf. "Für meine Männer." Ich nickte. "Für deine Männer."

"Prinzessin!" Ich drehte mich ruckartig um. In der Tür standen die beiden Wächter, kampfbereit ihre Waffen vorgestreckt. "Alles in Ordnung bei Euch? Wir haben viele Stimmen gehört. Man darf hier nicht reden." Ich drückte meinen Rücken weiter durch, um mir mehr Autorität zu verschaffen. Dann hob ich verächtlich eine Augenbraue. "Und...was genau ist das Problem daran?" Sie sahen sich an und jetzt schien ihnen die ganze Situation peinlich zu sein. Aber ich nickte, es wäre keine gute Idee, noch viel länger hier zu verweilen.

"Ich komme mit euch", sagte ich. Ich warf einen Blick auf den Käpt'n, die mich nur unverwandt ansah und setzte mich dann in Bewegung. Ich versuchte, in jede Zelle hinein zu schielen, um zu wissen, wer inhaftiert und wer verschwunden war. Wieder stach mein Herz bei dem Gedanken, dass Johannes tot sein könnte. Ich bestieg vorsichtig die Treppen und ließ die Wächter zurück. Gerade, als ich dachte, ich hätte erfolgreich und ohne Aufsehen meine "Mission" abgeschlossen, erschallte hinter mit klar und deutlich die herrische Stimme meines Vaters: "Atlas Hestia Sophia Peloponnesis von Hesperidos!" Scheiße...

Hallo Menschen,
ich würd sagen, das Kapitel war mal ziemlich anstrengend (hust, das Lied, hust), ich hoffe, ihr habt es einigermaßen unterhaltsam gefunden. Ich weiß nicht, ob ihr die Namen komisch findet oder so, aber sie sind alle auf der Griechischen Mythologie basiert, also klingen sie natürlicherweise so. Sorry, wenn ihr das doof findet.
Meh...
Peace out,
Eure Vidka😁❤

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt