Nein, hierfür gibt es auch keinen lustigen Titel

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"Das halte ich für eine schlechte Idee. Ihr Vater soll ja denken, dass wir sie wirklich in Gefangenschaft haben." "Aber-" "Nein. Nein, darüber diskutiere ich nicht. Aber theoretisch könnten wir sie befördern. Das wäre ein Kompromiss. Denn weil sie fliegen kann, kann sie sicher besser als jeder andere hier Segel einholen. Und mittlerweile sollte sie Erfahrung darin haben." "Ja okay, da stimme ich dir zu. Dann ist das beschlossen." "Müssen wir uns nicht Sorgen machen, dass sie wegfliegt?" "Nein, zum Wegfliegen ist die nächste Insel viel zu weit entfernt." "Wir könnten sie auch tauschen!" "Gegen was denn bitte?" "Unsere Freiheit!" "Ja, sicher und der König wird uns, ein ganzes Schiff voller Demirobots, sicher einfach so ziehen lassen, nachdem er das Druckmittel wieder hat." "Dann halt nicht. Aber auf Dauer wird sie uns nichts nützen." "Das werden wir noch sehen. Immerhin ist sie so etwas Ähnliches wie eine Neukreation. Nun ja. Michael, mit dir muss ich kurz noch etwas besprechen, der Rest ist entlassen."

Wir versteinert stand ich da. Gerade hatten wildfremde Menschen (und Olivia) ((und der Käpt'n)) über mein Schicksal entschieden. Ich wurde nicht einmal gefragt. Warum sollte ich überhaupt hochkommen? Ich kratzte mich am Kopf. Ich spürte den leisen Ärger beständig in meinem Bauch brodeln. Seitdem ich sie kannte, hatten mich alle wie das letzte Stück Dreck oder wie eine Sache, die man tauschen kann, behandelt. Ich durfte nicht ein einziges Mal das Wort erheben. Als wäre ich eine Puppe. Als wäre ich umtauschbar. Ich ballte die Fäuste, entspannte sie wieder und zählte bis Zehn.

"Ah Prinzessin, mit dir würde ich gerne auch noch reden. Komm her." Wie in Trance ging ich zu Olivia und setzte mich neben sie. "Die meisten Urteile hast du ja mitbekommen. Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung. Du schläfst ab jetzt bei der Mannschaft und ich erwarte dich jeden Morgen als Erste an Deck, verstanden?" Ohne auf meine Antwort zu warten, fuhr sie fort: "Ah ja, und weißt du zufällig, was unser lieber Käpt'n und Johannes im Schilde führen?" Sie klimperte mit den Augenbrauen. Ich starrte sie ungläubig an und presste nur ein "Nein" durch meine Lippen hervor. Sie nickte. "Dachte ich mir schon. Dir vertraut sie genauso wenig wie mir. Naja. Dann bist du auch frei zu gehen. Tüdelü!"

Könnte man meine Gedanken von außerhalb hören, würde ein furchtbarer Lärm durch die Gänge des Schiffes bis zur nächsten Insel dröhnen. Man würde nichts verstehen, höchstens Fetzen. Man würde sich schreiend die Ohren zuhalten und einfach nur wollen, dass es aufhörte. Nach zwei Stunden stand ich ruckartig auf wackeligen Beinen auf und versuchte möglichst, niemandem aufs Gesicht zu treten. Ich eilte mit einer Decke umwickelt an die frische Luft und atmete tief ein.

Da bemerkte ich eine Gestalt an der Reling lehnen. Es sah schon fast aus, als würde sie sich kopfüber ins Wasser stürzen wollen. "Hallo?", rief ich. Die Gestalt zuckte zurück und ich konnte im schwachen Mondlicht die Konturen von einem altbekannten Freund sehen: Brosnan. "Brosnan?! Was machst du da?"  Er drehte sich wieder weg. Ich ging langsam auf ihn zu. "Alles okay?" Er ließ ein verächtliches Schnauben verlauten. "Seit wann interessiert dich das bitte? Bist du nicht zu sehr damit beschäftigt, über dein Liebesleben zu grübeln und wegen deinem dummen Schwert zu heulen?" Ein paar Meter hinter ihm blieb ich stehen. "Warte...was?" Er fuhr herum und starrte mir in die Augen. "Du hast keine Ahnung, wie sich richtiger Schmerz anfühlt, du naives Kind!" Verwirrt sah ich ihm in die Augen. Es war keinerlei Schmerz in seinen Augen, nur Leere. "W-was ist denn los?", fragte ich. Ich war verwirrt. Was ist denn plötzlich mit ihm los? "Nichts, verdammt. Lass mich." Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, aber er wich mir aus. "Brosnan-" "KLAPPE!" Ich zuckte zurück. "I-ich will nichts hören. Kein 'was ist denn los, Brosnan?', kein 'alles okay, Brosnan?' und erst recht kein 'es wird alles gut, Brosnan'. Ich bin so müde." Ich stand einfach da. Ich hatte keine Ahnung, wie ich handeln sollte, wie ich ihm helfen konnte.

"Brosnan-" "Nein. Bitte. Einfach nein." Er stand mit dem Rücken zu mir, aber ich musste etwas tun. Also folgte ich meinem altbekannten Instinkt und warf ich mich gegen ihn. Ich gab ihm einfach von hinten eine Umarmung. Zuerst versuchte er noch, mich abzuschütteln, ließ es dann aber zu. Nach einer halben Ewigkeit drehte er sich um und vergrub sein Gesicht in meinem Hals. Ich streichelte seine Haare. So blieben wir einfach stehen. Vielleicht zehn Minuten, vielleicht zwei Stunden, es hätten auch zwei Jahre sein können. Irgendwann löste er sich von mir, aber ich hielt ihn fest, sodass ich ihm in die Augen blicken konnte. "Okay. Was ist los?" Er zögerte einen Moment, dann krempelte er seinen linken Ärmel hoch.

Fassunglos starrte ich auf die vielen, geraden Narben, die sich zwar gleichmäßig, aber nicht gleich tief auf seinem Arm reihten. Ich hatte sie nie davor bemerkt. Weil er immer lange Ärmel getragen hat. Selbst, wenn es warm war. Ich hätte mich selbst dafür schlagen können, dass ich es nicht früher bemerkt hatte. Ich nahm ganz, ganz vorsichtig seinen Arm und betrachtete die frische, rote Wunde. "Du magst es nicht glauben, aber deine Untertanen haben auch eine Geschichte. Die hat jeder." Ich sah ihn unverwandt an. "Ich weiß", sagte ich, aber meine Stimme brach. Ich schluchzte auf. Nein, ich wusste es nicht. Es hat mich auch nie interessiert. Ich bin so ein Egoist. Diesmal war es Brosnan, der mich in den Arm nahm, um mich zu beruhigen.

Nachdem meine Tränen getrocknet waren, nahm er meine Hände und sah mich an. "Kein Wort zu niemandem. Klar?" Ich nickte und verschloss meinen Mund wie einen Reißverschluss und schmiss den Schlüssel weg. "Kann ich dir eine Frage stellen?" Er wartete. "Warum?" Er atmete laut aus. "Da- da ist so eine Leere in mir. Das hier lässt mich wenigstens irgendetwas fühlen. Aber danach fühle ich mich meistens noch schlimmer. Es ist wie eine Droge. Außerdem-" "Außerdem?" Er kratzte sich am Hinterkopf. "Sag mal, hast du dich jemals falsch in deinem Körper gefühlt? So...als wärst du eigentlich gar keine Frau?" Ach du Baum...

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt