Das Schlachtfeld sah schrecklich aus. Überall lagen Leichen, Soldaten und Widerstandskämpfer gleichermaßen. Ein paar wurden bereits verarztet, aber ich sah noch viele Menschen stöhnend auf dem Boden liegen. Ich hatte keine medizinische Ausbildung, aber irgendwie musste ich ja helfen können, vor allem, da ich die einzige war, die vom Toxicum Ferrum unbetroffen war. Also flog ich wie beim letzten Mal hin und her, holte Bandagen, Wasser, Lappen oder Menschen. Nach kurzer Zeit merkte ich aber, dass ich schwächer wurde. Unnormal schwächer. Jedes Mal, wenn ich zu nah an die Mauern oder ans Schloss flog, sackte ich ein Stückchen ab. Ich begann Flüsse zu schwitzen und fühlte mich unglaublich wund. Außerdem pochte ein hohler Schmerz hinter meiner Stirn.
Ich brachte gerade eine Frau, die etwas älter war als ich vom Schloss in das provisorische Krankenlager. Als ich sie absetzte, sah ich, wie der Käpt'n mir einen besorgten Blick zuwarf. Ich lächelte ihr ermutigend zu, wobei meine Lachmuskeln einen Krampf bekamen. Ich hielt mir das Gesicht, als ich zurück zum Schloss flog. Gerade war ich direkt über der Mauer, da spürte ich, wie plötzlich alle Muskeln auf einen Schlag versagten. Ohne zu wissen, was gerade geschehen war, landete ich mit einem ordentlichen Knacks auf den Zinnen. Gott sei Dank zerrte mich die Ohnmacht in ihre Dunkelheit, bevor der Schmerz überhaupt daran denken konnte, mich in sein gleißendes Licht zu schleudern.
Die Sonne fiel mir ins Gesicht und riss mich aus dem wohltuenden Schlaf. Unwillig drehte ich mich in eine andere Position und wurde jäh von einem Blitz, der sich durch meinen ganzen Körper zu winden schien, durchzogen. Ich unterdrückte einen Schrei. Ein kümmerliches Wimmern nahm seinen Platz ein. Sofort wurde der Vorhang, der den Eingang zum Zelt darstellte, zurückgerissen. Mit ihrem üblich besorgten Gesicht setzte der Käpt'n sich auf die Bettkante. "Alles in Ordnung?", fragte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Ich bin immun gegen Toxicum Ferricum, wie konnte das passieren?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Der Käpt'n seufzte. "Tom geht davon aus, dass die Spritze weder hilfreich noch überflüssig war, sondern dir eher geschadet hat. Aufgrund irgendwelcher endlosen und wissenschaftlichen Erklärungen hat das Zeug dich für einen kürzeren Zeitraum all die Schmerzen erleiden lassen, die dein ganzes Leben lang nicht existiert haben." Ihr Blick wurde dunkel. "Du hast zwei Tage geschrien." Ich erstarrte. Sie merkte sofort, dass mir das unglaublich peinlich war. Bevor ich etwas dergleichen sagen konnte, schüttelte sie energisch den Kopf. "Du kannst nichts dafür. Keiner hier beschuldigt dich, du wirst dafür bewundert, dass du trotz der Schmerzen so lange geholfen hast und dann nicht gestorben bist. Wir sind alle stolz auf dich. Du hast das alles hier erst möglich gemacht. Die Schreckensherrschaft deines Vaters ist vorbei. Wir sind frei." Sie stockte. "Wir...wir sind frei." Ich setzte mich langsam und unter Schmerzen auf. Ich wollte diesen Moment nicht zerstören, aber meine Gedanken waren endlich auf meine Freunde gefallen. "Geht es...geht es allen gut?" Der Blick des Käpt'ns wurde traurig. "Wir haben drei Viertel unserer Männer verloren, also den Umständen entsprechend. Niemand wurde nach dem Tod des Königs verletzt. Tom und Freya geht's gut, aber ich glaube, Olivia hat doch ein Herz, denn es ist gebrochen." Ich zuckte zusammen. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss. Wenn ich dich-" Ich hielt inne und schlug mich innerlich. Der Käpt'n hob eine Augenbraue und grinste leicht. "Wenn du mich...was?" Ich wurde rot. "Ich...ähh-" Wir kannten uns so lange und doch machte sie mich jedes Mal aufs Neue verlegen. Meine Gedanken wanderten zu Johannes. Wie er Olivia gesagt hatte, dass er sie liebte. Aber dass es zu spät war. Ich blickte diesen wunderbaren Menschen vor mir an. Ich hatte noch eine Chance. Ich musste sie nur ergreifen. Ich hatte noch genug Zeit. Ich musste sie nur nutzen. Ich räusperte mich. "Ich- du- alsoo- ich glaube..." Ich fiel in mich zusammen. So schaff ich das doch nie, dachte ich genervt. Ich blickte auf und sah wieder diesen unglaublich sanften Blick, den sie immer aufsetzte, wenn sie genau wusste, was ich sagen wollte und was ich fühlte. "Nun", hob sie an. "Nachdem du mir bereits zwei Mal deine Liebe gestanden hast, denke ich, es wäre nur fair, wenn ich dir den Gefallen erwidere." Sie nahm meine Hände in ihre. "Atlas, ich glaube, nein, ich bin sicher, ich habe noch nie so jemanden wie dich getroffen. Und das ist auch gut so, denn zwei von euch wären wahrscheinlich mein Tod." Ich kicherte leise. "Und ich weiß genau, wie Olivia sich fühlt. Ich hab viel zu oft glauben müssen, ich hätte dich verloren. Der Gedanke allein macht mir Angst. Mittlerweile wäre ich ohne dich aufgeschmissen. Also bitte, hör doch erstmal einfach auf, dich in lebensgefährliche Situationen zu bringen, ja?" Ich nickte mit gespielt seriösem Gesicht. Der Käpt'n atmete tief ein. "Ich lie-" "Altas!" Mit einem Ruck wurde ich aus diesem kleinen Paradies gerissen. Der Vorhand flog förmlich davon, als Mika, eine unserer Boten, hineingestürmt kam. Sie atmete schwer. "Der- der ganze- Adel hat sich- im Schloss versamm- versammelt", rief sie stockend. Ich hielt den Atem an. Natürlich, dachte ich. Sie brauchen einen neuen Herrscher. Ich biss die Zähne zusammen. Auch der Käpt'n schien minder begeistert. "Ich komme", sagte ich niedergeschlagen." Ihr Blick schnellte zu mir, sie schien enttäuscht, aber wir wussten beide, dass ich keine Wahl hatte.
Ich hatte verlangt, dass Freya, Tom, der Käpt'n und Olivia mich begleiteten. Tom hatte den beiden Demirobots noch ein Mal die Spritze gegeben. Ich hatte aus offensichtlichen Gründen dankend abgelehnt. Jetzt standen wir im Thronsaal und es herrschte Stille. Der König lag noch immer auf dem Boden. Die Rebellen hatten nicht recht gewusst, was sie mit ihm machen sollten. Der Raum sah fast genauso aus wie früher, nur war er jetzt sogar noch röter, denn die Blutlachen waren noch nicht gesäubert worden. Angewidert von diesem Anblick hatte der Adel das Gesicht verzogen. Man merkte trotzdem, dass sie zivilisiert waren. Niemand redete oder weinte oder tat überhaupt irgendetwas. Im Gegenteil, niemand zeigte irgendeine Reaktion. Es war, als wären sie Statuen, denen ihr Leben eingehaucht worden war, wobei aber vergessen wurde, Emotionen hinzuzufügen.
Irgendwann erhob jemand, irgendeine Dame mit fettem Klunker um den Hals, ihre Stimme. "Wo ist Ihr Mann?" Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich. Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Mir war klar, dass die meisten Frauen in meinem Alter bereits verheiratet waren, aber dass das hier von Bedeutung war, konnte ich mir nicht vorstellen. "Pardon?", erwiderte ich, um meine Entrüstung zu überspielen. "Nun ja. Irgendeine starke Figur muss ihnen doch beim Regieren zur Seite stehen." "Mein Vater hat auch niemanden gebraucht", warf ich ein. "Nun ja, Ihr Vater ist ja auch...ein Mann." Meine Hand krallte sich in die Armlehne des Throns. Ich hatte mich darauf gesetzt, um mir mehr Autorität zu verschaffen. Meine Kameraden wirkten genauso entrüstet wie ich. Ich atmete tief ein. Und tief aus. Und zählte bis zehn. Und atmete tief ein. Und tief aus. Endlich hatte ich mich wieder gefasst. Ich schenkte ihr ein vernichtendes Lächeln. "Darf ich Sie höflichst fragen, in welchem Jahrhundert sie verloren gegangen sind, dass sie glauben, dass eine Frau einen Mann an ihrer Seite braucht, um ein Land zu beherrschen, zu vernichten oder zu versklaven? Historisch gesehen war jede berühmte Frau, die keinen Mann an ihrer Seite hatte mächtiger als irgendeine, die einen hatte. Meistens haben sie auch länger gelebt. Also bitte ich Sie darum, ihr patriarchales Mundwerk zu halten und die Frau diese Konversation führen zu lassen, die keinen reichen Mann braucht, um ihr Ego aufzublasen. Danke sehr." Ich spürte förmlich, wie meine Freunde vor stolz innerlich jubelten und die Adeligen ihre Entrüstung verbargen. "Außerdem hab ich einen...Partner", rutschte es mir da heraus. Sofort hätte ich mir am liebsten die Kugel gegeben. Eine furchtbare Sekunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, war Stille. Als sie verstrichen war, sah ich den Käpt'n aus Angst nicht an, sondern fuhr fort, als wäre überhaupt nichts passiert. "Ich möchte, dass die Krönung heute stattfindet. Und zwar jetzt. Sonst bin ich bald wahrscheinlich meinen Kopf los." "Woraufhin", fügte der Käpt'n hinzu, "jeder einzelne Person in diesem Raum, Freunde ausgenommen, dasselbe Schicksal widerfahren wird." Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Menge. Dankbar lächelte ich ihr zu und sie zwinkerte, was mich sofort an meine Worte erinnerte, was mich wiederum sofort erröten ließ. Ich schüttelte mich und fuhr fort. "Ich weiß, dass einer von Ihnen hier befugt ist, den König zu krönen", sagte ich und blickte bedeutungsvoll den Papst an, dem ich persönlich, meiner Meinung nach, als Atheist keinerlei Unterwerfung schuldete. Aber, wie das nun mal war, Gottesgnadentum rules. "Also auf in die Kirche." Das war keine Aufforderung, sondern ein Befehl und das wussten alle.
Ich schritt voran und redete mit niemandem. Ich konnte das Geläster hören und spürte die bösen Blicke in meinem Nacken, aber das war mir alles relativ egal. Meine Gedanken und mein Herz waren ausnahmsweise stumm. Mein Blick schweifte über meine Begleiter. Der Käpt'n, die mich wieder mit diesem Ich-weiß-dass-du-weißt-was-zu-tun-ist-Blick ansah, Olivia, die grübelnd zu Boden starrte, Freya, die Tom mit Zeichensprache erklärte, was passiert war und Tom, der wie immer gut zuhörte. Und in diesem Moment, ja, in diesem Moment wusste ich es.
Man hatte die Krone, den Zepter und den goldenen Apfel geholt und jetzt stand der Papst feierlich vor mir. Er lächelte mehr oder minder erfreut. Er hob gerade an, da sagte ich, ebenso feierlich: "Hiermit beende ich die Herrschaft der Blutlinie Peloponnesis von Hesperidos." Der Adel schnappte wie im Chor nach Luft. "Freya?" Meine beste Freundin zuckte zusammen. "Ja?" "Wenn du das akzeptierst, lege ich dieses Königreich in deine Hände." Ihre Augen wurden groß. Riesengroß. "D-das würdest du mir zutrauen?" "Wem, wenn nicht dir? Du hast deinen Mut als Krieger und vor allem als Anführer mir zu genüge bewiesen. Ich habe dich gesehen. Du hast die Rebellen geführt, als niemand anderes es konnte. Du hast auf beiden Seiten gekämpft. Wortwörtlich. Du bist eine der stärksten Frauen, die ich kenne und du hast auch nicht wenig Muckis. Ich lege meine Zukunft in deine Hände, meine Freundin." Sie verfiel ins Schweigen für eine gute Minute. Schließlich sah sie zu Tom, der anscheinend mitbekommen hatte, was passierte, denn er nickte ihr ermutigend zu. Als sie sich wieder zu mir wandte, war ihr Blick ernst. "Ich nehme dein Angebot an." Und so endet eine Ära und eine neue beginnt...
ENDE
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She saved me from the storm | ✅
Teen Fiction'"Für das, was ich jetzt tun werde, brauche ich das nicht." Sie nahm mein Schwert, immer noch perplex. Dann zog ich meine Weste aus. "Atlas?", fragte sie verwirrt. Ich strich mir verlegen durch die Haare und nahm allen Mut zusammen. "Falls das hier...