Wind of change

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Mit der Schere in der Hand stand ich vor dem Spiegel. Ich hatte meine Haare immer gemocht. Aber sie waren nicht gerade vorteilhaft, wenn man den ganzen Tag am Steuer stand und einem ununterbrochen die Haarsträhnen im Gesicht hingen. Haargummies kamen gar nicht infrage, ich hasste es, wenn meine Haare so stramm waren. Und einen Kurzhaarschnitt würde ich ja wohl riskieren können. Hier draußen sahen mich eh nur ein Verrückter und ein Untertan. (Er nannte sich selbst so, ich mochte den Ausdruck nicht. Ich war für ihn wohl trotz allem die Prinzessin.) Wir segelten außerdem schon seit zwei Wochen und wussten nicht, wie lange wir noch weiterfahren würden. Ich atmete tief aus. Verdammt, Atlas. Es sind nur Haare. Reiß dich zusammen. Ich nahm eine Haarsträhne in die Hand und machte den ersten Schnitt.

Es stellte sich heraus, dass ich wirklich nicht gut Haare schneiden konnte, Tom aber umso besser. "Irgendwer musste mir da unten ja die Haare schneiden", meinte er. Mir sollte es nur recht sein. Ich war glücklich mit meiner Frisur und konnte nicht aufhören, mir durch die Haare zu fahren. Er hatte mir so etwas wie einen Undercut geschnitten und ich hatte ihm mit einer Umarmung gedankt.

Ab dem Zeitpunkt veränderte ich mich. Ich spürte, dass sich nicht nur mein Aussehen, sondern auch mein Wesen veränderte. Ich wurde ruhiger, sanfter und vor allem dachte ich viel mehr über die Welt nach. Meine Arme wurden auch kräftiger, wenn auch nach außen hin eher unbemerkbar. Trotzdem war ich oft unglücklich. Zwei Monate hatte ich den Käpt'n nicht mehr gesehen. Ich vermisste sie schrecklich. Manchmal fragte ich mich, was es für einen Sinn machte, noch weiterzusegeln. "Damit sie vergessen", hatte Brosnan gesagt und meinte damit die Soldaten. Auch er hatte sich verändert. Ich hatte ihm alles über die Demirobots, über mich und über den Widerstand erzählt. Anfangs schien er feindselig gegenüber dem Thema, aber er interessierte sich bald mehr und kam zu dem Schluss, dass es keine schlechte Sache war. Er überlegte sogar, bei ihnen mitzumachen. So weit hatte ich nicht gedacht. Hinsichtlich der letzten...Ereignisse war ich nicht sehr begeistert. Die Details über meine Entführung hatte ich auch weggelassen.

Die größte Veränderung von uns allen hatte aber definitiv Tom. Er hatte aufgehört jedes Mal, wenn wir etwas sagten, hemmungslos anzufangen zu kichern, er war insgesamt ruhiger und in sich gekehrter geworden. Er hatte natürlich immer noch einen Knacks, aber er hatte große positive Fortschritte gemacht und ich war stolz auf ihn. Er hatte auch seinen Bart komplett rasiert und sah jetzt viel jünger aus. Ab und zu ging er auch ganz nach unten und experimentierte, aber er blieb nie länger als eine halbe Stunde dort.

Ich lehnte an der Reling und studierte die Sterne. Ich hatte mich nie besonders für Astrologie interessiert, aber jetzt wünschte ich, ich hätte mehr darüber gelesen. Tom kam zu mir und beobachtete mich aus den Augenwinkeln. "Du solltest es wieder probieren", sagte er plötzlich. Ich sah ihn fragend an. "Fliegen", fügte er hinzu. Ich sah wieder die Sterne an. "Vielleicht", flüsterte ich. "Alles Gute nachträglich übrigens." Erneut sah ich ihn verwirrt an. Er grinste. "An dem Tag, an dem du zum ersten Mal fliegen konntest, bist du 18 geworden. Da bist du erweckt worden, Schlaukopf. Ist zwar schon ein biiisschen her, aber trotzdem...herzlichen Glühstrumpf!" Er kicherte. Überrascht keuchte ich. Er hatte recht! Das hatte ich völlig vergessen! Ich war volljährig. Krass.

Am nächsten Tag wachte ich mit gemischten Gefühlen auf. Brosnan hatte die Nachtschicht übernommen, damit Tom heute steuern und mich gleichzeitig anleiten konnte. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie ich das mit dem Fliegen gemacht hatte, geschweige denn wie ich es wiederholen sollte.

Tom stand bereits am Steuer, als ich müde die Treppen hochkam. Ich hatte schon gefrühstückt und mich gewaschen, würde aber trotzdem lieber gleich wieder ins Bett fallen. Der verrückte Erfinder winkte mir grinsend zu. "Deine erste Flugstundeee! Jaaaa! Freudeeee!" Ich lächelte und ging zu ihm. "Okay", begann er, "du musst dich auf etwas konzentrieren. Am besten auf etwas Positives. Das ist aber nur am Anfang so, keine Sorge, das ist bald ein Automatismus. Also. Schließ die Augen." Ich tat wie befohlen und der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, galt dem Käpt'n. Ist doch auch egal. Sie ist eine positive Erinnerung und er kann ja keine Gedanken lesen. Ich dachte an all die Momente, die wir gemeinsam verbracht hatten, sowohl dir angenehmen als auch die unangenehmen, denn für mich waren sie alle gleich schön.

Ich spürte, dass meine Füße den Boden verließen. Keine Panik. Alles ist gut. Ich sank wieder beträchtlich. "Konzentration!" Ich lenkte meine Gedanken wieder auf den Käpt'n und wünschte, sie könnte mich hören. Wie ich ihr immer und immer wieder sagte, dass ich sie liebte und dass ich sie vermisste und wie sehr ich mir wünschen würde, dass sie das auch tun würde. Dass sie mich lieben würde. Dass der Kuss nicht nur von mir ausgegangen war. Dass ich mir das alles nicht nur eingebildet hatte. Ich spürte, dass meine Augen sich röteten und atmete tief ein, um mich zu beruhigen. "Heilige..." Ich öffnete die Augen. Tom grinste. "So gut hab ich noch nie jemanden schweben sehen. Respekt."

Und es blieb nicht beim schweben. Nach einer Woche konnte ich mich beim Schweben hin und her bewegen, bald konnte ich fliegen und irgendwann sauste ich in unglaublichem Tempo um das Schiff. Das Fliegen an sich war nicht ermüdend. Ich könnte stundenlabg fliegen. Aber sobald ich den Boden berührte, sackte die Müdigkeit umso mehr in meine Knochen. Ich war schon mehrere Male in Ohnmacht gefallen. Aber auch da baute ich bald Kondition auf und nach zwei weiteren Monaten konnte ich tatsächlich fliegen. Dafür hatte ich mir aber etliche blaue Flecken eingehandelt, ich hatte mich mindestens zehn Mal in einem Segel verfangen und hatte ungefähr doppelt so oft jemanden umgeworfen. Ins Wasser gefallen war ich sowieso ununterbrochen, sodass ich einmal eine Woche Pause machen musste, weil ich einer Erkältung hatte.

Und dann irgendwann, ich zählte die Tage nicht mehr, rief Brosnan mitten in der Nacht aus voller Kehle: "Piratenschiff in Sicht!" Ob es wohl...?

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt