Gabeln sind die neuen Dartpfeile und ich die Zielscheibe

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Mir war so unglaublich langweilig. Fünf Tage waren vergangen, seitdem der Käpt'n mich besucht hatte. Johannes schaute immer mal wieder vorbei, um Essen zu bringen oder den neusten Gossip zu erzählen, wie weit die Reparaturarbeiten liefen oder wer sich wieder mal geprügelt hatte, ansonsten hatte ich absolute Ruhe und ich hasste es. Hatte ich schon erwähnt, dass mir unglaublich langweilig war? Die Versuche mich aufzusetzten waren bis jetzt gescheitert, aber ich versuchte es immer wieder, damit ich mich wenigstens irgendwie beschäftigen konnte. Tagträume über den Käpt'n hielten mich auch nicht lange bei Laune.

Am sechsten Tag schaffte ich es endlich, mich ohne große Schmerzen aufzusetzten. Am siebten Tag konnte ich schon stehen und der Abend des achten Tages war der Abend, an dem ich endlich das Zimmer verließ. Der Käpt'n gab mir ursprünglich nur eine Woche, aber anscheinend störte sie der eine Tag wenig. Als aller erstes machte ich mich langsam, sehr langsam auf den Weg in die Küche. Ich öffnete die Holztür und eine Überraschung erwartete mich.

Der Käpt'n und Johannes schienen in eine hitzige Diskussion verwickelt, bis sie mich erblickten und sofort verstummten. "Ähm...hi", sagte ich verunsichert. Johannes setzte sein Lächeln wieder auf und umarmte mich stürmisch. Aber irgendwas schien...künstlich an der Art, wie er sich verhielt. Dennoch lächelte ich zurück und verschränkte dann meinen Blick mit dem des Käpt'ns. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. "Wie ich sehe, ist das Küken endlich wieder aus der Schale gekrabbelt." Ich verdrehte die Augen. "Danke für den Extra-Tag", erwiderte ich nur. Sie nickte. "Wir wollen ja nicht, dass du einen Rückschlag hast." Ich grinste. "Ja, sonst wärst du noch einen weiteren Tag von deinem Bett getrennt." Die Augen meiner gegenüber funkelten. "In der Tat, das wäre eine Tragödie." Johannes sah nur verwirrt zwischen uns hin und her. "Ich lasse euch dann wieder alleine", ließ der Käpt'n da verlauten. Während sie den Raum verließ, lief sie auffällig nah an mir vorbei und unsere Schultern streiften sich kurz. "Ich erwarte dich morgen beim Training", sagte sie noch beim Vorbeigehen. Verträumt sah ich ihr nach und vergaß sogar zu antworten.

"Was war das denn?", fragte Johannes. Ich drehte mich ertappt um. "Ähm- äh, ich, also- die eigentliche Frage ist, worüber habt ihr euch gestritten?" Nun war er an der Reihe zu stottern. Am Schluss sagte er einfach: "Ich frage dich nicht, du fragst mich nicht?" Ich nickte einverständlich. Trotzdem war ich neugierig geworden. Aber im Moment würde ich nicht weiter nachfragen.

Diesen Abend blieb ich noch verschont davon, in der Küche zu helfen. Essen durfte ich aber. Ich saß an meinem altbekannten Platz und meine Sitznachbarin hatte wie immer, wenn die Männer um sie waren, ihren kühlen und furchtlosen Blick aufgesetzt. Wir aßen in (relativer) Ruhe. Ich hatte meine Lektion gelernt und nahm mir nur so viel auf den Teller, wie ich essen konnte. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass der Käpt'n mich beobachtete. Als ich ihren Blick erwiderte, führten wir eines unserer altbekannten Starr-Duelle. Normalerweise wurden wir unterbrochen, auch dieses Mal war es keine Ausnahme, denn irgendwann flog eine Gabel an meinem Gesicht vorbei und sowohl ich, als auch der Käpt'n suchten mit den Augen nach dem Übeltäter. "Bill!", rief der Käpt'n da. Sie blickte den Mann an, den ich "zusammengeschlagen" hatte. Der sah mich nur wutentbrannt an. Ich starrte durchdringlich zurück. Er verlor das Duell. Schon wieder. Vor Wut schnaubend wandte er sich ab. Die Frau neben mir lachte kurz auf. "Was für ein Verlierer", sagte sie leise und leicht grinsend. Ich zuckte mit den Schultern. "Er hat sich einfach mit der Falschen angelegt." "Scheint so." Unsere Blicke verhakten sich wieder, aber diesmal war es kein Duell, wir sahen uns nur in die Augen.

Erneut flog etwas auf mich zu. Da sprang der Käpt'n in innerhalb von einer Millisekunde auf und fing es ab. Ihre Knöchel am Messer standen weiß hervor. Alle verstummten angstvoll. "Bill. Raus. Sofort. Du hast ab jetzt zwei Wochen Nachtschicht." "Was, wenn ich nicht will?", antwortete Bill aufmüpfig, "Diese Hure hat es doch verdient, Käpt'n." Der Käpt'n drehte das Messer um, sodass es auf ihn zeigte. "Du weißt, dass ich nur daneben werfe, wenn ich das will. Und im Moment stehen deine Chancen schlecht. Du hast Befehle. Und wir sind Menschen mit einer gewissen Ehre, wenn du mit ihr kämpfen willst, dann bei einem Duell. Allerdings werde dann ich für sie kämpfen. Und jetzt geh mir aus dem Augen." Er stand widerstrebend auf. "Ach, und-", hob die Kapitänin noch einmal an, "derjenige, der sie als nächstes als Hure bezeichnet, hat meine Kugel an einer Stelle, an der er es nicht angenehm finden wird. Es sei denn, er steht darauf, kastriert zu werden." Alle schluckten schwer, sogar ich, obwohl ich mich nicht einmal angesprochen fühlen sollte. Ihre autoritäre Ausstrahlung hatte einfach eine einschüchternde, aber auch faszinierende Art, die Menschen zu steuern. Ich grinste. Irgendwie war das heiß. Ahhh nein. Schön. Ich musste wohl akzeptieren, dass sie ein ganz, ganz kleiner Schwarm von mir war. Nichts ernstes. Hoffentlich...

Als ich Johannes noch ein bisschen mit den Tellern half (was zwar höllisch wehtat, aber ich hatte eh schon so ein schlechtes Gewissen), rannte ich auf dem Flur aus Versehen in den Käpt'n hinein. Ich stolperte und wäre fast gefallen, aber elegant wie immer fing sie sich und mich auf. Ihr Körper war eng an meinen gepresst, beide unserer Atem gingen schwer. Wir sahen uns tief in die Augen, als sie plötzlich sagte: "Geh jetzt schlafen. Für das morgige Training musst du gut ausgeruht und kuriert sein. Ich lasse dir eine Matraze in die Küche bringen, damit es für dich gemütlicher ist." Sie berührte sanft meine mittlerweile ganz gut verheilte Wunde an meiner Brust, die mit einem Verband umwickelt war. Ich erschauderte unter ihrer Berührung. Sie zog eine Augenbraue hoch. "Tut es noch so weh?" Hastig schüttelte ich den Kopf. Sie betrachtete mich prüfend, nickte dann aber und ließ von mir ab. Endlich konnte ich wieder einatmen, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte. "Bis morgen, mon chéri", sagte sie und ich starrte ihr sabbernd hinterher. Das kann doch wohl nicht wahr sein...

She saved me from the storm | ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt