Der Käpt'n sagte nichts und starrte einfach die Zeichnung an. Dann starrte sie den Namen an. Dann wieder die Zeichnung. Schließlich drehte sie sich zu mir. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Sie starrte mich einfach an, als würde sie versuchen, meine Seele auszusaugen. Eine Ewigkeit verging. Dann drehte sie mir den Rücken zu. "Du bleibst hier. Ich will doch nicht die Prinzessin auf meinem Schiff." Sie spuckte das Wort Prinzessin aus als wäre es ein Schimpfwort. Ich verstand, warum sie sich betrogen fühlte.
Mein Vater, mein Vater war derjenige gewesen, der den Befehl ausgesprochen hatte, ihresgleichen zu verhaften oder sogar zu töten. Mein Vater war es gewesen, der eigenhändig hunderte von ihnen ausgelöscht hatte. Mein Vater war es gewesen, der mich gelehrt hatte, dass sie böse waren. Ich hatte ihm immer vertraut, ihm immer blind geglaubt. Wie konnte ich nur so dumm sein? "Käpt'n-", hob ich an. "Nichts Käpt'n", zischte sie. "Ich kann einfach nicht glauben- wie konnte ich nur gedacht haben-" Sie brach ab. Obwohl ich nur einen Teil ihres Gesicht sehen konnte, bemerkte ich, dass ihre Augen rötlich glänzten. Ob aus Zorn oder weil sie weinte, konnte ich nicht sagen. Ich wusste nur, dass ich für keines von beidem verantwortlich sein wollte. "Käpt'n, bitte. Ich- ich wollte es dir erzähl-" "Ihnen", unterbrach sie mich. "Ich wüsste nicht, wann ich dir das "Du" angeboten hätte." Ich schluckte schwer. "Ich- es tut mir leid. Jedes Mal, wenn ich es- Ihnen erzählen wollte, ist etwas passiert. Irgendjemand hat wieder eine Bewegung gemacht, die ich nur schemenhaft sehen konnte. Ein Kampf entbrannte und sie schlugen so aufeinander ein, dass jeder normale Mensch gestorben wäre. Oder, was weiß ich, ihr redet über Mathe! Jedes Mal habe ich wieder gespürt, dass ihr keine Menschen seid. Aber ich habe rausgefunden, dass es mir egal ist, okay? Ihr seid meine Familie!" Was ich da sagte, entsprach nur der halben Wahrheit, aber ich konnte nicht klar denken. "Man verschweigt seiner Familie nicht so etwas! Dir ist immer etwas dazwischen gekommen? Red doch keinen Schwachsinn! Und ich Dummkopf habe dir vertraut! Selbst Schuld, nehme ich an. Vertraue niemals einem Menschen. Ich war dumm. Ich war so dumm. Wahrscheinlich hast du uns auch noch ausspioniert. Hast uns manipuliert oder mit unseren Gefühlen gespielt-" Letzteres presste sie zwischen ihren Zähnen hervor, dann hielt sie inne.
Sie starrte den Säbel an meiner Seite an. Ich war mir sicher, sie würde ihn mir wieder wegnehmen, stattdessen hauchte sie: "Ich habe dir ein Schwert geschenkt. Du magst es vielleicht nicht wissen, aber das ist der größte Vertrauensbeweis, den ich jemals jemandem erwiesen habe." Mein Herz brach in tausend Stücke bei ihren Worten. "Käpt'n, bitte hört mir zu!" Sie schwieg. Ich atmete tief aus. "Ich weiß, was Sie von mir denken müssen. Und...ich verstehe das voll und ganz, aber Ihr müsst wissen: als ich auf Euer Schiff gekommen bin und herausgefunden habe, was ihr seid, dachte ich, ihr bringt mich um. Aber das habt ihr nicht getan. Ihr habt mich aufgenommen und mich sogar gelehrt zu kämpfen, ich kann mir nicht vorstellen, ohne Euch zu leben. Ihr und Johannes, ihr seid mir so wichtig geworden! Ich weiß, ich habe euch etwas verschwiegen, aber wenn ich es Euch gesagt hätte, hättet Ihr dann nicht genauso reagiert wie jetzt?" "Ich-", wollte der Käpt'n einwerfen. "Nein. Lasst mich ausreden. Ich...ich glaube meinem Vater nicht mehr. Ihr seid wie wir. Nur schneller, schlauer, stärker und definitiv cooler. Es tut mir leid, dass ich je schlecht von euch gedacht habe...und...ich habe Euch meinen Namen verraten. Dem ersten Menschen, dem ich ihn nicht verraten musste. Ich habe es aus freien Stücken verraten, weil ich dir- Ihnen vertraue. Und...mehr als das. Ich vertraue- ich vertraue dir nicht nur, ich...ich liebe dich. So. Ja. Jetzt ist es raus. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest."
Der Käpt'n starrte mich ungläubig an. Auch ich konnte nicht fassen, was ich gerade gesagt hatte. Aber ich hatte das Gefühl gehabt, ich musste es ihr endlich sagen. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, sagte der Käpt'n mit belegter Stimme: "Mir tut es auch leid. Aber das ändert nichts daran, dass mein Vertrauen gebrochen ist. Ich-" "Käpt'n!", rief plötzlich Jack aus ein paar Metern Entfernung. "Wir haben alles!" Enthusiastisch riss er eine braune Tasche, die gefüllt mit Lebensmitteln war, hoch. Auch die anderen Piraten stapelten jeweils sechs große Taschen voller Essen in ihren Armen. Da nickte der Käpt'n. "Wir legen ab. Wir sind eh schon viel zu lange hier", sagte sie mit einem bitteren Blick in meine Richtung. Sie setzte sich in Bewegung und ich wollte ihr gerade folgen, als sie sich umdrehte und eine Hand ausstreckte, um mich abzuhalten. "Du bleibst hier."
Mir fuhr der Schock in die Glieder. Das ist doch wohl nicht ihr Ernst?, dachte ich. "Mein Schiff", hob sie an, "ist für alle, die kein Zuhause haben. Für alle, die Hilfe brauchen oder verfolgt werden. Du hast ein Zuhause. Kehre dorthin zurück und werde glücklich." Sie wandte sich ab und verließ mich schnellen Schrittes. Die Piraten waren schon dabei, die Lebensmittel zu verladen, da rannte ich ihr panisch hinterher. "Hast du mir nicht zugehört?! Ihr seid meine Familie!" Mit einer ausladenden Bewegung deutete ich auf das Schiff. "All das hier!" Der Käpt'n schüttelte nur den Kopf und bestieg das Schiff. Ich sah, wie Johannes mir zuwinkte, bis der Käpt'n neben ihn trat und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er erbleichte und starrte mich an. Ich wusste nicht, was sie gesagt hatte. Aber es schien ihm nicht zu gefallen. Plötzlich waren alle an Bord. "Holt das Brett ein und lichtete den Anker", befahl der Kapitän. "Aber Käpt'n, was ist mit dem Mädchen?", fragte Jack verwirrt. Sie starrte mich mit leerem Blick an. "Was soll mit ihr sein? Sie bleibt hier." Jack wollte etwas sagen, aber der Käpt'n hob die Hand und Jack schwieg. "Keine Diskussion." Und so kam es, dass ich hilflos am Ufer stand, während das Schiff auslief und mir Tränen über die Wangen liefen. Johannes lehnte an der Reling und heulte gleichermaßen. Er streckte die Hand aus und ich tat es ihm nach. Natürlich konnten wir einander nicht erreichen, aber der Gedanke zählte. Ich flüstere "Danke" und ich wusste, dass er mich verstanden hatte. Er nickte mit Tränen in den Augen. Ich stand da bis das Piratenschiff am Horizont verschwand und sank zu Boden. Jetzt ist alles verloren...
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She saved me from the storm | ✅
Teen Fiction'"Für das, was ich jetzt tun werde, brauche ich das nicht." Sie nahm mein Schwert, immer noch perplex. Dann zog ich meine Weste aus. "Atlas?", fragte sie verwirrt. Ich strich mir verlegen durch die Haare und nahm allen Mut zusammen. "Falls das hier...