Kapitel 39: Nichts

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Ich wünschte, wir könnten eine Ewigkeit lang so sein. Aber leider kommt immer etwas dazwischen, denn plötzlich bremst ein Auto direkt vor uns.
Wir lösen uns sofort und schauen zum Fahrer.

Es ist Mira.
Sie sieht uns schockiert an.
Sie steigt aus und stützt sich mit der Hand an der Autotür.

"Mira?", sage ich und gehe zu ihr.
"S-Selin. I-Ich habe e-etwas ganz Schlimmes getan", sagt sie und schluchzt.
Als ich vor ihr stehe, muss ich erst ein mal schwer schlucken.
Ihre Hände sind mit Blut verschmiert, genauso wie ihre Kleidung.
Ich nehme sie ohne eine Sekunde nachzudenken, in die Arme und sie weint noch mehr.
"Alles gut. Alles wird gut", beruhige ich sie und streiche ihr durchs Haar.
Ich habe es irgendwie vermisst, jeden Tag Mira zu sehen, jeden Tag mit ihr in der Schule zu sein, ihre Freundin zu sein.

"Nein wird es nicht. Nichts wird gut. Kappierst du denn garnicht?!", schreit sie und stößt mich von sich weg.
Ich schweige. Demir kommt sofort zu uns und ich merke schon, wie er wütend wird, deshalb halte ich ihn am Arm auf.
"E-Es tut mir leid. Ich weiß, ich habe nicht die beste Entscheidung-. Nein! Ich weiß, dass ich die schlechteste Entscheidung getroffen habe und ich verstehe auch deinen Hass gegenüber mir. Ich habe lange überlegt und ich glaube, ich hätte genauso wie du reagiert, falls so etwas mir zugestoßen wäre.
Als ich dich damals abgeholt habe, nach dem Schulball, war das ein Spiel.
Eine dumme Idee. Ich habe anonyme Nachrichten von einer oder einem M bekommen. Ich war traurig und wütend zugleich, deshalb habe ich mitgespielt. U-Und dann wollten wir, M und ich, uns vorgestern treffen. Das haben wir auch.
A-Aber dann wurde alles schwarz und ich öffne meine Augen.
Ich bin Blutverschmiert, i-in meiner Hand eine Waffe, ebenfalls in Blut getunkt. Ich schaue vor mich und da ist eine Person, gefesselt am Stuhl.
I-Ich bin ohne nachzudenken einfach losgerannt", erzählt sie weinend.
Demir und ich sehen uns an.
In dem Moment klingelt mein Handy.
Wenn man vom Teufel spricht.

"WAS HAST DU GEMACHT?!", schreie ich ins Telefon.
Ein Lachen ertönt mit einer verzerrten Stimme am anderen Ende der Leitung.
"Du Miststück! Was hast du gemacht?", schreie ich erneut.
"Kannst Mira haben. Sie war keine große Hilfe", sagt M.
"Wer war die Person?", frage ich.
"Überleg gut. Ich sage ja, du bist schlau", sagt M und legt auf.

"Mira, beschreibe die Person", sage ich.
"N-Nur, dass er o-oder sie dunkle Haare hatte.
Der Kopf war nach vorne gebeugt", sagt sie und fängt wieder an zu schluchzen.
"Ok Moment. Überleg Selin. Überleg. Wer ist es?", sage ich zu mir selbst.
Ich rufe Eva an.

"Ja?"
"Eva. H-Hey", sage ich.
"Oh hey! Wie geht es dir? Ich habe schon gedacht, du lebst nicht mehr", sagt sie und lacht kurz auf.
Ich würde gerne mitlachen, denn das wäre ja nicht ganz so falsch.
"A-Alles gut. Bei dir so?", frage ich.
"Ja. Alles bestens", antwortet sie.
"Ehm... schön. Ich wollte eigentlich nur nochmal nachfragen, ob du v-vielleicht etwas über Tess gehört hast", sage ich.
"Nein. Das selbe wollte ich dich auch fragen", sagt sie.
"Hm ok. Ich muss jetzt auflegen", sage ich und lege schnell auf.

"E-Es könnte Tess sein", sage ich und kann meine Tränen nicht zurückhalten.
Demir sieht mich mitleident an und zieht mich in seine Arme.
"Hoffen wir mal nicht", sagt er und wir schweigen kurz.
"L-Lasst uns rein. Mira du kannst dich duschen und ich gebe dir frische Sachen zum Anziehen", sage ich und wir gehen alle ins Haus.
Mira geht ins Bad, während ich ihr paar frische Sachen rauslege.

Demir steht angelehnt am Türrahmen und sieht mir dabei zu.
"Schönheit", sagt er.
"Hm", sage ich und sehe ihn an.
"Können wir ihr vertrauen?", flüstert er uns zeigt Richtung Badtür.
"Ich weiß es nicht Schatz. Ich weiß es nicht. Ich denke wir müssen. Es gibt auch die Option, dass es wahr ist und ich möchte das Risikio nicht eingehen", antworte ich.
"Was hast du jetzt vor Schönheit?", fragt er.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Weder, wem ich vertrauen soll oder was ich glauben soll, noch was ich machen soll", sage ich und setze mich auf mein Bett.
Demir setzt sich neben mich und wir schweigen.
"Womit habe ich dich verdient Schönheit?", sagt er plötzlich und lässt sich nach hinten fallen.
"Was soll das denn jetzt heißen?"  Frage ich ihn und sehe ihn an.
Er hat die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und sieht hoch zur Decke.
"Einfach nur so", antwortet er und zuckt mit den Achseln.
"Nein, was meinst du damit?", frage ich ihn erneut und er setzt sich auf.
"Danit meine ich", fängt er an und nimmt meine Hände in seine, "dass ich dich einfach nicht verdient habe. Ich war ein schlimmer Mensch. Und siehe, vor mir, das aller schönste Mädchen, das allerschlauste Mädchen auf diesem Universum sitzt vor mir und ich habe die Ehre, sie meine Freundin, mein Leben zu nennen. Womit habe ich das verdient Schönheit?", sagt er.
"Sag sowas nie wieder!", sage ich und lege meine Hand an seine Wange.
"Sonst was?", fragt er und hebt seine Augenbraue.
"Sonst schweige ich", sage ich und verschränke die Arme vor die Brust.

Ich stehe auf und richte die Sachen weiter für Mira.
Plötzlich hebt mich Demir und schmeißt mich auf das Bett.
Ich schaue ihn fragend an, doch er grinst nur.
"Du schweigst also? Mal sehen ob du noch weiter schweigen wirst", sagt er, beugt sich über mich und fängt plötzlich an mich zu kitzeln.

"Oke, oke! Ich rede. Aber hör auf", bringe ich nur heraus.
Er hört auf und sieht mich an.
Ohne etwas zu sagen, sieht er mich einfach nur an.
Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und ziehe ihn runter zu mir.
Im selben Moment liegen unsere Lippen wieder aufeinander.
Er trennt seine Lippen von meinen, wandert weiter runter und verteilt küsse auf meinem Hals.
Seine Hand wandert unter mein Shirt und fährt weiter runter zu meinem Oberschenkel, um dann wieder hochzuwandern.
Ich öffne die Augen und schrecke auf.
Ich schubse ihn weg von mir.
"Hör auf!", sage ich.
Er löst sich sofort von mir und sieht mich wieder an.
"Schon okay", sagt er, gibt mir nochmal einen Kuss und steht auf.
Ohne etwas zu sagen verlässt er mein Zimmer.

***Seine Sicht***

Ich kann nicht genug von ihr haben.
Meine Hand wandert unter ihr Shirt und weiter runter auf ihr Oberschenkel.
"Hör auf!", sagt sie plötzlich und schubst mich von sich weg.
Ich höre sofort auf und sehe sie an.
Sie ist beängstigt. Ich warte. Ich möchte sie nicht unter Druck setzen.
"Schon okay",sage ich, gebe ihr noch einen Kuss und stehe auf.
Nichts wie weg hier, bevor sie merkt, dass mein kleiner Freund aufgewacht ist.

***Ihre Sicht***

Eine Zeit lang starre ich nur auf den Boden.
Ich bin schon über der Sache hinweg aber ich weiß nicht, wieso ich ihn plötzlich gesehen habe.
Zur Hölle mit Derek.
Ich stehe auf und betrachte mich im Spiegel.
Meine Augen sind rot und mit leichten, schwarzen Schatten umrandet.
In dem Moment kommt Mira in mein Zimmer.
"Ehm... d-du kannst dich hier umziehen. Die Sachen stehen da.
Falls du etwas brauchst, sag bescheid.
Ich lasse dich jetzt mal alleine", sage ich.
"Selin. K-Könntest du vielleicht hier bleiben?", hält sie mich auf.
"N-Naklar", sage ich, setze mich auf mein Bett und schaue Richtung Wand, während sie sich umzieht.

"Weißt du, ich bin froh, dass du nach all dem immernoch so stark bist", bricht Mira die lange Stille.
"Was meinst du?", frage ich.
"D-Dir.... euch, ist so viel zugestoßen aber du bist immernoch so stark", erklärt sie.
"Also sehe ich von außen betrachtet stark aus? Aber weißt du was? Innerlich bin ich kaputt. Ich habe keine Kraft mehr. Ich möchte das ganze nicht. Ich möchte, wie früher, im Matheunterricht sitzen und mich über das neue Thema beschwären, was ich nicht verstehe.
Ich möchte in der Pause rumzicken, wenn ich keine freie Bank finde, um mich hinzusetzen.
Ich möchte erschöpft sein, nachdem ich den Bus verpasse und nach Hause laufen muss.
Weißt du eigentlich, wie sehr ich meine frühen Alltagsprobleme vermisse?", entgegne ich. Sie schweigt.
"Damals fand ich meine Probleme grauenvoll und wollte mehr Aktion.
Und jetzt wünsche ich mir nichts weiteres als wieder solche Probleme zu haben", füge ich hinzu.
"Oke, kannst dich umdrehen", sagt sie.
Meine Sachen passen ihr eigentlich genau, da wir mehr oder weniger, die selbe Größe haben. Nur sie ist einwenig kleiner als ich. Aber minimal nur.
"Naja, und das zeigt mir, dass wir nie mit dem, was wir haben zufrieden sind.
Wir zählen nur das auf, was wir nicht haben und beschweren uns. Aber wenn man es betrachtet, haben wir mehr Besitz als Verlust", sage ich.
"Da hast du recht", stimmt sie zu.
"Meine Bürste liegt da", sage ich und zeige auf meine Kommode.
"Dankeschön. Für die Dusche, für die Kleidung. Für alles", sagt sie.
Ich schweige. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
"W-Was hast du jetzt vor?", fragt sie.
"Soll ich ehrlich sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Jedesmal, wenn ich denke, ich habe etwas gelöst oder eine Lösung gefunden, wie man ein Problem beseitigen kann, kommt jedesmal das Doppelte darauf. Die Probleme häufen sich und ich ersticke manchmal darin.
Es reißt mich sowohl psyschich als auch physich", erläutere ich ihr.
"U-Und hast du irgendeine Ahnung,
w-wen ich eventuell v-verletzt habe?", sagt sie und ihre Augen werden glasig.
"Ehrlich gesagt, ja. Ich habe eine Vermutung. Aber wenn diese stimmen sollte, möchte ich es garnicht erfahren", antworte ich.
"Verstehe", sagt sie.
Wir beide schweigen, bis mein Handy vibriert.





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