Kapitel 53: Wendung

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Nach 3 Monaten

"Wie geht es dir?", fragt Cem mich.
"Ganz gut. Schätze ich. Vor drei Monaten wusste ich nicht was mit mir geschehen soll, was ich aus meinem Leben anfangen soll.
Aber nun denke ich, dass das der richtige Weg für mich", antworte ich.
"Es freut mich dich so zu sehen.
So zielbewusst und selbstsicher", sagt er und legt seine Hände auf meine.
"Aber sag du, wie geht es dir?", frage ich ihn.
"Das Essen ist sehr...nun wie soll man sagen.
Sehr unappetitlich. Bei Hungersnot allerdings ganz erträglich", sagt er und lacht.
Ich lache mit ihm.
"Wann fliegst du?", fragt er.
"Morgen. Ich werde morgen Nachmittag losfliegen", antworte ich.
"Wir werden uns sowieso sehen, sobald du hier rauskommst. Dann kannst du nachfliegen zu uns", füge ich hinzu.

"Besuchszeit ist nun vorbei", unterbricht der Wärter uns bei unserem Gespräch und nähert sich mit Handschellen an unseren Tisch.
"Dann pass auf dich auf und bleib ereichbar", sagt er und wir umarmen uns noch einmal bevor ihm die Handschellen angelegt werden und er vom Wärter weggeführt wird.

Zuhause angekommen packe ich die letzten Sachen ein, nachdem ich unter die Dusche gesprungen bin.
Da klingelt es plötzlich. Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass wir schon 16 Uhr haben.
Wer ist das um diese Uhrzeit?
"Selin Erdem? Post für sie", sagt er und ich nehme ihm das Päckchen entgegen.

Ich öffne es und da ist ein kleiner Teddybär mit einem kleinen Strauss Rosen drin.
Ich rüttele einmal den Karton bis ein kleines Kärtchen hinausfällt.

Hey Selin,
ich weiß, ein Teddybär und paar Rosen machen nichts rückgängig. Allerdings hoffe ich, dass du mir irgendwie vergeben kannst.
Für alles was ich dir angetan habe.
Derek

Ich versuche den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Derek ist auf freiem Fuß.
Ich kann niemandem etwas beweisen.
Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll.
Verzeihen werde ich ihm niemals.
Allerdings weiß ich nicht, was Cem ihm angetan hat.
Meine Gedanken werden von dem Klingeln meines Handys unterbrochen.

"Ja?"
"Selin! Du glaubst nicht, was passiert ist", schreit Mira in den Hörer hinein.
"Bleibt mal ruhig. Jetzt erzähl langsam", sage ich ruhig.
"I-Ich... also paar Blumen und eine Karte von D-Derek. Vorhin kam die Post und hat mir den kleinen Strauss gegeben. Er möchte, dass ich ihm verzeihe", erzählt sie.
"Mir ebenso", füge ich hinzu.
"L-Lass und aber morgen weiter reden. Ich denke ich sollte jetzt mal schlafen", sage ich und wir legen auf.

Nächster Tag

"Ich weiß nicht ob ich ihm verzeihen kann", erklärt Mira.
"Heute morgen habe ich eine Mail bekommen. Von ihm. Er möchte mich treffen. Ich habe nicht drauf geantwortet", erzähle ich.
"Was hast du vor?", fragt sie.
"Irgendeine Stimme in mir sagt, ich muss ihn sehen. Weil ich Cem nicht vertrauen kann.
Also ich vertraue ihm aber ich weiß nicht, was er Derek angetan hat. Deshalb, irgendwie will ich ihn sehen um meine Neugier zu stillen", erkläre ich ihr.
"Weißt du was? Das mache ich jetzt. Komm mit, wenn du willst. Ich habe noch 6 Stunden und es ist sogar noch sehr früh", füge ich hinzu.
"I-Ich komme nicht mit Selin. Ruf mich an wenn du dich auf den Weg machst ja?"
"Okay mache ich", sage ich und mache mich auf den Weg.

Im Taxi lese ich noch einmal die Mail.

Hey,
ich denke mein Päckchen ist angekommen.
Ich würde mich freuen, wenn du morgen am xy-Park um 11 Uhr erscheinst.
Ich denke, es gibt vieles zu erklären.
Derek

Als ich aussteige, sehe ich ihn schon auf einer Bank sitzen.
Als er raufsieht stockt mir der Atem.
Zwischen uns sind noch 10Meter und ich sehe schon wie lila-blaue Flecken seine Augen umrahmen.
Er richtet sich auf und sieht mich an.
"Danke, dass du gekommen bist", sagt er.
Vorsichtshalber bleibe ich ein wenig auf Abstand. An seiner Augenbraue und Lippe ist noch eine Platzwunde.
Plötzlich spüre ich wieder seinen ekligen Atem von damals in meinem Gesicht.
"I-Ich glaube das war keine gute Idee", sage ich und drehe mich um.
"Nein! Nein, bitte", sagt er weshalb ich mich wieder umdrehe.
Er sieht mich besorgt an und sieht ganz anders aus. Wie eine komplett andere Person.
Seine Augen sehen besorgt und zum Teil sogar ängstlich aus. Nicht wie damals hasserfüllt, gierig oder verärgert.
"L-Lass mich bitte erklären"
"Schön. Fang an", befehle ich ihm.

"I-Ich habe seit meiner Jugendzeit Probleme.
Sowohl psychisch als auch physisch.
Naja jetzt habe ich dank Cem eins mehr", sagt er und lacht kurz auf.

"Ich hatte es nie leicht. Die falschen Leute haben mich damals großgezogen. Als mein Vater jeden Tag meine Mutter und meine Schwester geschlagen hat, bin ich zu genau DIESEN Leuten gegangen. Sie waren die einzigen Menschen, die mir zugehört haben.
So wie es kommen sollte hat mein Vater meine Mutter ermordet und meine Schwester und ich wurden getrennt in ein Jugendheim gebracht.
Irgendwann war ich alt genug und konnte diesen beschissenen Ort verlassen. Ich hatte niemanden. Bin daher wieder zu den Leuten hingegangen, die mir zugehört haben, die mir geholfen haben etwas aus meinem Leben zu machen. Ich musste einen Psychiater nach dem anderen besuchen", erzählt er und sieht sich kurz herun.
"I-Ich möchte nicht dein Mitleid, ich möchte meine Vergangenheit auch nicht als Entschuldigung darstellen. Ich bin nun mal so", sagt er und streckt seine Arme aus.
"E-Es tut mir leid. Ehrlich. Ich habe selbst eine Schwester, auch wenn ich sie lange nicht mehr gesehen habe. Und ich möchte mir nicht ansatzweise vorstellen, wie es ausgegangen wäre, wenn ihr so etwas passiert hätte. Oder was ich gemacht hätte. Ich denke ich habe es verdient, was Cem mir angerichtet hat.
Im Endeffekt hätte ich das Selbe gemacht", sagt er und sieht mich mit glasigem Augen an.
"Ich weiß nicht, was Cem alles getan hat aber Gewalt ist nie eine Lösung", füge ich hinzu.
"Ich hoffe du vergibst mir irgendwann. Mach's gut Selin Erdem", sagt er und entfernt sich langsam bis er nicht mehr sichtbar wird.

Am Flughafen

"Ich hätte nie gedacht, dass er eine Mitleidsrunde machen wird", sagt Mira nachdem ich ihr alles erzählt habe.
"Ich weiß nicht. Es tut mir leid, dafür, was er durchmachen musste. Aber verzeihen werde ich ihm sehr schwer", antworte ich und trinke den letzen Schluck von meinem Kaffee im Pappbecher aus.
"Ich denke die Zeit um Abschied zu nehmen ist gekommen", sage ich und schaue auf meine Armbanduhr.

"Wehe du meldest dich nicht! Dann fliege ich direkt zu dir und versohle dir den Hintern", sagt Mira und wir umarmen uns.
"Mach's gut!", sage ich und winke ihr zu.

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