Kapitel 50: Hätten wir gewusst...

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Melissa?!?!

"Hey...", sagt sie und lächelt mich an.
Sie steht vor mir. Sie steht einfach vor mir. MELISSA steht vor mir.
Mein Gehirn fängt an alles, was bis jetzt geschehen ist, durchzugehen und irgendwo eine logische Verbindung zu knüpfen.
"Wieso? W-Wieso tust du das?", frage ich entsetzt, flüsternd.

"I-Ich.... Es ist eine sehr lange Geschichte. Eine SEHR lange Geschichte", sagt sie.
"A-Aber wir haben schließlich viel Zeit", sagt sie und lächelt wieder. Dabei fließt ihre eine Träne runter. Ich lache auf.
"Zeit? Von welcher Zeit sprichts du?
Wir haben also 'viel' Zeit?! Ist das so?
Wieso ist das dir nicht früher eingefallen?", frage ich, nahe dran loszuheulen, weshalb meine Stimme zittert. Ich verstehe mein ganzes Leben nicht mehr.

"I-Ich möchte, dass du mir eine Chance gibst, dir alles zu erklären. D-Du hast doch selbst gesagt, dass du mich verstehen möchtest.
D-Dass du am liebsten mir wieder zuhören würdest, während ich wieder über irgendetwas rumheule", sagt sie während ihre Stimme zittert. Am Ende bricht ihre Stimme auch ab.
"A-Aber du hast Leute um mich herum verletzt. D-Du hast MICH verletzt.
Das kann ich nicht so schnell vergessen. Und wir sind keine 14 und 19 mehr. Also, erzähl", sage ich.
"Nicht hier. Wir werden wegfliegen. Heute noch", sagt sie.
"Ab-"
"Bevor du mir widersprichst. Ich habe noch für den selben Tag einen Rückflug, falls du wieder zurück möchtest. F-Falls du mir nicht glauben solltest", sagt sie.
"Wohin gehen wir? ", frage ich.
"Nach New York", antwortet sie.
Unter anderen Umständen wäre ich jetzt vor Freude an die Decke gesprungen. Aber leider ist nicht mein Zukunftsplan der Grund, weshalb ich nach New York fliegen werde. Werde ich überhaupt mit ihr dorthin fliegen?

"Also, pack nur das nötigste ein", sagt sie, woraufhin zwei Männer von vorhin kommen.
Sie fahren mich nach Hause, damit ich packen kann. Pff. Was soll das werden?
Meine eigene Schwester, von der ich übrigens seit paar Minuten weiß, dass sie lebt, hat das ganze gemacht?
Ich kann es immernoch nicht fassen.
Nicht nur der Fakt, dass sie einfach so auftaucht, auch dass sie so tut, als ob wir gemeinsam in den Urlaub fliegen, bringt mich zum Rasen.
Ist ihr denn überhaupt nicht bewusste, was sie angerichtet hat?
Was soll ich jetzt machen?

Ich schließe langsam meine Haustür auf. Das Licht ist angeschaltet und ein verwirrter Demir dreht sich zu mir um.
Ich lasse meine Schlüssel fallen.
Wir sehen uns nur an.
Ich kann in seinen Augen genau lesen, was er sagt bzw. warscheinlich aussprechen möchte.
Ich sehe auch, dass er meine Worte versteht. Ich mustere sein Gesicht. Seine braunen Augen die mit leichten Schatten umrandet sind.
Seine tiefen Wangenknochen.
Seine vollen Lippen.
Auf seiner Wange liegt ein Pflaster.
Ich kann eine Träne nicht zurückhalten und sie fließt. Darauf folgt noch eine und noch eine.

"I-Ich möchte dich jetzt umarmen...
a-aber ich weiß, dass ich dich daraufhin nicht loslassen kann", sagt er und bricht somit die Stille.
"I-Ich habe alles mitbekommen.
Die haben mich da v-vor so ein scheiß Fenster gesetzt", sagt er entsetzt und streckt sein Arm Richtung Tür aus, als ob dieses Fenster genau dort ist.

"Wie ich davor gesagt habe, ich möchte dir nicht im Weg stehen. Wenn wir für einander bestimmt sind, dann finden wir auch wieder zueinander zurück. Schätze ich...", fährt er fort und senkt seinen Blick zu Boden.
"Demir... i-ich möchte dich noch ein letztes Mal umarmen", bringe ich heraus, ohne dass meine Stimme abbricht obwohl ich einen Kloß im Hals habe.
"Nein Schönhei-. Nein Selin.
Lass es. Für mich. Tu das nicht. Bitte", sagt er ohne aufzusehen.
"Weißt du, ich habe vor einer halben Stunde gedacht, dass unser Abschied nicht wahr ist. Dass wir gemeinsam von dort rauskommen. Aber jetzt sieh an, in was für einer Lage wir sind.
H-Hätte ich-", sagt er und unterbricht sich selbst um einmal tief einzuatmen.

"H-Hätte ich gewusst, dass das unsere letzte Berührung sein wird, hätte ich dich nicht losgelassen. Ich hätte uns dort rausgebracht. Egal ob lebendig oder tot. Wir hätten gemeinsam diesen Ort verlassen können", sagt er und sieht mir wieder in die Augen. Seine Augen sind glasig.
"B-Bitte hör auf. Du machst es für mich nurnoch schlimmer..." bringe ich heraus und die Tränen perlen über meine Wange.
"E-Es gibt noch so viele Dinge zu sagen und die ich loswerden möchte. Das heute im Auto war erst der Beginn meiner Rede. Wie gesagt, hätte ich gewusst, dass das heute unser letzter
g-gemeinsamer Abend wird, unser letzter T-Tanz-", und wieder unterbricht er sich selbst, worauf ich noch mehr Tränen fließen lasse.
Er versucht seine Tränen wegzublinzeln doch eine entkommt ihm und perlt an seine Wange ab.
"Hätte ich gewusst, dass das unser letzter Tanz war, würde ich eine Ewigkeit lang mit dir diesen Tanz tanzen. Ich würde dir eine Ewigkeit lang ins Ohr flüstern, w-wie bezaubernd du aussiehst. W-Wie sehr ich dich liebe und dich immer lieben werde", fährt er fort.
"Hätte ich gewusst, dass ein Abschied am Ende so weh tun wird, hätte ich dich niemals aufgesucht. Ich wäre niemals an deine Schule gekommen.
W-Wir wären dann nicht auf dem Schulhof zusammengestoßen. Ich hätte dich dann nicht festgehalten, damit du nicht fällst. Es tut mir so leid... Ich wollte nie, dass wir so Enden", sagt er.
"Pshht... nein! Sag sowas nicht. Bitte.
Hätte ich gewusst, dass wir heute hier stehen und Abschied voneinander nehmen müssen, hätte ich nie die Geschichte mit der Meerjungfrau und dem Rettungsschwimmer zuende erzählt. Oder die Geschichte mit dem Prinzen, der am Ende auf seine Prinzessin traf.
Denn es stellt sich heraus, dass es kein Happy End gibt sowohl für die Meerjungfrau und dem Rettunsschwimmer, als auch dem Prinzen und der Prinzessin", sage ich.
"Selin... lass mich los, damit es leichter für uns beide wird", sagt er.
Wir schweigen kurz.
"Okay...Geh Demir....", sage ich und schaue zu Boden.
Ich lehne mich an die Wand damit er durch die Tür gehen kann.
Er bleibt vor mir stehen.
"Leb' wohl Selin Erdem", sagt er.
"Leb' wohl D-Demir Yilmaz", sage ich.
Die Tür fällt zu.

Er ist weg.
Er ist fort.
Ich sinke zu Boden mit dem Rücken an der Wand.
"Wieso bist du gegen uns, Universum?!", rufe ich und kann mein Schluchzen nicht mehr kontrollieren.
_______
Wir sind am Flughafen und es wird bald schon wieder hell.
Auf dem Weg hierher hat keiner von uns beiden ein Wort gesprochen. Gut so. Ich habe keine Kraft zu sprechen. Erst recht nicht über M. Ehm... Melisaa.

In New York

"Ich respektiere dein Schweigen. Aber hör mir bitte zu", bricht Melissa die Stille als ich im Auto aus dem Fenster die Menschen beobachte.
Manche sind gestresst, woraufhin andere sehr lässig zum Teil sogar sehr amüsiert sind. Manche schlendert und manche rasend auf den Straßen.
New York soll anscheinend nie schlafen. Daran werde ich definitiv nicht zweifeln. Hier ist es schon hell geworden.

"Ich werde dir zuhören. Aber ich hoffe dir ist bewusst, was du alles angerichtet hast! Du hast unsere Eltern in Schwierigkeiten gebracht. Nicht nur sie sondern auch meiner Freunde, MEINEN FREUND! Was war dein Ziel?", antworte ich.
"Beruhig dich bitte! Hör mir einfach nur zu! Danach kannst du mich anschreien, schweigen oder weggehen. Mach was du willst danach", erläutert sie.
"Na schön! Fang an!", entgegne ich.

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