44. Ein kleines Wunder

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Ein Jahr ist vergangen und ich habe das Studium abgeschlossen. Mit der Situation, dass Mona und ich wahrscheinlich nie ein Kind haben werden, habe ich mich mehr oder weniger abgefunden. Die Arbeit macht mir total Spaß und ich kann vielen Kindern helfen.

Mit den Kindern komme ich sehr gut klar, aber über ein Kind mache ich mir Gedanken. Nancy ist sechs Jahre alt und wird schon in der ersten Klasse aufs Übelste gemobbt. Die Lehrerin ist mit der Klasse überfordert und hat Nancy zu mir geschickt. Das Mädchen ist sehr verschlossen, was wohl auch daran liegt, dass sie im Heim lebt, seit sie zwei Jahre alt ist.

Mit viel Einfühlungsvermögen kann ich langsam ihr Vertrauen gewinnen. Wir gehen gemeinsam auf den Spielplatz und Eis essen, aber so richtig vertraut sie mir noch nicht. Immerhin erzählt sie mir, was in der Schule passiert. Von ihren Erzählungen bin ich mehr als geschockt, Kinder können so grausam sein. Nach einigen Wochen habe ich ihr Vertrauen und wir verstehen uns sehr gut. Nancy erinnert mich ein bisschen an mich, als ich klein war.

Nancy verbringt sehr viel Zeit mit mir. Bei einem unserer Gespräche wirkt sie sehr bedrückt. "Ich will nicht mehr im Heim leben. Kannst du mich da irgendwie rausbekommen?", fragt sie. "Ich kann mit deinen Betreuern reden. Warum willst du denn aus dem Heim?", frage ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken kann. "Die anderen Kinder sind gemein zu mir und ich habe keine richtige Familie.", antwortet sie und klettert auf meinen Schoß. Das kleine Mädchen kuschelt sich an mich. "Ich will eine richtige Mama, so wie dich. Kannst du nicht meine Mama werden?", fragt sie und schaut mich hoffnungsvoll an. Ich umarme das kleine Mädchen und muss meine Tränen unterdrücken. "Aber du kennst mich doch gar nicht so gut.", sage ich. "Dann will ich alles über dich wissen und ich will zu dir nach Hause und ich will deinen Mann kennenlernen.", sagt sie begeistert.

Als ich Nancy abhole, um mit ihr einen Ausflug zu machen, fragt sie mich wieder, ob sie mein Zuhause und meinen Mann kennenlernen kann. Trotz einigen Zweifeln gebe ich nach. Nancy ist von dem Haus total begeistert und versteht sich super mit Doktor Scarpetta. "Ein Schaf als Haustier, das ist total cool!", ruft sie. Als Mona nach Hause kommt, nimmt Nancy meine Hand. "Wer ist das?", fragt sie. "Das ist meine Freundin Mona.", erkläre ich. "Und das ist Nancy.", wende ich mich an Mona. "Seid ihr zusammen?", fragt das Mädchen. "Ja, wir sind eine kleine Familie.", sage ich. Nancy hält immernoch meine Hand und geht ein paar Schritte auf Mona zu. "Wollt ihr Kinder?", fragt sie. Mona schaut mich verwirrt an, dann nickt sie. "Dann habt ihr jetzt ein Kind.", sagt sie und greift auch nach Monas Hand.

Als ich Nancy zurück ins Heim bringe, fällt mir der Abschied total schwer und auch dem Mädchen scheint der Abschied schwer zu fallen. Zuhause reden Mona und ich noch stundenlang über das kleine Mädchen, das unbedingt bei uns leben möchte. Mona und ich wollen sie adoptieren.

Am nächsten Tag rede ich mit der Heimleitung. Sie steht der ganzen Sache positiv gegenüber, aber sie erklärt mir auch, dass so ein Adoptionsprozess sehr lange dauern kann. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir genau geprüft werden, ob wir uns um sie kümmern können und ihr ein stabiles Zuhause bieten können.

Nach einem halben Jahr voller Besuche und Gespräche dürfen wir Nancy endlich adoptieren. In der Zwischenzeit haben Mona und ich auch geheiratet. Unser Leben ist perfekt. Nancy hat so viel Liebe in unsere kleine Familie gebracht, wir sind unendlich glücklich.

I love you until I die | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt