Wohl oder übel muss ich wieder zur Therapie. Ich war seit Monaten nicht da und meine Psychologin hat mehrere Anrufe und Nachrichten hinterlassen. Extrem demotiviert schleppe ich mich an diesem Samstag morgen also zur Therapie, zur Gruppentherapie, der schlimmsten Therapie von allen. Jeder jammert über sein Leben und alle tun ach so besorgt und mitleidig, aber im Endeffekt heult jeder nur über sein eigenes Leid und das Leid der anderen ist ihnen egal. Und da sitze ich jetzt also, zwischen Drogensüchtigen, die ihre Eltern bestohlen und ausgeraubt haben und aggressiven Jugendlichen, die ihre Opfer ins Krankenhaus geprügelt haben. Ich bin hier eindeutig fehl am Platz.
"Sophie, willst du heute etwas sagen?", fragt die Therapeutin. Ich zucke mit den Schultern. Jetzt, wo ich schonmal hier bin, kann ich eigentlich auch etwas sagen, oder? "Ungefähr vor einer Woche habe ich wieder angefangen mich zu ritzen. Beim letzten Mal hat mein Bruder mich dabei erwischt und es war wohl ziemlich knapp. Er meinte ich hätte verbluten können und dann hat er mich getröstet, wie er es früher immer getan hat. Ich habe Schuldgefühle ihm gegenüber. Er ist so ein toller Junge und er macht sich die ganze Zeit Sorgen um mich.", sage ich.
"Sophie, du weißt dass ritzen keine Lösung ist. Du solltest dir einen Stressball holen oder ein Haargummi, mit dem du dann spielen kannst."
"Sie wissen doch wohl selbst dass das nicht funktioniert. Jeder sagt dass er das macht, aber im Endeffekt ritzen sich doch wieder alle."
"Du könntest es wenigstens versuchen."
"Ich habe es satt, andauernd Dinge zu versuchen und dann klappt es doch nicht."
"Kann dein Bruder dir helfen?"
"Natürlich kann er das, aber das will ich nicht. Er soll sich keine Sorgen um mich machen."
"Kannst du mit irgendjemandem reden?"
"Ja, also da wäre schon jemand. Aber ich will diese Person auch nicht nerven und ich habe Angst dass sie sich dann auch Sorgen um mich macht."
"Rede mit dieser Person. Sorgen wird sie sich auch machen, wenn du dich zurückziehst."
"Vielleicht."
"Und hiermit beenden wir das heutige Gespräch. Wir sehen uns nächste Woche Samstag wieder. Gleicher Ort, gleiche Zeit."
Alle verlassen nach und nach den Raum. Also ich draußen in der Sonne stehe, umarmt mich jemand von hinten. "Hey.", flüstert Mona mir ins Ohr. "Hi.", sage ich und drehe mich um.
"Sophie, es tut mir leid."
"Ach ja?"
"Du hast Recht. Ich bin unglücklich und ich habe Angst davor, mir einzugestehen dass ich auf Frauen stehe. Mein ganzes Leben lang war ich immer nur in Jungs verliebt, bis ich dich kennengelernt habe. Das ist total verwirrend und ich weiß gar nicht was ich tun soll. Ich habe das Gefühl das mit dir ist was besonderes, aber du bist eine Schülerin und ich bin Lehrerin, ich würde meinen Job aufs Spiel setzen und du könntest von der Schule geworfen werden. Wir können ja erstmal Freunde sein und schauen, wie sich das ganze entwickelt."
"Du bist so süß."
Ich lächle sie an und sie lächelt zurück. Irgendwie ist der Tag heute doch ganz schön. Wäre ich nicht zur Therapie gegangen, hätte ich sie wahrscheinlich nicht getroffen und wir hätten uns nicht vertragen.
DU LIEST GERADE
I love you until I die | LGBTQ
Teen Fiction"Wir waren verdammt nochmal was besonderes!", rufe ich. "Sophie, sei leise, verdammt. Ich hatte Angst.", flüstert sie. "Du hast immer Angst.", sage ich ruhig und lasse meine erste große Liebe stehen. Gerade hat Sophie ihr Leben wieder im Griff, da t...