28. Mai 2016 (Teil 2)

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Henning:

Bewegungsunfähig starrte ich auf den Laptop, der vor mir stand. Eigentlich hatte ich nur die Sachen auf den Tisch legen wollen, als mich die Worte in der geöffneten Email fast angesprungen hatten. Ich fühlte mich mies, weil ich Sevis private Mail gelesen hatte, aber andererseits.. War ich komplett geschockt darüber, was ich da gelesen hatte. Ich hatte mich also getäuscht. Sevi fühlte sich doch scheiße, weil er immer alleine war. Weil wir nichts mehr mit ihm unternahmen. Weil wir alle was anderes zu tun hatten. Er hatte keine Lust mehr auf uns. Sevi wollte die Band verlassen. Ich spürte, wie mir alles Blut aus dem Gesicht wich und mir wurde schwindelig. Mein Magen krampfte sich zusammen und mir wurde so furchtbar schlecht, bei dem Gedanken, Sevi könnte in einer anderen Band spielen.  Entgeistert sah ich zu Sevi, der gerade mit Malte diese beschissene Palme in den Raum gewuchtet hatte. Sie lachten. Als Malte meinen Blick bemerkte, fiel ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Besorgnis huschte über seine Gesichtszüge. Sevi fuhr herum und schaute mir in die Augen. Sein Blick flackerte zu seinem Laptop und wieder zu mir. Ich sah die Panik in seinen Augen, als er kapierte, dass ich es gelesen hatte. Sein Mund klappte auf, doch er brachte keinen Ton hervor. "Du verlässt die Band?" Flüsterte ich und umklammerte die Vase in meinen Händen so fest, dass sie hätte zerspringen müssen. Malte riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Im nächsten Moment stand er neben mir und löste meine Finger, einen nach dem anderen, behutsam von der Vase, um sie auf den Tisch zu stellen. Sanft rüttelte er an meiner Schulter, suchte meinen Blick. "Was redest du da?" Fragte er verwirrt. Doch ich konnte nur Sevi anstarren. Der schüttelte heftig den Kopf und fand seine Stimme wieder. "Nein! Das stimmt so nicht! Hör zu, da ist diese Band und die sind.." Fing er an, doch ich wollte seine Ausreden nicht hören. Ich warf ihm einen eisigen Blick zu und er verstummte. "Lass gut sein, Sevi. Lass es einfach sein. Ich hab schon verstanden. Diese tolle Band hat Interesse an dir, während wir nur noch die Wohnung im Kopf haben. Und einander. Und Chrissi lieber bei Jana ist, als hier. Die geben dir dieses Gefühl, was du hier.." Sevi fiel mir ins Wort. "Das ist völliger Blödsinn, Hen.." "Lass mich ausreden!" Fuhr ich ihn an. "Dieses Gefühl, dass du hier schon lange nicht mehr hast.  Das Gefühl, gebraucht zu werden. Dann geh doch. Ist mir scheißegal. Ich will keinen Verräter zum Freund." Giftete ich und griff mir die dumme Vase vom Tisch. Ich schmiss sie Sevi, der mich geschockt anschaute, vor die Füße und sah, wie sie in tausend Scherben zerschmetterte, bevor ich aus dem Proberaum stürzte. "Henning, warte! Hey, bleib hier!" Rief mir mein Freund hinterher, doch ich hörte nicht. "Er läuft weg! Fuck, Sevi, was hast du gemacht? Was ist pas.." Seine panische Stimme wurde immer leiser, je weiter ich mich vom Proberaum entfernte. Ich rannte die Straße runter, ohne ein klares Ziel. Wie konnte er nur? Wie konnte er uns so hintergehen? Ich wusste, es war nicht einfach für ihn, momentan. Aber er hätte doch einfach mit uns reden können, wenn es ihn so mitnahm. Wieso war er.." Ein schrilles Quietschen riss mich aus meinen Gedanken und ich erkannte, dass ich einfach auf die Straße gelaufen war, ohne vorher zu gucken. Ich starrte das hupende Auto an, dass auf mich zu kam. Wollte ausweichen, zurück springen, doch meine Füße gehorchten mir vor lauter Angst nicht. Und dann war es zu spät. Ich spürte den Aufprall und schrie vor Schmerz auf. Und dann war da nichts mehr.

Malte:

Sevi versuchte, mir alles zu erklären, doch ich hörte nicht zu. Ich machte mir Sorgen um Henning. Was, wenn ihm was passierte? Ich wusste, dass er nichts mehr wahr nahm, wenn er in Rage war. Sevi war mittlerweile verstummt, als er bemerkte, dass ich mit meinen Gedanken wo anders war. Er seufzte und setzte sich neben mich. "Tut mir echt leid. Das ist alles ein Missverständnis. Ich zeige Henning einfach die anderen Emails und dann wird das wieder. Du wirst sehen. Schon morgen ist alles wieder gut." Versuchte er, mich zu beruhigen. "Mach dir keine Sorgen, er ist sicher zu sich nach Hause gelaufen. Bestimmt meldet er sich bald." Ich nickte abwesend, knetete nervös meine Hände. Das Klingeln meines Handys ließ uns beide zusammen zucken. "Siehst du?" Lächelte Sevi und ich sprang auf. Doch auf dem Display stand nicht der Name von meinem Freund. Ich kannte die Nummer nicht. Ein ungutes Gefühl breitete sich mit einem Mal in meinem Bauch aus. Nervös sah ich Sevi an und ging dran. "Malte Huck. Hallo?" Meine Stimme klang ganz dünn. "Hallo, Wagner vom Klinikum Köln. Sind Sie mit einem Henning May verwandt? Er wurde vor einigen Minuten in die Klinik eingeliefert. In seinem Handy haben wir Ihre Nummer in der Anrufliste gefunden..." Ich begann zu zittern und spürte, dass ich kreidebleich wurde. Ich hatte es gespürt. Irgendwas schlimmes war passiert. Sevi drückte mich an den Schultern zurück auf die Couch und musterte mich fragend. "Hallo..?" "Ähh ja, ich bin der Freund. Ähh, also.. Sein Partner." Stotterte ich, mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich hatte Angst vor der Antwort auf meine nächste Frage. "Was ist passiert?" "Nun, Herr May hatte einen Unfall. Er ist vor ein Auto gelaufen. Er.. Er wird gerade notoperiert. Bitte kommen Sie so schnell wie möglich in die Klinik." Meine Augen füllten sich mit Tränen, ich schniefte. "Okay. Danke." Presste ich hervor und ließ die Hand sinken. Sofort zog mich Sevi in seine Arme. "Was ist mit Henning?" Fragte er ängstlich, ich schluchzte auf. "Er ist mit einem Auto zusammen geknallt. Er wird.. not-.. notoperiert." Jetzt flossen die Tränen endgültig und mir war es egal. "Malte, es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld!" Flüsterte Sevi und drückte mich an sich. "Total egal, wer Schuld an was hat. Ich will ins Krankenhaus. Ich will zu ihm. Sofort." Bat ich und Sevi nickte an meiner Schulter. Er löste sich von mir und wir eilten zum Bus, um zur Klinik zu fahren. Die Fahrt verlief schweigend, ich fummelte nervös an meinem Shirt herum. Meine Hände zitterten noch immer. Als wir endlich da waren, stürmte ich, gefolgt von Sevi, zum Empfang und erkundigte mich nach meinem Freund. "Herr May wird noch operiert. Ich weiß nicht, wie lange das noch dauert. Nehmen Sie doch bitte im Wartebereich Platz, ich sage Ihnen sofort bescheid, wenn es was Neues gibt." Die ältere Frau sah uns mitfühlend an. Sevi bedankte sich und zog mich in den Wartebereich. Er drückte mich auf einen Stuhl und setzte sich daneben. Einen Arm legte er mir um die Schultern, die andere Hand legte er auf meinen Arm. "Er wird wieder. Ich weiß es. Henning ist sturer als 100 Maulesel zusammen. Der packt das. Mach dir keinen Kopf. Er schafft das für dich." Redete er auf mich ein, während ich mir die schon wieder laufenden Tränen aus dem Gesicht wischte und eigentlich nur noch zu Henning wollte. Es kam mir vor, wie eine Ewigkeit, bis drei Stunden später endlich die Frau vom Empfang herein kam. "Herr Huck? Der zuständige Arzt möchte mit Ihnen sprechen." Sie lächelte und begleitete uns zu einem Zimmer. Ich atmete tief durch und sah Sevi unsicher an, bevor ich die Klinke herunter drückte.

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Ehrlich gesagt, hab ich gerade krass geheult, beim Schreiben und habe keine Ahnung, wie ich jetzt ohne Albtraum schlafen soll. 😭😂

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