28. April 2016 (Teil 2)

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28. April 2016, Chrissi:

Schrecklich aufgeregt. Das beschrieb meinen Zustand vor dem Konzert am Abend ganz passend. Dazu kam dieses bescheuerte Honigkuchenpferdgrinsen, das ich seit Stunden nicht mehr aus dem Gesicht bekam. Sevi zog mich schon die ganze Zeit auf, natürlich hatte Malte gleich gepetzt, als wir wieder gekommen waren. Nach Hennings Gefühlsausbruch über das Tattoo, das Malte sich für ihn hatte stechen lassen, hatte er lang und breit von meiner Begegnung mit Jana erzählt und dabei total übertrieben. Und natürlich fand er kein Ende. "Wo bleibt deine Angebete, Christopher? Ob sie auch so aufgeregt ist, wie du? Was, wenn.." "So ein Quatsch! Halt endlich die Klappe, Huck! Du machst mich wahnsinnig!" Fiel ich ihm ins Wort und stand auf, um in der Garderobe auf und ab zu gehen. Die Nervosität war kaum mehr auszuhalten. "Das höre ich öfter. Aber in einem anderen Kontext." Grinste er, sie brachen in Gelächter aus. Ich verdrehte die Augen. Henning griff zum zigsten Mal nach Maltes Hand, um das kleine Tattoo zu bewundern. Noch immer huschte Unglaube über seine Gesichtszüge. Er sah Malte in die Augen und sie lächelten sich liebevoll an. Henning ließ seine Hand in Maltes gleiten, der sie sanft ergriff und ihre Finger miteinander verschränkte. Henning war vorhin völlig überwältigt gewesen und in Tränen ausgebrochen, als er das H gesehen hatte. Die beiden waren schon echt perfekt füreinander. Ich hoffte, dass Jana vielleicht endlich das perfekte Gegenstück zu mir sein könnte, nach dem ich schon so lange suchte. Klar, wir kannten uns noch überhaupt nicht, aber nach dem langen Gespräch im Tattoostudio hatte ich dieses Gefühl, dass daraus mehr werden könnte. Ich fand sie super nett und interessant und gerade weil sie meine Band nicht kannte, machte sie das noch sympathischer. Jana war 24 und kam hier aus Frankfurt. Sie studierte Eventmanagement. Sie liebte Musik und brannte scheinbar richtig dafür, endlich in unserer Branche zu arbeiten. Vor dem Studium war sie im Ausland gewesen und hatte bei mehreren Hilfsorganisationen versucht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Gott, sie faszinierte mich jetzt schon so sehr. Dabei hatten wir uns vor wenigen Stunden erst kennen gelernt.
Jetzt musste ich mich aber erstmal darauf konzentrieren, mich nicht vor ihr zu blamieren, da draußen auf der Bühne. Ich hatte dafür gesorgt, dass sie direkt an der Bühne stehen konnte. Mein Handy vibrierte auf dem Tisch. "Ohhh, eine Nachricht von Jana. Wer ist denn bloß Jana? Ist das etwa eine Verehrerin?" Kicherte Malte, Henning lachte. Er hatte sich mittlerweile mit dem Kopf auf Maltes Schoß gelegt und ließ die Füße über die Sofalehne baumeln. Sevi saß gegenüber und rauchte, sichtlich amüsiert über Maltes Gelaber. Ich verpasste dem Bassisten einen Schlag gegen den Hinterkopf. "Du Horst! Untersteh dich mit solchen Sprüchen, wenn sie nachher backstage ist!" Warnte ich und angelte mein Handy vom Tisch. Nachricht von Jana.

"Hey, ich bin jetzt da. Wo muss ich nochmal hin? Links oder rechts vor die Bühne? Es ist echt voll. Viel Glück für die Show!"

Ich lächelte und tippte eine Antwort.

"Hi! Freut mich, dass du gekommen bist! Ich spiele immer vom Publikum aus links. Dankeschön! Bis später"

Ich schob das Handy in meine Hosentasche und wollte endlich auf die Bühne. Ich wollte sie sehen. "Auf geht's, Jungs. Noch fünfzehn Minuten." Informierte uns einer aus der Crew und begleitete uns hinter die Bühne. Gleich war es soweit. Das Publikum verlangte schon lautstark nach uns. Ich grinste breit und legte mir den Gitarrengurt um, ließ meine Finger über die Saiten gleiten. Plötzlich kroch mir die Angst in den Nacken. Was, wenn ich mich total verspielte? Wenn ich mich blamierte? "Du bist ja ganz bleich, was ist los?" Fragte Sevi neben mir besorgt, ich seufzte. "Ich hab Schiss, zu versagen." Gab ich zu, er schüttelte sofort den Kopf und legte mir die Hände auf die Schultern. "Unsinn! Sie wird begeistert sein, weil du ein mega guter Gitarrist bist. Hör auf, dir sowas einzureden. Und jetzt los! Auf geht's, Leute!" Rief Sevi und ging zur Treppe. Ich folgte ihm und merkte, dass die anderen beiden nicht hinter mir waren. Das Licht ging aus und die Zuschauer begannen zu schreien. "Hey, wo sind Henning und Malte?" Schrie ich gegen den Lärm an. Martin stand neben der Treppe und erleuchtete mit einer Taschenlampe den Bereich. "Ey, das gibt's doch nicht! Henning! Malte!" Brüllte Sevi gegen den Lärm an, das Paar fuhr auseinander und kam zu uns herüber. "Euer Ernst? Abmarsch!" Fluchte Sevi und zeigte die Treppe hinauf. Henning und Malte grinsten frech und huschten an uns vorbei nach oben. "Unglaublich." Murmelte ich und folgte meiner Band auf die Bühne. Sevi gab den Takt an und wir begannen das Konzert. Ich ging immer weiter vorne an den Bühnenrand, wo mich dutzende Gesichter aufgeregt anstrahlten. Suchend schaute ich mich um und dann blickte ich in die Augen, die ich gesucht hatte. Da stand sie, an der Seite und lächelte schüchtern zu mir hinauf. Jetzt sah ich nur noch sie und alles andere zählte nicht mehr. Ich lächelte zurück und konzentrierte mich wieder auf meine Gitarre. Die Aufregung war plötzlich verschwunden und Sevi hatte recht gehabt. Ich verspielte mich kein einziges Mal.

Severin:

Keinem von uns entging, dass Chrissi quasi am rechten Bühnenrand klebte. Er bewegte sich das ganze Konzert über nicht dort weg, obwohl er ja sonst gerne mal herumwanderte. Leider konnte ich das Mädchen von hier hinten aus gar nicht sehen, dafür war die Bühne zu hoch. Malte schlenderte während einer Ansage von Henning unauffällig hinüber und ich sah den Horror in Chrissis Augen, als er es bemerkte. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, als er ihn wegschob. Die Zuschauer schrien begeistert, als sie zu rangeln begannen und Malte lachend aufgab und nach einem high five mit seinem Freund zu seinem Platz zurück ging. Henning nahm einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und stimmte dann "Das Krokodil" an. Sechs Songs und eine Zugabe später verließen wir verschwitzt aber glücklich die Bühne.
Im Backstage verschwand Chrissi sofort unter der Dusche, während wir erstmal runterkamen und eine rauchten. Naja, bis auf Malte natürlich. Der war ja strikt dagegen. Ich fragte mich, ob sie sich deswegen noch manchmal stritten. "Wann hörst du eigentlich endlich auf?" Fragte da Malte Henning und ich ohrfeigte mich innerlich. Wieso musste ich es auch heraufbeschwören? "Gar nicht." Grinste der, Malte verdrehte die Augen. "Setz ihn doch mal auf Entzug. Also nicht Zigarettenentzug, sondern Knutsch-Entzug." Lockerte ich die plötzliche Spannung zwischen den beiden auf. Während Malte nun teuflisch grinste, machte Henning große Augen und drückte seine gerade erst begonnene Zigarette aus. "Das würdest du nicht tun." Flüsterte er, entsetzt. "Ach so? Würde ich nicht?" Lachte Malte, beugte sich zu ihm. Henning biss sich auf die Unterlippe. "Nein, das würdest du mir nicht antun." Fand er, und beugte sich ebenfalls vor. Malte kam ihm immer näher, bis sich ihre Lippen fast berührten. Dann lehnte er sich abrupt zurück und widmete sich seinem Handy. Hennings Blick war für die Götter. Fassungslosigkeit und Horror spiegelten sich in seinen Augen, als er merkte, dass Malte ihm sehr wohl widerstehen konnte. Kleinlaut rutschte er dann zu Malte und schmiegte sich an ihn, bis der frech grinsend nachgab und seinen Arm um ihn legte. Ich lachte auf und war mir sicher, dass ich den Aschenbecher in naher Zukunft nur noch mit Chrissi teilen würde.

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