24. Juli 2016

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24. Juli 2016; Malte:

Chrissi und Jana hatten Stress. Eigentlich schon die ganze Woche. Wir hatten sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte, als Chrissi sich länger nicht meldete. Stattdessen kam er am Sonntag alleine und mies gelaunt in den Proberaum gestampft, als ich gerade die Setlist für die Festivals abschrieb. Eigentlich sollte Jana auch dabei sein. Schnell ließ ich die Setlist hinter einem Kissen verschwinden. "Was machst du denn hier?" Fragte ich verdutzt, er grummelte. "Geht dich nichts an." Er riss seine Gitarre an sich und begann, ruppig die Saiten zu spielen. "Hey, die kann da auch nichts für, was auch immer los ist.. Ich spüre doch, dass was passiert ist.." Ich entzog ihm sanft das Instrument und setzte mich neben ihm auf die Couch. Chrissi seufzte schwer und ließ die Schultern hängen. "Ich hab mich mit Jana verkracht." Ließ er die Bombe platzen und ich legte ihm mitfühlend meine Hand auf die Schulter.  "Willst du.. willst du drüber reden, oder lieber nicht? Ich kann.. ich kann auch einfach nur hier sitzen und dir Gesellschaft leisten, wenn dir das lie.." "Ich bin so ein Arsch!" Fiel er mir laut ins Wort. "Wieso?" "Ich.. ich möchte so gerne, dass sie zu mir zieht. Dabei ist es noch viel zu früh. Und dann haben wir Freitag nach der Probe telefoniert und ich hab einfach aufgelegt und bin dann gestern nicht zu ihr gefahren und dann stand sie plötzlich vor meiner Haustür und wir haben uns den ganzen Abend gezofft. Ich.. das wollte ich doch nicht. Ich möchte doch nur, dass sie bei mir ist. Weil ich sie liebe. Warum möchte sie dann denn nicht?" Ich sah die Tränen, die in seinen Augen glitzerten und streckte die Arme aus, um ihn an mich zu ziehen. "Hey.. nicht weinen. Das wird alles wieder. Glaub mir. Ihr müsst euch nur beide beruhigen und dann nochmal reden.. Lass ihr Zeit." Flüsterte ich, Chrissi schniefte. "Sie hasst mich. Wie konnte ich so egoistisch sein?" "Shh.. Jana hasst dich doch nicht!" Ich dachte an die Überraschung, die sie vor Wochen angefangen hatte, zu planen. Wenn er nur wüsste. Ich hatte so eine Ahnung, dass sie noch nicht zu ihm kommen wollte, weil die Überraschung sonst nur halb so groß wäre. Ja, sie brauchte bloß noch ein paar Tage Zeit. "Im Gegenteil! Sie liebt dich genau so sehr, wie du sie. Was soll sie denn machen? Wenn du hier noch zur Schule gehen würdest, könntest du auch nicht einfach wegziehen. Sie ist im letzten Semester, wenn ich das richtig verstanden habe. Das ist doch sicher bald vorbei und ich bin mir sicher, dass sie dann sofort ihre Sachen packt und herzieht. Wart es nur ab. Noch ein paar Wochen." Ich streichelte ihm über den Rücken, bis er aufhörte, zu schluchzen. Mit roten Augen sah er mich schließlich an. "Meinst du wirklich?" "Na klar! Und jetzt hör auf zu heulen. Das steht dir nicht." Neckte ich ihn, Chrissi boxte mir gegen die Schulter. "Aua! Ey, du.." Ich griff mir ein Kissen und schlug ihn damit. Leider vergaß ich dabei die Setlist, die sanft zu Boden segelte. "Was ist das denn? Was machst du hier überhaupt?" Fragte Chrissi und griff nach dem Papier. Ich riss es ihm aus der Hand und wurde rot. "Ähh.. nichts. Das.. ist nichts." "Ohhh.. etwa ein Liebesbrief an Henning?" Zog Chrissi mich auf, ich ging dankbar darauf ein. "Ähh.. ja. Aber sag ihm nichts, bitte." "Quatsch, du kennst mich doch. Ich verrate nichts." Er tätschelte mir den Kopf und stand auf, um sich was zu trinken aus dem Kühlschrank zu holen. Erleichtert atmete ich auf. Puh.. das war gerade nochmal gut gegangen..

Jana:

Ich hielt es kaum aus, zu Hause. Ich fühlte mich furchtbar, weil ich Chrissi sozusagen eine Abfuhr erteilt hatte. Kein Wunder, dass er mich an dem Abend letztens rausgeworfen hatte. Es war so hart, ihm die Überraschung nicht zu verraten. Und jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich mit der Überraschung nichts mehr gerade biegen konnte, weil er viel zu verletzt war. Was, wenn er gar nicht mehr wollte, dass ich zu ihm kam? Unsinn, Jana! Er hat dir doch gesagt, dass er dich bei sich haben will. Ich seufzte. Mein Blick huschte immer wieder zu der Tasche neben meinem Schrank und dem Vertrag, der an der Pinnwand hing. Er trug meine Unterschrift, die von meiner Uni und die von Sevi. Außer diesem blöden Aufsatz und der Lesung am Ende der Woche stand der Fahrt nach Köln nichts mehr im Wege. Sollte ich..? Nein. Chrissi würde mich sicher wieder wegschicken. Oder vielleicht sollte ich doch..? Ich sprang auf und verließ das Zimmer, um nicht mehr in Versuchung zu kommen. In der Küche öffnete ich den Kühlschrank, um mir was zu Essen zu machen. Ich wusste gar nicht, wann ich zuletzt ordentlich gegessen hatte. Meine Hand zitterte, als ich die Schüssel heraus holte und sie entglitt meinen Fingern. "Scheiße!" Fluchte ich, als sie auf dem Boden aufschlug und zersprang. "Scheiße, scheiße, scheiße!" Heulend kniete ich mich hin und sammelte die größten Scherben ein. Im Wohnzimmer begann mein Laptop zu klingeln und ich zuckte zusammen. "Aua!" Zischte ich, hatte mich vor Schreck geschnitten. Ich schnappte mir das Geschirrtuch vom Haken und presste es auf meine Hand, bevor ich ins Wohnzimmer eilte, um zu sehen, wer anrief. Sevis Name stand auf dem Bildschirm. Ich zögerte. In meinem Zustand musste er denken, ich sei irre geworden. Seufzend nahm ich den Anruf dann trotzdem an. "Oh mein Gott!" War das erste, was ich zu hören bekam und verdrehte die Augen. "Ja, ich weiß selber, dass ich aussehe, wie ein Zombie, danke." Murmelte ich, schaute nicht auf. "Was ist mit deiner Hand?" Fragte jemand, das war nicht Sevi. Ich hob den Kopf und drei Augenpaare starrten mich an. "Oh.. hey, Malte. Hey, Henning." Sie saßen neben Sevi im Proberaum, wie es aussah. Chrissi erblickte ich nicht. "Hey. Also, was ist mit deiner Hand? Du hast doch wohl nicht..?" Misstrauisch schaute Henning mich an. "Was? Ne.. nein! Was denkst du von mir? Ich.. mir ist eine Schüssel runtergefallen. Und dann wollte ich die Scherben aufheben und euer Anruf hat mich erschreckt, da hab ich mich geschnitten." Erzählte ich wahrheitsgemäß. "Oh shit! Das tut uns echt leid, wir wussten doch nicht, dass.." Stammelte Malte, er gestikulierte wild vor der Kamera herum. "Ist schon okay!" Unterbrach ich ihn. "Wo.. wo ist Chrissi?" Fragte ich, sie schauten sich betreten an. "Nach Hause gegangen.. er ist echt fertig. Sieht genauso schrecklich aus, wie.. wie du. Sorry, aber ihr seht beide aus wie aus einem Horrorfilm." Sevi verpasste Malte einen Schlag gegen den Kopf. "Alter!" Knurrte Henning ihn direkt an. Ich konnte nicht anders, als über Hennings Beschützerinstinkt zu lächeln. Die beiden waren so perfekt füreinander. Chrissi ist perfekt für dich. "Ich weiß.. es tut mir so leid.. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, mit meiner Abfuhr. Ich weiß doch, wieso er möchte, dass ich nach Köln ziehe.. Und ich möchte es auch." "Dann sag ihm das! Sag es ihm! Überrasch ihn einfach früher. Ist doch egal, dass der Geburtstag erst in einer Woche ist. Komm bitte, bitte hier her und sag es ihm!" Flehten sie mich plötzlich an und ich begriff, warum sie angerufen hatten. Malte sprang fast in die Kameralinse. Mit wie zum Beten verschränkten Händen flehte er mich an. "Bitte! Euch geht es so scheiße, wir können das nicht mehr mit ansehen. Wir holen dich auch ab, wenn du zu viel Gepäck hast." Jammerte er, ich musste irgendwie lachen. "Ihr seid mir solche Pappnasen. Da reiße ich mich seit Wochen am Riemen, um Chrissi nicht alles zu verraten und jetzt, eine Woche vorher, fleht ihr mich an, es doch zu tun." "Ja! Ja, das tun wir! Und? Was sagst du?" Drängte Sevi, er grinste unsicher. Ich überlegte keine Sekunde. "Ja! Ja, ich komme. Ich halte diese Stille zwischen Chrissi und mir nicht mehr aus." Verkündete ich und sie brachen in Jubel aus. Scheiß auf diese eine Woche. Um ihren Freundentaumel zu beenden, pfiff ich auf zwei Fingern, sie zuckten zusammen und sahen mich verdutzt an. "Wow. Ich wusste nicht, dass du das kannst." Henning rieb sich sein Ohr und sah mich zerknirscht an. Ich verdrehte die Augen und grinste. "Um auf euer Angebot zurück zu kommen.. Wer holt mich ab?" Mein Blick glitt zu Malte. "Auf dem Weg!" Rief er und sprang auf. "Was? Warte, warte! Jetzt sofort?" "Natürlich jetzt sofort! Fang an, zu packen!" Gröhlte er und ich sah, wie er den Proberaum mit dem Autoschlüssel in der Hand verließ. Henning sah ihm sehnsüchtig nach, während Sevi sich kopfschüttelnd wieder zu mir drehte. "Ich weiß doch nicht mal, was ich packen soll. Und für wie lange!? Und Henning?" Er sah mich auch an. "Mh?" Machte er, sein Blick wanderte sofort wieder zum Fenster. "Lauf." Grinste ich nur, und dann war er schon weg, um seinen Freund noch einzuholen. "Die beiden gibt's echt nur im Doppelpack, oder?" Lachte ich, Sevi grinste. "Sowieso. Also, um auf das Packen zurück zu kommen. Pack für zwei Wochen. Das müsste erstmal reichen. Bevor wir auf die kleine Tour gehen, können wir ja eventuell nochmal bei dir vorbei fahren, wenn du noch mehr brauchst." Schlug er vor und ich nickte, während ich den Laptop in mein Schlafzimmer trug. "Okay, wo geht's jetzt hin? Oh.. okay, also.." Er wurde rot. Ich lachte. "Das ist nur ein Zimmer, Sevi. Ich will nur packen und trotzdem weiter quatschen. Da sind noch ein paar Fragen, die ich stellen will, bevor Chrissi wieder dabei ist. Wegen der Tour." Bei dem Gedanken, Chrissi wieder zu sehen, kribbelte alles in mir. Ich hoffte nur, dass er dann nicht mehr sauer war. Und mich überhaupt sehen wollte. "Klar, schieß los. Was gibt's?" "Moment, ich will noch kurz meine Hand versorgen. Bin sofort wieder da." Ich lief ins Bad, um den Schnitt in meiner Handfläche zu versorgen und kehrte dann zurück. Sevi lächelte, als er mich sah. "Also, wegen den Zeiten.. eure Auftritte sind meistens recht früh, ist das okay für euch? Die ganzen Slots am Abend waren schon voll, weil wir uns erst so spät gekümmert haben.. Und was ist mit Essen? Ihr müsst mir sagen, was gar nicht geht.. Wisst ihr schon, wie viele Songs ihr spielen wollt? Ihr habt meistens eine halbe bis dreiviertel Stunde.." Ratterte ich meine Fragen herunter, Sevi hörte aufmerksam zu und beantwortete dann alles geduldig. Nebenbei schmiss ich Stapel um Stapel an Klamotten in meinen Koffer und stopfte Handtücher, Badesachen und so weiter in andere Taschen. Ich verabschiedete mich irgenwann mit einem "Bis später" von Sevi. Und dann waren zwei Stunden auch schon um. Ich goss nochmal alle Pflanzen, räumte die letzten Sachen weg und wartete, dass es klingelte. Kurz darauf hörte ich die beiden Kindsköpfe im Treppenhaus. Die Haustür unten musste offen gewesen sein. Grinsend öffnete ich die Tür und fiel ihnen um den Hals. "Ihr seid echt die besten. Danke, dass ihr mich abholt!" Freute ich mich und schulterte meine Reisetasche. "Hi! Es ist schön, dich ein bisschen fröhlicher zu sehen, als eben noch vor dem Laptop!" Er umarmte mich nochmal. Man, er war so lieb. Henning sah sich suchend um. "Ich müsste nochmal auf die Toilette, bevor wir wieder fahren." Schief grinste er. "Klar! Hier." Ich deutete auf die Tür und er verschwand. Malte zog schon meinen Koffer ins Treppenhaus. Ich hoffte wirklich, dass das hier nicht umsonst war. Er schien meinen Blick zu bemerken. "Hey, was ist?" Fragte er, legte seine Hand auf meinen Arm. "Ich.. ich weiß nicht, ob das wirklich so klappt, alles. Was, wenn Chrissi mich wieder raus schmeißt?" Murmelte ich, er schüttelte den Kopf. "Dann kommst du zu uns und wir prügeln ihm Verstand ein." Erklärte er ganz sachlich und ich hörte Henning auf dem Pott lachen. Kopfschüttelnd, aber kichernd nahm ich meine Schlüssel aus dem Körbchen neben der Tür. "Dann muss ich mir ja gar keine Sorgen machen." Henning kam wieder. "Stimmt. Und jetzt.. Abmarsch!" Kommandierte er und schob uns nach draußen. Mit meinem Koffer und diversen Taschen beladen stolperten sie die Treppen hinunter, ich folgte ihnen. Das konnte ja was werden. "Du kannst dich schonmal an den Bus gewöhnen.. da wirst du viele Stunden drin verbringen, auf der Tour! Kannst du eigentlich fahren?" Fragte Malte, ich nickte. "Ja, kann ich. Aber ich habe kein eigenes Auto. Aber jetzt möchte ich nicht fahren.. ich bin viel zu aufgeregt. Sorry, Malte." Er nickte verständnisvoll. "Kein Problem. Aber dann weiß ich ja, wer fährt, wenn ich auf Tour dran wäre." Zwinkerte er und wir stiegen ein. Dann wollen wir mal..

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