Der zweite Tag

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Die ganze Nacht war ich wach geblieben, konnte und wollte nicht schlafen, dennoch musste ich irgendwann eingenickt sein, vielleicht fünf oder zehn Minuten, genug jedenfalls, um es nicht sofort zu merken.
Erst war es nur ein entferntes Rauschen, das immer lauter wurde, dann spürte ich nasse Tropfen in meinem Gesicht und schließlich öffnete ich überrascht meine Augen.
Nebelfladen hatten sich in der Nacht zuvor gebildet, ohne das ich es gemerkt hatte, vermutlich hatte mir dies jedoch zusätzlich das Leben gerettet, doch zogen diese sich nun rasch zurück.
Verwirrt blickte ich in den Himmel, welchen ich durch die Blätter der hohen Bäume wieder nicht sehen konnte, doch brauchte ich dies auch nicht unbedingt, denn immer mehr Regentropfen vielen in mein Gesicht.
Mit meiner Zunge leckte ich mir über die nun nassen Lippen, erst dann stand ich schließlich auf, das Moos, die Erde und die Blätter, alles womit ich mich in der Nacht zuvor noch bedeckt hatte, rieselte an mir herab.
Ich hatte leider kein Behältnis womit ich den Regen auffangen konnte, doch hinderte es mich nicht daran, meinen Mund zu öffnen und zu versuchen so viel wie möglich aufzufangen und zu schlucken.
Es war nicht wirklich schwer, wurden es doch immer mehr Tropfen.
Ich fragte mich nicht, warum die Spielemacher es auf einmal regnen lassen sollten, warum sie uns somit helfen sollten, ich wunderte mich zu diesem Zeitpunkt über gar nichts mehr, ich hatte einfach nur Durst und versuchte diesen zu stillen, bis zu dem Moment, als ich es Donnern hörte.
Ich hatte nicht einmal gesehen, das es zwar wieder Tag war, doch immer noch recht dunkel, sogar zwischen all den Bäumen war es düsterer als sonst.
Hell blitze es zwischen den Baumkronen auf und erneut vernahm ich ein heftiges Donnern, so laut, das ich zusammenzuckte, das Rauschen des Regens wurde immer stärker und lauter, ich blickte zu Boden und erkannte, das sich der moosig-erdige Belag völlig aufweichte und das ich schon beim bloßen stehen langsam wegrutschte.
Meine Kleidung klebte mir inzwischen klitschnass am Körper und die modrigen Bäche begannen schon überzuquellen.
Ich wusste, das dies alles nichts Gutes verheißen konnte, immerhin war dies hier eine Arena, alles hier drin war künstlich von den Spielemachern erschaffen worden, sogar die Tageszeiten, ich konnte mir also denken, das das hier kein normaler Regenguss sein würde.
Vermutlich war es überall in diesem Dschungel gleich und meine einzige Chance bestünde darin mich zurück zur Wüste durchzuschlagen.
Aber was für eine Chance hatte ich dort?
Mit mir selbst ringend was ich nun tun sollte, bemerkte ich nicht, wie das Wasser mittlerweile nicht mehr vom Boden aufgesaugt werden konnte und mir bis zu den Knöcheln gestiegen war.
Als ich plötzlich nasse Füße bekam, blickte ich zu Boden und musste erschrocken feststellen, dass dies hier einem Monsun gleichen würde.
Der Wind, der normalerweise nicht zwischen so dicht stehenden Bäumen hindurchdringen würde, brauste auf und wurde so stark, das ich mir die Arme vor das Gesicht halten musste, um mich vor dem nun peitschenden Regen zu schützen, welcher sich anfühlte wie feine Nadelstiche.
Mir wurde klar, dass ich wohl wirklich keine andere Wahl hatte als die Wüste und so rannte ich los.
Immer wieder rutschte ich auf dem völlig nassen und matschigen Boden aus, landete mit meinem ganzen Körper im -für meinen Geschmack- schon viel zu hohem Wasser und kämpfte mich verzweifelt wieder hoch.
Es war eine Tortur vorwärts zu kommen und ich spürte schon bald die Erschöpfung, ich wusste das es ein weiter Weg werden würde, immerhin war ich am Tag zuvor ebenso lange in den Wald hineingerannt.
Wieder Blitzte es auf und dieses Mal traf der Blitz einen Baum in meiner Nähe, der starke Wind ließ ihn dann letztendlich umfallen.
Ich musste zur Seite springen, damit er mich nicht erwischte.
Völlig am Ende wäre ich am liebsten liegen geblieben, doch kämpfte ich mich erneut auf die Beine und rannte weiter.
Der Wald war zu einer Todesfalle geworden, in der das Wasser stetig anstieg und Bäume einen fast erschlugen.
Der Wasserpegel reichte mir mittlerweile bis zur Hüfte und ich kam noch langsamer voran als zuvor, ich hatte schon die Befürchtung, das ich nie das Ende des Waldes erreichen würde, als ich auf einmal bemerkte, wie das Wasser wieder absank, da ich nun Bergauf zu laufen schien.
Ich wusste, das der Wald kurz vor der Wüste solch eine Erhebung hatte und das gab mir die Kraft weiterzugehen.
Völlig durchnässt und am Ende meiner Kraft kämpfte ich mich den kleinen Hügel hinauf, raus aus dem Wasser und an den Rand zur Wüste.
Keuchend blieb ich am Waldrand stehen, lehnte mich an einen Baum und rutschte dann an diesem hinab.
Ich wagte es trotz des tosenden Sturms hinter mir nicht völlig hinaus.
Dort draußen wäre ich ein offenes Ziel, nichts was mir Schutz bieten konnte, zu viele die meinen Tot wollten.
Ich konnte aus meiner Position heraus das Füllhorn erkennen und eine kleine Gruppe von Jugendlichen, die zu eben diesem zurückrannten, auch sie wirkten völlig nass.
Vermutlich hatten die Karrieros am Abend versucht die anderen Tribute im Wald zu finden und zu töten, allerdings konnte ich durch das schwere Unwetter nicht sagen, ob nicht vielleicht eines der Donnergrollen ein Kanonenschuss gewesen war.
Der Sturm legte sich so schnell wie er gekommen war und auf einmal hörte ich schmatzende Schritte, die sich mir näherten und ich richtete mich wieder auf, versuchte im dunklen Wald etwas zu erkennen, doch nichts war zu sehen.
Ich blickte kurz an dem Baum neben mir hinauf, doch waren dies Bäume, bei denen die Äste einfach zu weit oben anfingen und viele von ihnen waren auch schlichtweg zu dünn zum Klettern.
Ich verwarf diesen Gedanken also schnell wieder und richtete meine Augen wieder in die Dunkelheit des Waldes.
Ich wusste, wenn ich jetzt einen schritt hinaus in die Wüste machen würde, dann würden mich die Karrieros sehen und mich auf jeden Fall töten, diese Person, die auf mich zukam, war bestimmt allein, ich hätte also eine größere Chance zu überleben wenn ich mich diesem Tribut stellte.
Meiner Meinung nach machte es auch keinen Sinn wegzurennen, welcher Tribut es auch war, der zu mir kam, er hatte mich mehr als wahrscheinlich schon längst wahrgenommen und vermutlich sogar bis hierher verfolgt.
Ich keuchte überrascht auf, als ein stechender Schmerz mich an meiner Wange traf und ich drehte mein Gesicht aus einem Reflex heraus weg.
Im Baum neben mir steckte ein Messer, welches mich wohl gestreift haben musste, schnell griff ich danach und stürzte hinter den nächsten Baum.
Wieder flogen Messer an mir vorbei und ich rutschte am Boden aus, als ich versuchte auszuweichen.
Ein Mädchen trat zwischen einigen Bäumen hervor, sie war groß, hatte braune Haare und blaue Augen soweit ich es erkennen konnte, zudem sah sie ziemlich kräftig aus.
Sie war kein Karriero, dennoch hatte sie es irgendwie geschafft sich Waffen zu besorgen und stand nun mit einer Machete in der Hand vor mir.
Ihr Gesicht wirkte entschlossen, nichts deutete darauf hin, das sie Skrupel hatte, sie würde mich töten, sobald ich ihr die Chance dazu gab.
Ebenso entschlossen nicht zu sterben, richtete ich mich auf dem rutschigen Boden wieder auf und stand ihr nun mit dem kleinen Messer in der Hand gegenüber.
Ihre Mimik wurde verbissen und plötzlich rannte sie auf mich los, sie machte keinerlei Geräusche dabei, entweder war sie stumm, was ich nicht glaubte oder aber sie war klug genug keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Ich sah, wie sie mit ihrer Waffe ausholte und nach mir schlagen wollte, doch sprang ich zur Seite und rollte mich am Boden ab.
Ich war noch immer in der Hocke, als sie erneut auf mich zu rannte und ohne großes Geschick dabei nach mir schlug.
Erneut wich ich aus, meine Stärke war meine Schnelligkeit, die des Mädchen waren wohl eher die Messer, die sie geworfen hatte, mit der Machte konnte sie nicht wirklich umgehen.
Sie war langsam und ungelenk damit.
Ich schnitt sie beim erneuten ausweichen ins Bein und sie keuchte auf, knickte kurz ein und schwang die Machete zu mir herum.
Ich duckte mich knapp darunter vorbei und stach selbst wieder nach ihr, ich traf sie erneut, dieses Mal am Bauch, was sie kurz vor Schmerzen die Waffe sinken ließ.
Ich schlug mit meinem Bein aus und haute ihr damit ihre weg, sie fiel und stöhnte auf, im nächsten Moment war ich auf ihr und versuchte sie mit meinem Messer zu erstechen, doch fing sie meine Hand ab und drückte mit aller Kraft das Messer fort.
Es war nicht leicht dagegenzuhalten, immerhin war ich nicht gerade stark, Wendigkeit und Geschicklichkeit halfen einem auch nicht wenn es ums Kräftemessen ging.
Mit der anderen Hand versuchte sie nach ihrer Machete zu greifen, welche sie bei ihrem Sturz fallen gelassen hatte, doch als ich dies bemerkte, trat ich diese weiter fort.
Ich würde nicht zulassen, das ich jetzt schon starb, ich würde nicht aufgeben und meinen Geschwistern zumuten mich sterben zu sehen.
Ich versuchte mit meiner linken Hand nun ihre freie festzuhalten, doch war dies schwerer als gedacht, immer wieder rangen wir miteinander, bis sie mich schließlich herumschleuderte und ich unten Lag.
Ich hielt noch immer das Messer in der Hand und stach erneut nach ihr, doch wieder fing sie die Waffe ab und es wurde zunehmend schwerer ihrer Gegenwehr standzuhalten.
Sie griff neben mir nach einem Stein und schlug mir damit ins Gesicht.
Benommen ließ ich das Messer los, schmeckte Blut und befühlte meine Lippe, ich hatte schmerzen.
Als ich wieder zu dem Mädchen aufblickte, hatte sie nun das Messer in der Hand und holte mit einem grimmigen Gesichtsausdruck aus.
Aus einem Reflex heraus, griff ich nach der feuchten Erde am Boden und warf damit nach ihr, es war leider kein Sand, der sie blenden konnte, aber es verschaffte mir ein wenig Zeit.
Ich richtete mich ein etwas auf und schlug ihr in den Magen, was sie erneut aufstöhnen ließ, wir begannen wieder miteinander zu rangeln und dabei ließ sie das Messer fallen.
Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwann hatten wir uns aufgerappelt und sie drückte mich gegen einen Baum, der Aufprall raubte mir kurzzeitig den Atem und sie schlug mir ins Gesicht.
Ich versuchte den Schlag abzufangen, doch mehr schlecht als recht, ich ging in die Knie, weil ihre Faust mich ebenfalls im Magen traf und versuchte krampfhaft mich nicht zu übergeben.
Mit ihrem Bein holte sie aus und trat nach mir, woraufhin ich erneut zu Boden ging und dort liegen blieb.
Heftig atmend und mit leicht verschwommener Sicht, konnte ich sehen, wie sie im Laub nach ihren Waffen suchte.
Ich blickte mich ebenfalls um, ob ich etwas entdeckte, das mir helfen konnte, doch das einzige was ich sah, waren Äste, Dreck und... eine Spinne?.
Ich kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können, die Spinne war ungefähr handgroß, haarig und erinnerte sehr an eine Vogelspinne, doch erkannte ich das es eine dieser neumodischen Mutationen war, ihr Gift konnte einen in Sekunden töten.
Ohne groß darüber nachzudenken, griff ich nach ihr und warf sie auf das Mädchen, welches sich nun wieder zu mir umdrehte.
Die Spinne landete auf ihr und sie riss die Augen auf als sie die Spinne erkannte, panisch versuchte sie sie von sich zu schlagen, doch erwischte sie sie nicht.
Bis zu dem Moment, als ich sie zusammenzucken sah und erkannte, das sie merkwürdig blass wurde.
Die Spinne hatte ihr, vermutlich um sich zu verteidigen, in den Oberarm gebissen und dort hatte sich eine dicke Beule gebildet, die beinahe zu platzen schien.
Das Mädchen sah mir mit einem undeutbaren Blick in die Augen und ging dann zu Boden.
Sie rang verzweifelt nach Luft und ihre Atemzüge fingen an zu stocken, sie griff sich wild zappelnd an den Hals, so als würde sie jemand würgen, ehe sie reglos in sich zusammenfiel.
Still lag sie da, die Spinne war mittlerweile, nachdem sie anscheinend noch einmal zugebissen hatte, davongekrabbelt.
Mit heftig pochenden Herzen und schockgeweiteten Augen saß ich da, spürte die Schmerzen die sie mir zugefügt hatte kaum noch, da vermutlich das Adrenalin durch meinen Körper schoss und starrte sie einfach nur an.
Der Kanonenschlag ertönte und ich zuckte leicht zusammen.
Dies war der erste Mittribut den ich töten musste um zu überleben.
Innerlich hatte ich mich einer kindlichen Hoffnung hingegeben, das es auch ausreichen würde, wenn ich mich einfach nur versteckte, überlebte, doch das ich tatsächlich selbst würde töten müssen, hatte ich so gut es ging einfach verdrängt, bis zu diesem Moment.
Sicher ich wollte leben, aber war ich jetzt so viel besser als die Menschen im Kapitol?
Die Spielemacher?
Der Präsident?
Ich wurde durch sie zu einer Mörderin und sollte ich diese Spiele überleben und gewinnen, dann würde ich dies auch immer sein, ich würde damit leben müssen, nicht sie.

Es war schon später am Tag, meine Kleidung war noch immer völlig nass und vermutlich würde sie bei diesem Klima auch nicht trocknen, es sei denn ich ginge hinaus in die trockene Luft und die strahlende Sonne der Wüste, ich hatte das Messer und die Machete des Mädchens an mich genommen, sowie ihren Gürtel um diese zu tragen, ich schluckte schwer, mein Hals war erneut trocken und meine Zunge fühlte sich angeschwollen an, ich hatte Kopfschmerzen und war erschreckend Müde.
Ich wusste, das dies alles Anzeichen einer Dehydration waren und das ich schnellstens etwas Wasser finden musste, sonst war es das.
Denn ich bezweifelte stark, das ich von Haymitch mithilfe eines Sponsoren etwas bekommen würde.
Vermutlich hatte ich es wirklich geschafft, sie so sehr zu verärgern, das sie mich einfach hier sterben lassen wollten.
Ich befand mich immer noch am Rand vom Wald zur Wüste, nur nicht mehr bei dem toten Mädchen, da diese von einem Hovercraft abgeholt wurde und dadurch die Karrieros wussten wo sie suchen mussten, als es anfing dunkel zu werden.
Dichte Nebelschwaden waberten vom Wald heran, verbreiteten sich auch ein Stück über den Rand zur Wüste hinaus aus und bewegten sich dann nicht weiter.
Ich hockte auf der Erde und beobachtete die Karrieros, wie sie erneut in den Wald auszogen und lauschte auf die Geräusche der Nacht.
Ich blickte zum Füllhorn und der dahinterliegenden Oase, ich wollte und musste dorthin, doch wusste ich, das die Karrieros ihre Vorräte niemals ohne Aufsicht gelassen hätten.
Ich würde diesen Abend und das kommende Mal nutzen müssen um zu beobachten, wie viele beim Füllhorn zurückblieben um dann eventuell zu handeln.
Wenn es nur einer war, dann konnte ich es versuchen, ich konnte es riskieren mich diesem Tribut zu stellen, anderenfalls würde ich ganz sicher verdursten oder verhungern.
Die Hymne von Panem erklang und kurz darauf wurden wieder die Gefallenen gezeigt, es waren nur zwei, ein zwölf Jahre alter Junge namens Mike aus Distrikt 6. und das Mädchen das ich getötet hatte, sie hieß Jane und war aus Distrikt 7. jetzt waren wir also nur noch neun.
Ich wusste, das sie nur versucht hatte zu überleben, darum konnte ich sie nicht hassen, ich hasste eher das Kapitol, weil sie uns dazu zwangen solche Dinge zu tun.
Ich setzte mich nachdem die Hymne verklungen war auf die Lauer und versuchte so viel von meinen Gegnern zu lernen wie ich konnte, ehe ich mir überlegte wie ich als nächstes vorging.

The Hunger Games-Sarah Riley and her life as a tributWo Geschichten leben. Entdecke jetzt