Bedrängnis und Scham

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Ein halbes Jahr war vergangen, seit wir wieder zu Hause in Distrikt 12 waren, nun war es Winter, es war kalt und die Luft um uns herum war feucht.
Heute war der Tag, an dem wir wieder aufbrechen mussten, heute war der Tag, an dem die Tour der Sieger begann.
Gegen Mittag würden die Reporter und Kameras in Katniss's und auch in Peetas Haus einfallen, Effie würde kommen und die Vorbereitungsteams sowie Cinna, die dafür sorgen würden, das die beiden vor den Kameras wieder vorzeigbar aussahen.
In all der Zeit, seit wir wieder zu Hause waren, hatte ich begonnen meinem gewohnten Trott wieder nachzugehen.
Ich stand am Morgen auf, ganz in der früh, noch bevor die Sonne aufgegangen war, begann dann einmal um das Dorf der Sieger zu Joggen, versuchte mich fit zu halten und wenn ich wieder bei meinem Haus angekommen war, stand die Sonne schon am Himmel.
Dann Duschte ich, aß etwas und wusste oft nichts mit mir anzufangen, bis Peeta vorbeikam.
Etwas hat sich seit den letzten Spielen verändert.
Ich war nicht mehr allein.
Peeta kam jeden Tag zu mir, brachte mir frisches Brot, meist noch warm und ein Paar Kekse, wir hatten uns nicht viel zu sagen, doch waren auch die Momente in denen wir schwiegen nie unangenehm.
Mit Katniss hatte ich nach wie vor nicht ganz so viel zu tun, sie war auch wieder ihrem Leben nachgegangen, dem Jagen mit Gale zum Beispiel, tja und Haymitch... Er trank wieder mehr denn je, was vielleicht auch daran lag, das Katniss ihm fast täglich Alkohol vorbeibrachte und somit seiner Sucht Nahrung verlieh.
Allerdings tat sie das nur, weil er vor einigen Wochen mal keinen Alkohol mehr hatte und es auch keinen zu Kaufen mehr gab, daraufhin bekam er Entzugserscheinungen, er zitterte stark und schrie irgendwelche schrecklichen Erscheinungen an, die nur er sehen konnte.
Er erschrak Prim fast zu Tode und auch Katniss war anzusehen gewesen, das es ihr nicht gerade gefiel ihn so zu sehen.
Ich selbst mochte es auch nicht, doch hoffte ich inständig, das er irgendwann dennoch mit seiner Sucht aufhören würde, um seiner selbst willen.
Es war als würde er versuchen wollen, die Zeit bei den Hungerspielen, wo er wegen Katniss und Peeta weniger getrunken hatte, wieder aufzuholen.
Aber vielleicht lag es auch daran, das Distrikt 12 einfach zu viele Erinnerungen an die Vergangenheit mit sich brachte, die es zu vergessen galt.
Was es auch war, ich sprach nie viel mit ihm, dennoch ging ich ab und an nach ihm sehen, eigentlich fast täglich, auch wenn er davon nichts mitbekam.
Ich wusste nicht was für ein Verhältnis wir nun hatten, doch wusste ich, das es besser war als vorher, denn da hatte ich mir nie die Mühe gemacht nach ihm zu schauen, ich hatte mir nicht einmal um ihn Gedanken gemacht, ich hatte einfach nur vor mich hingelebt, wenn man das denn so nennen konnte.
Nun saß ich mit Peeta in meinem Wohnzimmer, probierte einen seiner Kekse und sah ihn dann eindringlich an.
„Wie geht es dir?"
Flüchtig wanderten seine Augen zu mir, dann wieder starr geradeaus.
„Ganz gut, schätze ich"
Ich nickte.
„Haben du und Katniss noch einmal darüber gesprochen?"
Peeta hatte noch auf dem Weg nach Hause erfahren, das Katniss ihn nicht wirklich liebte, das sie nur eine Show für eine Show abgezogen hatte um zu überleben.
Sicherlich war er ihr nicht wirklich Böse, immerhin hatte sie ihm so das Leben gerettet, doch war er enttäuscht, frustriert und ... ja keine Ahnung, er hatte einfach Kummer.
Und seit dem Tag, als wir aus dem Zug gestiegen und beide ins Dorf der Sieger gezogen waren, hatte sich zwischen ihnen eine dicke Kluft aufgebaut, Peeta wollte das Katniss sich überlegte was sie wollte und dann erst mit ihm sprach, was nie geschehen war und heute mussten sie wieder das verliebte Paar Mimen.
Was für eine Farce.
Peeta schüttelte den Kopf und ich kam nicht umhin zu denken, dass er mir leidtat.
Liebe war grauenvoll, sie lässt einen immer einen viel zu leidvollen Weg gehen, nur um im Endeffekt einfach zu verschwinden.
Denn eins war schließlich klar, wenn man die Liebe nicht halten konnte, solange die Flamme loderte, konnte sie zu schnell verlöschen, nur schien sie bei Katniss nie gebrannt zu haben.
„Das tut mir leid"
„Muss es nicht, wenn es mit ihr nicht klappt, sind sie ja noch da" Ein grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus und ich musste schmunzeln.
„Sicher, schade nur, das du so jung bist" Ich wusste, das er es nicht wirklich ernst meinte, aber wenn der Junge meinte, das er ein wenig Aufmunterung vertragen konnte, wer war ich, sie ihm zu verwehren?
„So viel älter sind sie nun auch wieder nicht"
„Nun, über mein alter sollten wir nicht diskutieren, das ist ein Frauengeheimnis"
Ich erhob mich und räumte die Tassen mit dem Tee weg, die ich uns eingeschenkt hatte.
„Gehen sie wieder zu Haymitch?"
Überrascht sah ich den Jungen an, ich hatte nicht gewusst, das überhaupt irgendwer mitbekam, das ich nach diesem Trunkenbold sah.
„Ja"
„Könnte ich mitkommen?" Er schien sonst auch keine weitere Beschäftigung zu haben, also nickte ich.
„Ja, allerdings nur, wenn du mich endlich duzt. Peeta, ich bin kein alte Frau"
Er grinste erneut und nickte zur Antwort.
Auf dem Weg zur Tür, griff ich nach meinem Olivfarbenen Mantel und zog ihn über, dann reichte ich Peeta seine Jacke und Schal und verließ das Haus.

Der Schnee machte seine typischen Geräusche unter unseren Schuhen, es war etwas schwieriger voranzukommen, aber das störte mich nicht, ich mochte Schnee lieber als übermäßige Hitze.
Als wir an Haymitch's Haus ankamen, öffnete ich die Tür, er schloss praktisch nie ab, was für uns nur von Vorteil sein konnte, da wir so ungehindert ein und aus konnten.
Es war als wäre Haymitch's Haus der neutrale Punkt im Distrikt, ein Ort, an den Jeder von uns hin und wieder ging um nicht allein zu sein, auch wenn sein Besitzer nur seinen Rausch ausschlief oder trank.
„Hey, wenn du verhätschelt werden willst, musst du Peeta fragen"
Erklang Katniss's Stimme aufgebracht.
„Was soll er mich fragen?" Peeta und ich betreten den Raum, ich ließ meinen Mantel lieber an, da es eiskalt hier war, vermutlich hatte Katniss kurz zuvor die Flamme im Kamin wieder zum lodern gebracht.
Wir gingen zum Tisch und Peeta ließ Katniss nicht aus den Augen, während ich Haymitch sachte das Messer aus der nassen Hand nahm.
Peeta legte ein frischgebackenes Brot auf den Tisch und sah sie weiter fragend an.
„Ob du mich wecken kannst, ohne das ich mir eine Lungenentzündung hole" Sagte Haymitch dann.
Ich gab Peeta das Messer und verdrehte die Augen.
Dieser lächelte nur, spülte das Messer mit dem Schnaps ab und wischte es an seinem Hemd trocken, dann schnitt er das Brot in scheiben.
Als er Haymitch die Brotkante reichte, sah er wieder zu Katniss: „Möchtest du auch ein Stück?"
„Nein, ich hab auf dem Hob gegessen. Aber vielen Dank"
Ihre Stimme klang fremd und förmlich, wieder tat Peeta mir leid und ich konnte einfach nicht verstehen, warum Katniss ihn so an der langen Leine hielt.
Vermutlich war sie sich selbst nicht mal darüber im Klaren, das viele der Küsse in der Arena, mehr als nur echt gewesen waren, so gut konnte sie einfach nicht Schauspielern.
„Keine Ursache" Erwiderte er steif.
Haymitch neben mir regte sich, zog sich das nasse Hemd aus und warf es mitten in das Durcheinander.
Erschrocken wandte ich mich von ihm ab, sicherlich brannten meine Wangen nun, ich konnte nur hoffen, das es keiner mitbekam.
Ich war die einzige die so Prüde reagierte, welch Närrin ich doch war!
Katniss schien sich nicht dafür zu interessieren und Peeta... er war selbst ein Junge, dem war das sowieso egal.
„Brrr! Ihr beide müsst euch aber noch ordentlich aufwärmen, bevor die Show losgeht"
Haymitch hatte recht, das Publikum erwartete die beiden Turteltäubchen, die die Hungerspiele gewonnen haben.
Nicht zwei Menschen, die einander kaum in die Augen sehen konnten.
„Geh dich mal waschen, Haymitch" Erwiderte Katniss zornig und verschwand aus dem Fenster.
Ich kam nicht umhin ihr beizupflichten.
So gepflegt Haymitch im Kapitol auch immer war, -dort hatte er präsent zu sein- hier schien ihm das ziemlich egal, er stank wie eine Schnapsbrauerei und ich verzog mein Gesicht.
„Nun, ich denke, auch du solltest so langsam nach Hause gehen Peeta. Sicherlich treffen Effie und die Vorbereitungsteams bald ein" Ich blickte die ganze Zeit ausschließlich auf Peeta, weigerte mich Haymitch auch nur anzusehen, solange er sich nicht wieder angezogen hatte.
Er nickte: „In Ordnung, wir sehen uns dann"
Erst als ich das klicken der Tür im Schloss vernahm, wandte ich mich in Richtung Treppe.
„Hey, was machst du?" Rief Haymitch hinter mir her.
Ich zog meinen Mantel im gehen aus, ging die Treppenstufen nach oben und legte ihn dann auf dem Geländer ab.
Ich hörte Haymitch's Schritte hinter mir, doch ließ ich mich nicht beirren.
Ich betrat das Badezimmer, drehte die Dusche auf heiß und ließ das Wasser laufen, dann verließ ich das Zimmer wieder, drückte mich mit gesengtem Blick an dem nun im Türrahmen stehenden Haymitch vorbei und ging zu seinem Schlafzimmer.
„Süße, willst du wirklich dort hineingehen?" Ich stockte in meiner Bewegung, die Hand nach dem Türgriff ausgestreckt, was würde mich dahinter erwarten, zerwühlte Lacken? Oder noch mehr Flaschen Alkohol? Wollte ich wirklich dort hineingehen?
Als Haymitch hinter mir auflachte, verzog ich mein Gesicht, was für ein Unsinn, der Mann schlief meistens da wo er gerade trank und das war ganz sicher nicht in seinem Bett.
Ich drehte den Knauf und stieß wütend die Tür auf, mich auf das schlimmste gefasst machend und dann völlig überrascht, als ich feststellen musste, das dieses Zimmer wohl das ordentlichste von allen war.
Ich schüttelte meinen Kopf und ging auf den Kleiderschrank zu.
„Hey, Süße! Verdammt!" Haymitch kam auf mich zu und knallte die Schranktür vor mir wieder zu.
Nun war ich eingekeilt, zwischen seinem Schrank, dem Arm, der die Tür zuhielt und seinem Körper hinter mir.
Normalerweise hätte ich nun einen zynischen Spruch abgelassen, wie „Was, hast du etwa Angst, das ich deine Unterwäsche sehen könnte?" Erstaunlicherweise jedoch ließ mich diese Angst wirklich rot anlaufen.
Ich versuchte cool zu bleiben, auch wenn mein Herz einen mächtigen Satz in meiner Brust machte.
„Verbringst du je Zeit in diesem Zimmer?"
„Ab und an" Murmelte er hinter mir, ich hatte das Gefühl, das er ein wenig näher gekommen war, jedoch rührte er sich nun nicht mehr.
Ich wagte es nicht mich umzudrehen, ich war schließlich nicht so groß wie er, ich würde vermutlich geradewegs auf seine nackte Brust starren, was ich absolut nicht wollte.
„Was hast du eigentlich vor?" Fragte er schließlich hinter mir und ich trat aus dieser Gefährlichen Situation heraus.
„Die Dusche ist an und heiß, du solltest dich nun waschen gehen, bevor du dazu keine Zeit mehr hast und such dir frische Kleidung aus dem Schrank" Ich ging auf die Tür zu, noch immer nicht zu ihm blickend.
„Ich werde unten auf dich warten" Gab ich noch von mir, ehe ich den Raum endgültig verließ und nach unten ging.
Es war noch immer verdammt kalt im unteren Stockwerk und leider hatte ich oben meinen Mantel liegen lassen, doch würde ich nun den Teufel tun und noch einmal dort hinauf gehen, solange dieser Idiot nicht anständig bekleidet war.
Also schnappte ich mir eine Decke von seinem Sofa und setzte mich hin, ich spürte die Müdigkeit, die schon die ganze Woche in mir versteckt lag mit einem Mal ziemlich deutlich und lehnte mich an der Lehne an, wollte mich entspannen, ein wenig ausruhen, bevor der ganze Trubel losging, doch schlief ich ein.

Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, lag ich auf dem Sofa und blickte geradewegs in Haymitch's helle, blaue Augen.
Er saß auf einem Sessel mir gegenüber, grinste breit und murmelte: „Morgen Süße"
Erschrocken fuhr ich hoch, ein leichter Schwindel packte mich, da ich zu schnell gemacht hatte, doch fasste ich mich wieder und sah ihn mit riesigen Augen an.
„Warum hast du mich nicht geweckt? Sind wir zu spät? Wieviel Uhr ist es?"
„Süße, jetzt schalt mal wieder einen Gang runter. Ich war vielleicht eine halbe Stunde oben gewesen und bin eben gerade herunter gekommen. Wir sind nicht zu spät, wir haben noch massig Zeit"
Obwohl ich das Gefühl hatte, das er mich vielleicht doch länger angesehen hatte, als er behauptete, stand ich erleichtert auf, begann die Decke zusammenzulegen und ließ sie auf dem Sofa liegen, dann drehte ich mich um und stieß fast mit Haymitch zusammen.
„Im Übrigen, hast du das hier oben vergessen" Er hielt mir meinen Mantel hin und ich griff dankend danach, schlüpfte schnell hinein und fühlte mich sogleich sicherer.
Es war, wie ein Schutzschild, der mich vor Haymitch schützen würde, was völliger Unsinn war, denn vor Haymitch brauchte ich nun wirklich keinen Schutz, aber irgendetwas war heute anders.
Seine Ausstrahlung vielleicht? Oder sein Blick? Ich konnte nicht genau den Finger drauf legen, aber es spielte auch keine Rolle, ich wollte einfach nur nicht allzu lange mit ihm alleine sein im Moment.
„Können wir dann?"
Kurz musterte er mich noch von oben bis unten, ehe er grinste und nickte.
Auch er zog sich nun seinen grauen Mantel über, schlüpfte in seine Schuhe und verließ mit mir zusammen sein Haus.

The Hunger Games-Sarah Riley and her life as a tributWo Geschichten leben. Entdecke jetzt