Geständnisse

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Als es vierundzwanzig Stunden lang ruhig geblieben war, durften wir den Bunker endlich wieder verlassen.

Haymitch ergriff meine Hand und führte mich in einen Raum, der aussah wie die Kommandozentrale.

Er wirkte müde und hatte dunkle Ringe unter den Augen.

Ich hörte ihn leise murren, was er doch alles für einen Drink gäbe, als er meine Hand auch schon wieder losließ und wir uns setzten.

Coin, Plutarch, Cressida, Katniss, Finnick, Gale und all die anderen kamen hinzu und sofort kam Coin zur Sache.

„Wir brauchen euch vier in voller Montur über der Erde. Ihr habt genau zwei Stunden Zeit, um Bildmaterial zu sammeln, das erstens die Zerstörung durch die Bomben zeigt, zweitens beweist, dass die Militäreinheit von 13 nicht nur funktioniert, sondern übermächtig ist, und vor allem, drittens, dass der Spotttölpel noch lebt. Fragen?"

Wir vier zogen uns sofort um und begaben uns an die Oberfläche und direkt in den Wald.

Die Blätter über unseren Köpfen begannen sich langsam zu verfärben und die Luft wurde schon leicht kühler.

„Der Wievielte ist heute?" Fragte Katniss niemand bestimmten und Boggs antwortete: „Nächste Woche fängt der September an"

Wenn nächste Woche der September anfing, dann waren die letzten Hungerspiele ungefähr fünf oder sechs Wochen her.

Es erschien mir wie eine Ewigkeit, das wir uns schon in diesem Bunker unter der Erde befanden, den 13 ein zuhause nannte und doch verfolgten und jagten mich die Erinnerungen an die Hungerspiele und die Dinge die ich dort gesehen hatte oder tun musste, jede Nacht und jeden Moment in dem ich meine Augen schloss, so als wären sie erst vor wenigen Stunden geschehen.

Überall um uns herum waren Krater und es lagen Trümmer auf dem Waldboden.

Je weiter wir voranschritten, desto schwerer war das vorankommen.

Es schien, als hätte das Kapitol nicht genau gewusst, wo 13 und seine Verteidigungsanlagen lagen, sodass sie bloß wahllos drauflosgefeuert hatten.

„Wieviel Zeit hatten wir durch Peetas Warnung gewonnen?" Fragte Haymitch.

„Ungefähr zehn Minuten" Erklärte ihm Boggs.

Als wir bei den Trümmern des alten Justizgebäudes ankamen, hielt Cressida an: „Ich würde Katniss gerne vor den Ruinen filmen"

Als Katniss langsam auf die Ruinen zulief, rief Gale plötzlich aus: „Seht mal im Krater"

Mit gerunzelter Stirn blickte ich, sowie alle anderen hinein und ich konnte nicht fassen was ich sah.

Der Boden des Kraters und auch außerhalb lagen lauter roter und rosa Rosen.

„Snow" Murmelte Katniss leise, sodass man sie kaum verstand.

Ich vernahm einen stark süßen Duft in der Nase, der von Snows Genmanipulierten Rosen ausströmte und ich hasste ihn unwillkürlich, obwohl es nicht unangenehm roch.

Ich blickte wieder zu Katniss, sie schaffte es kaum auf die Rosen zu sehen, sie starrte in den Himmel, schien tränen zurückhalten wollen, versuchte stark zu sein, die Kontrolle nicht zu verlieren, doch fiel ihr dies sichtlich schwer.

„Was wollt ihr noch mal von mir?" Fragte sie Cressida, welche nach Box und Pollux rief.

„Nur ein paar Worte, die zeigen, dass du noch lebst und immer noch Kampfgeist hast" Erklärte sie ihr.

Katniss stellte sich mit dem Blick zu den Kameras auf: „Gut" Sie schien zu versuchen sich bereit zu machen, doch nach ungefähr zwei Minuten des Starrens, sagte sie schließlich: „Es tut mir leid, mir fällt nichts ein"

Cressida ging auf sie zu: „Geht es dir gut?" Sie tupfte mit einem Tuch Katniss Gesicht ab, während diese nickte.

„Gut, wenn dir nichts einfällt, dann machen wir eben das gute alte Frage-und-Antwort-Spiel"

Wieder nickte Katniss und verschränkte die Arme um anscheinend ihr Zittern zu verbergen.

Finnick hielt ihr die Daumen hoch und ich nickte ihr aufmunternd zu.

„Also Katniss, du hast die Bombardierung von Distrikt 13 durch das Kapitol überlebt. Wie war das im Vergleich zu dem, was du in Distrikt 8 über der Erde erlebt hast?"

„Wir waren so tief unten, dass keine richtige Gefahr bestand. Distrikt 13 ist wohlauf und ich bin..." Katniss hatte sichtlich Schwierigkeiten ihren Satz zu Ende zu bringen, geschweige denn zu atmen.

Als Cressida ihr versprach, das sie für heute fertig sei, wenn sie nur noch diesen Satz beenden würde, schaffte sie es kläglich und notgedrungen: „Distrikt 13 ist wohlauf und ich bin am Leben"

Ich wusste nicht genau, ob Katniss Reaktion mit der Bombardierung zu tun hatte, oder damit, dass sie die Rosen gesehen hatte, oder begriff das sie eine Warnung sein sollten, die ihr galt und vermutlich mit Peeta zu tun hatte.

Ich hatte noch nie verstanden was in ihrem Kopf vor sich ging, aber ich begriff, dass sie litt, so wie wir alle.

Vielleicht auch ein wenig mehr.

„Schnitt" Meinte Cressida und Plutarch trat an sie heran, als Katniss schnell von den Kameras wegtrat und sich erbrach. „Was hat sie denn?"

„Sie hat begriffen, wie Snow Peeta benutzt" Sagte Finnick.

Ein kollektives Seufzen erklang, weil wir alle schon viel früher gewusst hatten, was Snow Peeta antun würde um Katniss leiden zu lassen, aber nun wusste sie es allem Anschein nach auch und das hätte ich ihr am liebsten erspart.

Einige gingen auf sie zu, wollten sie in den Arm nehmen, sie trösten, doch sie hatte nur von einem Trost gesucht, Haymitch.

Er hatte sie sofort in den Arm genommen, als sie auf ihn zugeeilt war und nun rieb er ihr sachte über den Rücken.

Vermutlich war sie zu ihm gegangen, weil er wusste, und verstand, was sie fühlte, da es ihm vermutlich ebenso erging.

Denn mir erging es auf jedemfall sowie ihr.

„Ich kann das nicht mehr" Murmelte sie an seiner Brust.

„Ich weiß" Sagte er.

„Ich denke nur noch daran, was er Peeta alles antut, nur weil ich der Spotttölpel bin!" Stieß sie hervor.

Haymitch schien sie fester zu drücken: „Ich weiß"

„Was machen sie nur mit ihm?" Sie schluchzte laut auf, sodass ihre Schultern zuckten.

„Es ist meine Schuld!" Schrie sie auf und wurde in Haymitch's Armen richtiggehend hysterisch, sodass man sie ruhigstellen musste.

Man brachte sie zurück nach 13, doch einige von uns blieben.

Cressida wollte, das auch wir, die anderen Sieger, etwas sagten.

Finnick trat vor, stellte sich vor die Kameras, drückte das Seil, das er oft in der Hand hatte um Knoten darin zu machen, es schien ihn zu beruhigen, vermutlich weil er aus dem Distrikt Fischerei kam, dort lag es an der Tagesordnung Netze zu Knoten, mit denen man schließlich Fischen konnte.

Er schien unsicher und ich würde ihn gerne in den Arm nehmen, so wie Haymitch Katniss vorhin, doch hatte Finnick, den ich kennengelernt hatte, nichts mehr mit diesem Mann gemein, der nun hier stand.

Er war nicht mehr der lässige, gutgelaunte, charmante und stets bereit zum Flirten aufgelegte Mann von einst.

„Präsident Snow hat mich... verkauft... genauer gesagt meinen Körper" Überrascht riss ich die Augen auf und suchte Haymitch mit den Augen, es schien, als hätte er gewusst das ich ihn an dieser Stelle ansehen würde, es schien als hätte er gewusst das Finnick so etwas erzählen würde.

Finnick's Augen wurden ausdruckslos, distanziert, als wäre das was er nun erzählen würde, nicht wirklich ihm, sondern einem anderen passiert.

Haymitch hatte sich einen weg zu mir gebahnt und stand nun neben mir, ohne etwas zu sagen oder mich anzusehen, er hielt seine Augen auf Finnick.

„Ich war nicht der Einzige. Wenn ein Sieger als begehrenswert gilt, benutzt ihn der Präsident als Belohnung oder bietet ihn für eine große Summe an. Weigert man sich, tötet er jemanden, den man liebt. Also macht man mit"

Ich begriff mit einem Mal, dass die Gerüchte um Finnick's unzählige Liebschaften im Kapitol der Wahrheit entsprachen, nur das er dies nicht freiwillig hatte mit sich machen lassen. Und das ich diesem Schicksal offensichtlich entkommen war, weil Snow keinen mehr hatte den er von mir hätte töten können.

Unbewusst suchte ich nach Haymitch's Hand und ergriff sie, welcher sie fest drückte.

„Ich war nicht der Einzige, aber ich war der Beliebteste. Vielleicht auch der Hilfloseste, weil die Menschen, die ich liebte, so hilflos waren. Die, die das Bett mit mir teilten, beschenkten mich mit Geld oder Schmuck, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aber ich entdeckte eine viel wertvollere Art der Bezahlung. Geheimnisse" Sprach er ruhig und schon fast unheimlich gefasst.

Finnick begann ein Netz zu weben, das unmöglich gelogen sein konnte, ein Netz aus ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben, von Untreue, maßloser Gier und blutigen Machtspielchen.

Ich schloss kurz die Augen und versuchte mir nicht den hilflosen Jungen, der er zu dieser Zeit noch gewesen war, vorzustellen.

Wie er völlig auf sich gestellt, so hatte leiden müssen.

Wem hätte er es auch erzählen sollen und wer hätte ihm geglaubt?

„Und jetzt zu unserem guten Präsidenten Coriolanus Snow" Sagte Finnick: „So Jung, als er an die Macht kam, und so schlau, an der Macht zu bleiben. Gewiss fragen sie sich, wie er das geschafft hat? Ein Wort. Mehr brauchen sie nicht zu wissen. Gift"

Finnick erzählte von Snows politischen Aufstieg und seinen Feinden, sowie seinen Verbündeten, die später zu Bedrohungen hätten werden können und somit verschwinden mussten.

Er erzählte, wie einer nach dem anderen auf seltsame Weise ums Leben kam und wie Menschen auf festen einfach umfielen oder langsam und unerklärlich über Monate hinweg zu einem Schatten ihrer selbst wurden, ehe sie endlich starben.

Er erzählte, wie Snow selbst auch aus den Tassen mit den vergifteten Getränken trank um jeden Verdacht zu zerstreuen.

Das er deshalb die stark parfümierten Rosen trug, um den Blutgeruch zu überdecken, der von den offenen Wunden in seinem Mund stammte.

Als Finnick fertig war, schienen alle geschockt von dem was er erzählte.

Alle, außer Haymitch, welcher als einziger gewusst zu haben schien, was im Kapitol wirklich abgelaufen war.

War ihm so etwas auch wiederfahren?

In diesem Moment wurde mir bewusst, wie wenig ich über seine Vergangenheit wusste.

„Sarah?" Fragte Cressida und ich hob überrascht den Kopf.

Was wollte sie jetzt noch von mir hören? Ich hatte keine Geheimnisse über Snow oder irgendwelche Menschen aus dem Kapitol.

Was konnte ich schon erzählen, das die anderen Distrikte interessieren oder bewegen könnte.

„Ich weiß nicht" Schüttelte ich den Kopf.

Haymitch drückte meine Hand fester: „Du musst das nicht tun"

„Es wäre für die Menschen sicherlich interessant auch deine Sicht der Dinge zu hören, was ist dir wiederfahren, was musstest du unter dem Kapitol oder die Hungerspiele erleiden?" Meinte Cressida und sah mich mitfühlend an.

Kurz zögerte ich noch, da nichts was ich erzählen konnte, an das ran reichen könnte, was Finnick erzählte, doch dann begriff ich, dass es das nicht musste, es zählte einzig und allein, wie wichtig es mir selbst war.

Wie schwer es mich selbst getroffen hatte.

Ich nickte, ließ Haymitch's beistehende Hand los und trat vor die Kameras, blickte in das rot leuchtende Lämpchen, das zeigte, das gerade aufgenommen wurde.

„Als ich in die Hungerspiele musste, waren meine beiden Geschwister und ich schon sehr lange auf uns alleine gestellt gewesen. Ich hatte die Verantwortung, musste mich um sie kümmern. Ich wusste, dass ich die Spiele nicht überleben würde. Doch war ich beruhigt, als meine beste Freundin sich anbot, sie bei sich aufzunehmen. Ich wusste, ich konnte nun gehen, ohne Angst haben zu müssen, das sie verhungerten. In der Arena, traf ich auf meinen Mittribut, James. James wollte mich töten und er war der festen Überzeugung von uns beiden diese Spiele lebend zu verlassen.

Ich..." Ich verstummte, suchte nach den richtigen Worten, schluckte und wollte schon abbrechen, doch als Haymitch in mein Sichtfeld trat, hatte ich einen neuen Fixpunkt und hielt ihn mit meinem Blick fest.

„Einige erinnern sich vielleicht noch daran, das am Schluss der Hungerspiele nicht alles gezeigt wurde. Das niemand sehen konnte, wie ich James... getötet habe" Entschlossen nun durchzuziehen, was ich begonnen hatte, atmete ich einmal tief durch, ehe ich wieder anfing zu sprechen: „James Erding hat versucht mich zu vergewaltigen. Ich konnte mich wehren und tötete ihn. Doch anstatt nun, wie ich hoffte wieder Heim zu meinen kleinen Geschwistern zu können, hatte der Präsident entschlossen, das ich das nicht könne. Er erklärte mir das er verstimmt wäre über den Ausgang der Spiele und das meine Taten Konsequenzen nach sich ziehen würden. Noch am selben Tag erfuhr ich, dass das Haus meiner Freundin wie durch Zauberhand Feuer gefangen hätte und das sie, ihr Vater und meine kleine Schwester im Feuer umgekommen wären. Snow versicherte mir, das es meinem Bruder gutginge, solange ich niemanden vom wahren Ausgang der Spiele erzählen würde, er ließ mich in dem Glauben ihn eines Tages wiederzusehen. Doch mittlerweile habe ich begriffen, dass mein Bruder mit Sicherheit schon längst tot ist. Präsident Snow hat mir mit den Hungerspielen für viele Jahre nicht nur das genommen, was mich ausmacht, er hat mir auch meine Familie genommen. Und das bloß, weil er nicht hatte alles in den Distrikten ausstrahlen können"

Einen kurzen Moment schwieg ich, musste versuchen meine Nerven zu beruhigen. Es war das erste Mal, dass ich all das wirklich ausgesprochen hatte und ich spürte die Blicke alle umstehenden, aber vor allem Haymitch's auf mir ruhen.

„Mittlerweile habe ich eine neue Familie gewonnen" Liebevoll sah ich zu dem Mann, der mir den Willen zu Leben wiedergegeben hatte.

Ich bekam nicht einmal mit, das mir eine Träne die Wange herablief, denn sonst hätte ich alles getan um dies zu verhindern.

Nie hatte ich schwach wirken wollen, vor all den Menschen, die zusahen.

„Und wieder ist Präsident Snow dabei sie mir zu nehmen! Doch dieses Mal Kämpfe ich! Und ich hoffe, dass jeder der unter Snows Herrschaft leidet ebenfalls für sich und seine Familie einsteht und kämpft. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen, wir müssen es nur wollen"

Erneut fiel eine Träne, doch dieses Mal bemerkte ich es und wischte sie energisch fort.

„Das war sehr gut, Sarah" Meinte Cressida aufmunternd und reichte mir ein Tuch, mit dem ich mein Gesicht abwischen konnte.

Als die Kameras endgültig ausgeschaltet waren, kam Haymitch zu mir und sah mich fragend an, so als wisse er nicht ob er mich berühren dürfe.

Ich versuchte mich an einem Lächeln, das mir kläglich misslang und biss dann fest die Zähne zusammen, ehe ich einfach auf ihn zutrat und die Arme fest um ihn schlang.

Früher hätte ich so etwas nie zugelassen und ganz sicher nicht von mir aus getan, doch nun fühlte es sich richtig an und ich wollte ihn nie wieder loslassen, aus Angst ihn doch eines Tages aus den Augen zu verlieren.

The Hunger Games-Sarah Riley and her life as a tributWo Geschichten leben. Entdecke jetzt