Die Nuss

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Am Abend hatten wir uns bereit gemacht und Katniss trug Ihr Spotttölpelkostüm, unter dem sie noch zusätzlich eine Schutzweste angelegt hatte.
Als die Detonationen in Gang gesetzt wurden, war ich teilweise erschüttert darüber, das es doch gewaltiger war, als in meiner Vorstellung.
Die Bergwände waren an sich schon instabil und als die Gerölllawinen hinabrollten, brachen sogar ganze Teile der Nuss zusammen und ich konnte nur hoffen, das in Ihrem Innern dabei keiner zu Tote kam.
Beetee hatte recht behalten, einmal in Gang gesetzt, waren sie nicht mehr aufzuhalten.
Alle Spuren, die darauf hindeuteten, das dieser Ort je von Menschen betreten wurde, waren ausgelöscht.
Sprachlos standen wir da.
Ich fühlte mich klein und unbedeutend in diesem Moment und ich wusste, wenn ich in die Gesichter der Anderen sah, das es Ihnen genauso erging.
Im Berginneren waren sicher schon die heulenden Klänge der Sirenen losgegangen.
Das Licht würde Flackern und dann gänzlich erlöschen.
Erstickender Staub in der Luft.
Schreie und panisches suchen nach einem Ausgang.
Frei schwingende Stromleitungen, Feuer, vertraute Wege, welche durch die Trümmer zu einem Labyrinth wurden.
Noch während ich all dies Dachte und sofort meine Eltern vor meinen Augen sah, wie es Ihnen bei dem Minenunglück in 12 ergangen sein musste und mich selbst, als 13 vom Kapitol bombardiert worden war, wurde ich durch eine warme Hand an meiner Schulter zurück in die Realität geholt.
Ich zuckte zusammen, doch als ich mich umwandte und in Haymitchs mir mittlerweile allzuvertrautes Gesicht blickte, spürte ich unbändige Erleichterung.
„Was machst du denn hier?" Hauchte ich leise und Haymitch grinste mich auf die für Ihn so typische Weise an: „Was denkst du denn Süße? Ich mache mir seit fast drei Wochen sorgen um dich und nun wo hier die Kacke richtig am dampfen ist, soll ich zuhause am Herdchen stehen und Stricken?"
Ich grinste bei seinen Worten breiter und wandte mich Ihm zu, schlang meine Arme um seinen Nacken und barg mein Gesicht an seiner Halsbeuge.
Haymitch hatte mich aus meinen düsteren Gedanken geholt und ich war mehr als Dankbar dafür.
Haymitch war immer da, egal ob Ihm bewusst war, das ich Ihn brauchte, oder nicht.
Ich spürte, wie er mich kurz fest an sich drückte und dann von mir abließ.
„Na dann wollen wir mal." Wandte er sich an Katniss.
Cressida eilte mit Ihrem Team herbei, damit sie die perfekten Aufnahmen für weitere Propos bekam und blieb dicht hinter uns, als wir uns dem Eisenbahneingang der Nuss näherten, aus welchem staubiger Dunst geschossen kam.
Ich hielt meinen Speer, welchen ich von Beetee einst bekommen hatte, fest in der Hand und Boggs murmelte zu Katniss: „Keine Sorge. Sicher gibt es überlebende."
„Plutarch hat ne Rede für dich geschrieben." Sagte Haymitch und holte einen Zettel aus seiner Tasche: „Hier ist das was du sagen sollst."
„Ich werd das nicht sagen." Gab sie bloß schlicht und einfach von sich, was Haymitch dazu veranlasste den Zettel hinter sich zu werfen und zu sagen: „Okay, hab ich auch nicht angenommen. Lass uns nur nicht vergessen , das du zu allen sprichst." Versuchte er Ihr noch einmal ruhig zu erklären und wir hielten vor dem Eingang der Nuss an.
„Nicht nur zu den Rebellen, auch zum Kapitol. Sie sollen die Waffen niederlegen. Deshalb... experimentier doch vielleicht einmal mit etwas... Sensibilität und wärme." Schlug er Ihr vor und er wusste genauso gut wie ich, das dies ein schwieriges Unterfangen für Katniss werden würde.
Doch noch ehe Katniss anhob zu sprechen, fuhren zwei Züge aus der Nuss heraus und hielten am Eingang an.
Als die Türen aufgingen, stolperten die Menschen aus den Zügen in einer Dunstwolke heraus, die sie aus dem Berg mitgebracht hatten.
Einige suchten sofort Deckung vor uns, andere warfen sich flach auf den Boden in Erwartung eines Kugelhagels.
Ich selbst steckte meinen Speer am Rücken fest und zog meine kleine Handfeuerwaffe, ehe ich an Katniss Seite trat.
Ein Mann trat aus dem Zug heraus, lief auf uns zu und hielt eine Waffe in der Hand.
Boggs hob nun die Seine und rief immer wieder, das der Mann seine Waffe fallenlassen sollte und plötzlich ertönten Schüsse aus unseren Reihen.
Schreie ertönten und der Mann mit der Waffe ging zu Boden.
Katniss rannte los: „Halt! Nicht schießen!"
Boggs und ich folgten Ihr, Haymitch war hinten geblieben, da er keine Waffe bei sich hatte, doch als Katniss bei dem Mann ankam und Ihm aufhelfen wollte, packte er sie grob am Haar und hielt seine Waffe an Ihren Hals.
Sofort bleiben Boggs und ich stockend stehen und zielten auf den Mann.
„Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht erschießen sollte."
Ich konnte hören, wie Katniss etwas sagte, doch waren wir nicht nahe genug bei Ihr, um verstehen zu können, was sie sagte.
Die Beiden sprachen leise miteinander und ich spürte die Unruhe in meinem Innern.
Doch ich wurde mit einem Mal abgelenkt, als ein Junge aus dem Zug trat.
Er trug die weiße Uniform eines Friedenswächters, doch hatte er den Helm abgenommen und hustete aufgrund des Staubes und Drecks heftig.
Ich sah Ihn erstaunt und wie erstarrt an.
Er hatte hellbraunes, wirres Haar, seine Haut war in einem Olivton gehalten, sowie die von Katniss und seine Augen, das wusste ich, ohne das ich sie richtig sehen konnte, würden grau sein.
Grau wie Alice Augen.
Wie die Augen meines Vaters, welcher wie ein Abbild von Ihm nun hier vor mir stand, nur viel Jünger.
Ich schluckte schwer und lief ungeachtet seiner Waffe, auf Ihn zu.
„Sarah!" Hörte ich Boggs rufen, doch hörte ich Ihm nicht zu und lief weiter.
Der Junge sah mich erstaunt an, als würde auch er in mir eine bekannte Seele sehen, doch dann sah ich Ihn schlucken und entschlossen richtete er seine Waffe auf mich.
„Keinen Schritt näher!" Rief er und ich blieb stehen, hob meine Hände langsam und musterte Ihn eingehend.
„Tommy? Tommy bist du das?" Der Junge sah sich unsicher um, die Waffe noch immer auf mich gerichtet und ich wusste, das er es war.
„Tommy, ich bin es... Sarah. Erkennst du mich denn nicht?" Ich legte meine Waffe langsam zu Boden und hörte Haymitch meinen Namen rufen, während Katniss die Situation mit dem Mann unter Kontrolle gebracht hatte.
„Ich kenne keine Sarah! Bleib wo du bist!" Rief er aus und ich spürte mein Herz schmerzhaft stechen.
Es zog sich zusammen und ich musste schwer schlucken.
Ich konnte nicht glauben, das mein Kleiner Bruder, welchen ich Jahrelang für Tot gehalten hatte, wie auch meine kleine Schwester Alice, nun hier vor mir stand.
Als Friedenswächter.
Aber warum hatte Snow Ihn nicht gegen mich verwendet?
Oder tat er dies nun?
Warum war Tommy der einzige Friedenswächter, der mit den anderen aus dem Zug gestiegen war?
„Tommy, ich bin es. Ich bin deine Schwester. Erkennst du mich nicht?" Er sagte nichts, zielte nur weiter auf mich und ich spürte die Tränen in mir aufsteigen.
Was wenn sie Ihn einer Gehirnwäsche unterzogen hatten und er sich deshalb nicht an mich erinnerte?
„Diese Menschen, sind nicht eure Feinde." Hörte ich Katniss hinter mir rufen und kurz zuckte Tommys Waffe zu Ihr, doch wandte er sich dann schnell wieder zu mir herum.
„Wir haben einen gemeinsamen Feind. Und das ist Snow. Dieser Mann verdirbt jeden, und alles!Er zwingt die Besten von uns gegeneinander zu kämpfen!"
„Erinnerst du dich, als Mama und Papa gestorben sind, wie ich dich und Alice jede Nacht in den Schlaf singen musste?" Begann ich leise auf Ihn einzusprechen.
„Damals habe ich behauptet, das täte ich nur für euch, damit Ihr schlafen könnt. Doch du hast mich durchschaut. Du hast mich angesehen und gesagt..." Doch unterbrach mich der Junge vor mir und vollendete meinen Satz: „Du tust das doch bloß für dich selbst."
Die Tränen rannen an meinen Wangen hinab und ich nickte: „Ja. Das hast du gesagt. Du wusstest, das ich selbst nur dann schlafen konnte, wenn Ihr beiden bei mir wart. Also sang ich euch vor, weil Ihr so zwangsläufig bei mir liegen musstet."
Tommy ließ seine Waffe langsam etwas sinken: „Ich weiß genau wer du bist." Sagte er mit hartem Ton und ich zitterte aufgrund seiner Stimme am ganzen Leib.
„Ich habe dich gewinnen sehen. Du hast versprochen heimzukommen, doch das bist du nicht!"
Ich schüttelte den Kopf: „Doch... Doch das bin ich. Doch Snow er... er hat euch mir weggenommen."
Er verzog verachtend das Gesicht: „Ja, und du hast nie versucht mich zu finden."
„Hört auf! Tötet nicht mehr für Ihn!" Schallte Katniss Stimme über den Platz.
„Heute Nacht, richtet eure Waffen, gegen das Kapitol!"
„Ich hätte alles in meiner Machtstehende getan, um dich zu finden, dich zu mir zurückzuholen, wenn ich es gekonnt hätte. Aber ich wusste nicht wie." Flehte ich leise und er sah mich verachtend an.
„Du Lügst! Ich habe gewartet. Jeden Tag habe ich auf dich gewartet! Doch du bist nicht gekommen. Alle sagten mir, du hättest mich vergessen, wolltest mich nun, wo du gewonnen hattest, nicht mehr bei dir haben. Hättest keine Lust mehr gehabt dich um mich zu kümmern und hast mich weggegeben!" Schrie er mich an.
„Das ist nicht wahr! Alice ist tot und man sagte mir, das auch du..." Ich schluchzte leise auf: „Ich habe immer daran geglaubt euch wieder zu sehen, doch alle wollten mir weismachen, das du tot bist. Ich hatte nichts mehr ohne euch! Hätte ich gewusst, das du noch da draußen bist, dann hätte ich alles für euch getan! Ich hätte alle für dich getan! Ich hätte meinen Körper an die Mitglieder des Kapitols verkauft, wie Finnick es tat! Ich hätte mich durch Ihre Reihen gekämpft und jeden der mir im Weg gestanden hätte, getötet, nur um dich wieder bei mir zu wissen! Du und Alice, Ihr wart meine Luft zum Atmen." Hauchte ich schwach und sah Ihn verzweifelt an.
„Ich wäre gestorben für euch." Unwirsch wischte ich mir die Tränen fort.
„Und das würde ich auch jetzt noch. Also denke bitte niemals, das ich dich nicht mehr bei mir haben wollte."
Etwas in seinem Blick veränderte sich, wurde weicher.
Die Unnachgiebigkeit und der Hass, die blanke Verzweiflung darin schwanden und er sah mich unsicher an, wie er es ab und an als kleiner Junge getan hatte.
„Richtet eure Waffen, gegen Snow!" Hörte ich Katniss noch sagen, ehe ich jemanden mit einer Waffe hinter Tommy aufstehen sah.
„Sarah, ich..." Sagte er noch, ehe ich losrannte, Tommy packte und mit mir zu Boden riss, als die Schüsse ertönten.
Schreie der Panik durchbrachen die Nacht und ich hörte wie aus weiter Ferne, wie Jemand meinen Namen rief.
Ehe lauter Schusswechsel erfolgte.
Ich lag da, am Boden vor dem Eingang der Nuss und starrte in den dunklen Nachthimmel.
Neben mir lag Tommy, welcher verdächtig regungslos war, während in meiner Brust das Herz hämmerte, das Blut in meinen Ohren rauschte und meine Atmung schnell und flach ging.
Überall um uns herum wurde geschossen und als ich meinen Blick zu meinem Bruder wandte, starrten mich seine leblosen grauen Augen einfach nur an.
Blut sickerte aus einer Wunde an seinem Hals und ich spürte meine Atmung noch einen Tick schneller werden.
Ich konnte mich jedoch nicht regen und auch sein Namen kam nur gehaucht und schwerfällig über meine Lippen.
Was war nur mit mir los?
Müsste ich mich nicht aufrichten und Ihn in den Arm nehmen?
Nachsehen ob alles in Ordnung war?
Er konnte, nein er durfte nicht tot sein!
Nicht jetzt, nicht so!
Nicht, wenn ich Ihn nach all den langen Jahren der bangen Hoffnung, doch endlich wiedergefunden hatte?
Hatte mich Snow also letzten endes doch noch erwischt?
Hatte er meinen Bruder gegen mich eingesetzt?
Auch wenn Tommy mich nicht erschossen hatte, so brachte er mich dennoch gerade um, wenn er nicht mehr atmen sollte.
„Sarah!" Rief erneut die Stimme, die schon nach mir geschrien hatte, ehe der Schuss erklungen war.
Ich schluckte schwer und musste husten.
Metallischer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus und ich wandte meinen Blick vom regungslosen Körper meines Bruders ab und starrte wieder hinauf in die Sterne.
Die Schüsse waren verklungen, es schien schnell zu ende gewesen zu sein und mit einem Mal schlitterte Haymitch in mein Sichtfeld.
„Sarah!" Besorgt sah er auf mich hinab und ich atmete nur noch zittrig und in flachen schnellen Stößen ein und aus.
„Verdammt! Ich brauche hier Hilfe!" Schrie er und sah dann wieder so unendlich besorgt zu mir hinab.
Seine warme Hand legte sich sanft an meine Wange, schien nicht recht zu wissen was er tun sollte, ehe er sich abrupt die Jacke auszog und auf meinen Brustkorb presste.
Hatte ich etwas abbekommen?
Sah er deswegen so verzweifelt aus?
„T... To... Tommy?" Brachte ich zittrig und unglaublich schwerfällig zustande.
Er sah mich verständnislos an und blickte dann zu meinem Bruder hinüber, ehe er gehetzt wieder auf mich hinabsah.
„Du schaffst das! Hörst du? Du schaffst das verdammt!"
Erneut musste ich husten und ich spürte, wie mir mein Blut aus dem Mundwinkel lief.
Der Schmerz, den mein Hirn bis eben nicht zugelassen hatte, prallte nun über meinen Verstand hinweg und ich sah verzweifelt zu Haymitch auf.
Es war nicht allein der körperliche Schmerz, welcher schon enorm war.
Es war der Seelische, welcher mich aus dem Leben zu reißen drohte.
Was hatte ich denn nun noch?
Etwas in meinem Inneren wusste, ohne, das ich nach seinem Puls hatte fühlen können, das mein Bruder tot war.
Es war die gleiche Gewissheit, die mich auch erfasst hatte, als ich Ihn hatte aus dem Zug steigen sehen.
In meinem Herzen hatte er immer gelebt.
Anders als Alice, bei der ich genau wusste, das sie damals bei dem Brand umgekommen war, hatte ich immer gewusst, das Tommy noch lebte.
Doch nun... nun hatte der Teil meines Herzens, welcher mir immer diese Gewissheit gegeben hatte, aufgehört zu schlagen und es schmerzte, als würde ich in ein tiefes Nichts fallen.
Meine Augen fielen immer wieder zu und ich konnte Haymitch fluchen hören: „Verdammt süße, bleib wach!"
„Komm!" Vernahm ich Boggs Stimme: „Katniss ist verwundet. Bringen wir sie hier weg." Im nächsten Moment wurde ich hochgehoben, was mich vor Schmerzen aufstöhnen ließ, ehe die Dunkelheit, hervorgerufen vom hohen Blutverlust, Inneren Verletzungen und dem Schmerz, über mich hinweg rollte.

The Hunger Games-Sarah Riley and her life as a tributWo Geschichten leben. Entdecke jetzt