~ Kapitel 15: Somin ~

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~ Ophelia ~

Nachdem ich vor einem Tag mit Darius auf diesen Draken traf und dadurch sah, woran man sie erkennen kann, versuchte ich die ganze Zeit über, Ralph oder einen der anderen ausfindig zu machen, doch sie waren irgendwo in der Stadt verstreut. Erst am Abend sehe ich sie wieder.
Darius führt mich in seiner schicken dunklen Feiertagsrobe die Treppe hinab, da erkenne ich Ralphs Gesicht. Ich vermeide es, ihn zu direkt anzusehen und spiele stattdessen mit dem Stoff an meinen Händen herum. Dann endlich begrüßt König Farus seine Gäste, wodurch alle Blicke auf ihn gerichtet sind. Außer der Ralphs.

Er sieht schräg zu mir herüber und folgt meinen Handbewegungen. Wieder und wieder zeige ich auf meine Handfläche und gebe ihm zu erkennen, dass er die Bedeutung von meinen Lippen lesen soll. Ganz zart forme ich das Wort ‚Draken', was er sofort erkennt. Anschließend zeigt er nun auf seine rechte Handfläche und malt einen Kreis darauf. Ich nicke ganz leicht, ohne ihn anzublicken. Er nickt ebenfalls und lächelt ein wenig. Scheinbar ist er erleichtert, dass wir endlich einen Anhaltspunkt haben, wie wir sie erkennen können.

Da ich hier also nicht zum Vergnügen bin, blicke ich mich wild umher, ob sich eines dieser Biester in Reichweite befindet. Wobei ich wohl auch nach meinem Bruder sehe. Ich fürchte mich vor einer erneuten Begegnung. Fürchte mich vor dem, was er sagen würde. Und vor allem fürchte ich mich vor seiner imposanten Gestalt, vor seinem trüben Auge, seinem vernarbten Gesicht...
Der Tanz mit Darius bringt mich glücklicherweise auf etwas andere Gedanken. Je mehr er mich herumwirbelt, umso besser fühle ich mich. Da macht es mir nicht einmal etwas aus, dass wir plötzlich allein auf der Tanzfläche sind. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, so dankbar bin ich ihm für all das, doch... plötzlich steht Somin vor mir. Er trägt einen Metallkürass und festliche ‚Kampfkleidung', oder wie ich es sonst nennen kann. Auf jeden Fall sieht er wieder imposant und einschüchternd aus. Die hellblonden Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden und nur eine einzige Strähne hängt in sein Gesicht, direkt über sein trübes Auge. Sein Bart ist etwas gestutzt worden.

Er reicht mir seine Hand.

„Darf ich um diesen Tanz bitten?"

Ich suche in der Menge nach einer Antwort auf diese Frage, was Somin sofort merkt.

„Ich beiße nicht, also bitte, wie lautet die Antwort?"

Hm...immerhin könnte ich auch so tun, als würde ich ihn nicht erkennen...?

„T-tut mir leid, ich... bin nur so überwältigt, dass jemand wie Ihr höchstselbst mit mir tanzen möchte."

Er lächelt kurz und kühl und ergreift meine Hand. Die Musik ist eher langsam, so als hätten die Musiker das Tempo ehrfürchtig verlangsamt. Unsicher suche ich Darius in der Menge, doch ich bekomm ihn kaum zu Gesicht. Auch Ralph ist verschwunden, von Lucian und Pavel fehlte ja von Anfang an jede Spur.

Auf einmal ziehen die Musikanten das Tempo an, sodass Somin mich nun schneller über die Tanzfläche führt. Er starrt mir dabei unentwegt in die Augen, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Er ist gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt, sieht jedoch beinahe aus, als wären es zehn Jahre mehr. Ganz zu schweigen von seinem Verhalten. Vor sechs Jahren noch war er so ängstlich und unbeholfen... da war er einfach Somin. Und jetzt ist er... jemand anderes...

„Ist denn alles in Ordnung?", fragt er plötzlich. Scheinbar sieht er mir meine innere Unruhe an.

„Natürlich", antworte ich knapp und möglichst fröhlich klingend, doch er runzelt die Stirn und starrt mich mit kleinen Augen an.

„Ähm... also... was... ist denn los?", will ich wissen. So langsam halte ich es nicht mehr aus. Wieso gibt er sich nicht zu erkennen? Oder möchte er sichergehen, dass ich es auch wirklich bin? Je mehr Zeit verstreicht, umso weicher werden meine Knie. Mittlerweile zittere ich am ganzen Körper und meine Hände sind schweißnass.

Drachenblut - Der erste TropfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt