~ Kapitel 42: Alte Freunde ~

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~ Ophelia ~

„Sie meint es also wirklich ernst...", sagt meine Mutter leis, während sie aus dem Fenster in die Ferne blickt. Kaum dass ich wach geworden war, eilte sie zu mir und warf mir besorgte Blicke zu.

Als ich langsam wieder bei klarem Verstand war und etwas gegessen hatte (wobei mich wohl gefühlt fünf Leute dazu zwingen mussten), berichtete ich sofort von den Vorkommnissen in Idiun.

„Elaine und ich... wir waren einst unzertrennlich, fast wie Geschwister", sagt meine Mutter, noch immer in die Ferne blickend. Doch nun dreht sie sich um und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Wir gehörten beide edlen Familien an, lebten im selben Schloss, spielten miteinander, vertrauten uns Geheimnisse an. Machten Unsinn."

Sie lächelt kurz, doch schon im nächsten Moment wird ihre Miene wieder ernst.

„Irgendwann, als meine Eltern im Krieg gefallen sind und mein Bruder auf die Regentschaft vorbereitet wurde und mir beigebracht wurde, wie ich ihm ein guter Berater sein konnte, entwickelte sie eine seltsame Neugier den Menschen gegenüber. Freilich hatten wir schon lang mit ihnen zu tun. Einige waren uns wohlgesinnt, andere nicht. Doch daran waren wir gewöhnt. Eines Tages aber entwickelten sie eine solche Feindschaft, dass sie ebendiesen Krieg auslöste, der uns so großer Teile unseres Reiches beraubte."

Mutter geht auf und ab und setzt sich auf meine Bettkante, auf der auch meine Halbschwester Irina sitzt. Sie hat mich nur mit einem knappen Kopfnicken begrüßt und so ganz weiß ich noch nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Auch Lucian, Markus und Fevros sind hier, wobei letztere schweigend an der Wand gegenüber meines Bettes lehnen.

„Ich glaube, als sie sich in den Vater Darius' verliebt hat, war es endgültig um sie geschehen. Sie liebte diese magielose Welt aus irgendeinem unerfindlichen Grund und... hasste die magiereiche. Unsere Welt. Ein herber Schlag für uns alle, da sie äußerst mächtig war und eine entscheidende Rolle im Krieg gegen die Menschen spielen sollte. Stattdessen sabotierte, infiltrierte sie uns wieder und wieder, sodass ich mich gezwungen sah, vor Ort gegen sie vorzugehen."

Wie ich mir schon dachte: Deshalb lebte sie bei den Menschen.

„Und dort hast du unseren Vater kennengelernt, ihn lieben gelernt...", denke ich laut und wage einen kurzen Blick zu Irina.

„Lieben? Nun, sagen wir es so: Er war kein schlechter Mensch. Er träumte manchmal sogar davon, Magie nutzen zu können. Da wir verleugnet wurden, begannen die Menschen irgendwann zu glauben, Magie gäbe es nur in Legenden und Geschichten."

„Also hast du ihn nur als Mittel zum Zweck genutzt?", will nun Irina wissen.

„Leider, ja. Irgendwann schien er dahintergekommen zu sein. Das war etwa zu dem Zeitpunkt, als er dich in die Lehre nahm, Irina. Ob er mir damit helfen wollte oder schaden, weiß ich leider nicht. Ich habe nie gewagt, ihn darauf anzusprechen. Oder ihm zu sagen, wer oder was ich in Wirklichkeit bin. Oder du."

Ich schlucke.

„Darius' Geburt rundete damals auch Elaines Tarnung ab. Um besser im Hintergrund agieren zu können, täuschte sie ihren Tod vor, um nun, wo es endlich so weit ist, wieder ins Leben zu treten."

„Und jeden zu verwünschen", füge ich hinzu und kann meine Wut darüber kaum verbergen. „Jeder fiel auf sie herein. Niemand stellt sie infrage. Und ihr eigener Sohn nun auch nicht mehr."

„Das, was er getan hat, ist in unserer Gesellschaft sehr unüblich. Es heißt, dass Draken, die besonders reinen Geblüts sind, sehr viel Magie in ihrem Blut tragen. Trinkt es ein Drake weniger reinen Geblüts, so wird dieser beinahe verrückt danach. Süchtig. Die Gier nach Macht überwältigt ihn; verändert ihn. Es ist nicht schön anzusehen."

„Gibt es für diejenigen je ein Zurück?", frage ich mit ein wenig Hoffnung. Doch kaum dass meine Mutter seufzt, verliere ich diese.

„Wohl kaum. Außer er kann diese Gier besiegen. Wenn seine Seele stärker ist als das Verlangen seines Körpers. Ansonsten hilft da nur noch der Tod."

Es versetzt mir einen Stich, dies zu hören. Darius töten? Niemals.

„Darauf wird es doch mit Sicherheit hinauslaufen", meldet sich nun Markus und stößt sich von der Wand weg. Er ist genau wie Fevros in seine silbern glänzende Rüstung gehüllt, als wären sie geradewegs von einer Patrouille gekommen oder vom Training.

„Durch das Blut Elaines wird er ungeahnte Mächte entfesseln können. Noch dazu kann er sie in seiner Rage niemals kontrollieren. Er wird nicht wissen, wer Feind ist und wer nicht." Wahrscheinlich konnte er sich schon denken, dass ich Widerspruch einlegen würde, doch den hat er nun zunichte gemacht, ehe ich ihn überhaupt einlegen konnte. „Elaine ist reinen Geblüts. Edel sogar. In ihrer Blutlinie gab es noch nie einen Menschen. Nur Draken. Und da Darius somit nur ein Halbling ist, kann man sich ja ausmalen, was das für ihn bedeutet."

„Doch sag mir eines, Mutter... wieso nur macht Somin bei dieser Sache mit? Wieso stellt er sich gegen uns alle? Verleugnet beinahe, was auch er ist?"

„Er hat zu große Angst, um gegen den Strom zu schwimmen. Das war leider schon immer so", sagt meine Mutter und richtet sich langsam auf. Irina und die anderen machen es ihr gleich und wollen gerade gehen, als mir noch etwas einfällt:

„Ich bin nicht verrückt geworden", sage ich knapp. Sofort dreht sich meine Mutter um.

„Was meinst du?"

„Elaines Blut. Es hat mich nicht verrückt gemacht."

Sie reißt die Augen auf.

„Du hast doch nicht...?"

Ich nicke.

„Sie hat mich gezwungen, damit ich es am eigenen Leib erfahre, wie sich dieser Rausch anfühlt. Und um mich zu einem weiteren ihrer Krieger zu machen. Doch... es ist nichts geschehen. Sie meinte, dass dies nur bei Edlen möglich wäre. Und auch nur bei denjenigen, die über genügend Macht verfügen. Wie also... kann das bei mir der Fall sein? Mein Vater war ein Mensch, also...?"

Plötzlich tauscht sie mit all den anderen einen knappen Blick und sie verschwinden sofort.

„Wenn du wieder bei Kräften bist, werde ich es dir erklären. Aber offen gesagt habe ich Angst, dass es zu viel für dich sein würde."

Ich nicke, denn tatsächlich ist mir etwas schwindlig und ich würde gern noch einmal die Augen schließen. Wenigstens für eine Stunde.

„Achso, Mutter?"

„Ja, mein Kind?"

„Du hast mich wieder benutzt, was?"

Sie blickt mich entschuldigend an und nickt.

„Danke."

Ein verwirrter Ausdruck huscht über ihr Gesicht, doch noch ehe sie etwas sagen kann, drehe ich mich weg und ziehe mir die Decke halb über den Kopf.
Ich habe ihr tatsächlich zu danken. Wäre ich mit ihr gekommen, hätte ich mich niemals mit Darius aussprechen können. Wir hätten uns niemals wieder so nahegestanden. Auch, wenn es nur eine kurze Zeit war, war sie wundervoll. So etwas werde ich vielleicht niemals wieder erleben...

Drachenblut - Der erste TropfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt