3 - Man sieht sich immer zweimal im Leben

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In den zwei Wochen kamen noch meine zwei besten Freundinnen, meine Eltern und mein drei Jahre älterer Bruder aus Berlin zu Besuch, ehe auch schon der Tag gekommen ist, an dem ich entlassen wurde. Netterweise haben mir meine Eltern eine Wohnung organisiert, die auch noch in der Nähe einer Rettungswache ist. Da werde ich mich dann wohl mal nach einer Stelle erkundigen. Ein Klopfen lenkt meine Aufmerksamkeit von meiner Reisetasche, die ich gerade noch packe, auf die Tür.

„Ja?" Schwester Linda kommt rein. Mit ihr habe ich mich in den letzten zwei Wochen wirklich gut verstanden und bin auch beim Du gelandet. Nummern sind ebenfalls schon ausgetauscht. „Na, bist du bereit, nach Hause zu gehen?" Breit grinsend bleibt sie neben mir stehen, einen Zettel in ihrer Hand.

„Und wie. Auch wenn ich nicht mal weiß, wie meine Wohnung aussieht, geschweige denn wo sie überhaupt ist. Aber ich bin gespannt."

„Hier, deine Entlassungspapiere. Kommst du allein nach Hause oder wirst du abgeholt?"

„Mein Bruder holt mich ab."

„Praktisch. Gut, ich muss dann mal weiter. Machs gut, wir sehen uns. Spätestens, wenn du vielleicht mal einen Patienten ablieferst, wer weiß."

Ich drücke ihr ein unterschriebenes Blatt zurück in die Hand und nehme sie dann noch kurz in den Arm. Sie ist die einzige, der ich nebenbei mal von meinem Beruf erzählt habe.

Luca, mein Bruder, kam kurz darauf und zusammen sind wir zu seinem Auto gegangen. „So Schwesterchen, dann auf auf zu deiner neuen Wohnung. Schade, dass du wirklich Berlin verlassen willst, aber wir werden dich besuchen." Schmollend guckt er mich an, wofür er einen Schlag gegen den Arm bekommt. „Guck nicht so. Ich werde euch doch auch mal besuchen. Aber ich brauchte einfach mal etwas neues, sorry." Sein Schmollmund wird von einem Grinsen abgelöst, welches von Kopfschütteln begleitet wird.

„Könnten wir vorher aber noch zum Supermarkt? Sonst habe ich ja gar kein Essen", merke ich auf der Fahrt an. „Natürlich, keine zwei Minuten mit dem Auto von deiner Wohnung entfernt ist einer."

Möbel habe ich schon, meine Eltern haben mir die sozusagen als Neuanfangsgeschenk geschenkt. Wirklich wohl fühle ich mich zwar nicht, dass sie so viel Geld für mich ausgegeben haben, aber gut.

Luca parkt wenig später auf einem großen Parkplatz und zusammen gehen wir in den Supermarkt. Bei diesen Temperaturen sind diese klimatisierten Gebäude eine Wohltat.

Nicht mal durch die Obst- und Gemüseabteilung durch, bleiben meine Augen an einem älteren Herrn hängen, der sich wie aus dem Nichts mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust fasst und kurz darauf schon in sich zusammensackt. Mein Gehirn schaltet ohne Verzögerung auf Autopilot in den Sanitätermodus. „Scheiße, Luca, hast du das gesehen?" Ohne auf eine Antwort zu warten zerre ich ihn schon am Arm um das nächste Regal, wo mein plötzlicher Patient schwer atmend auf dem glänzend weißen Boden liegt. Jetzt erst wird Luca klar, was ich meine.

„Hallo, können Sie mich hören? Was ist los?" Neben dem Mann kniend überprüfe ich seinen Radialispuls. Bradykard, aber hallo.

„Ich habe plötzlich so Brustschmerzen", presst er angestrengt hervor. „Sind Vorerkrankungen oder Allergien bekannt? Hatten Sie schon mal einen Herzinfarkt?", frage ich weiter. Er schüttelt nur den Kopf, um im nächsten Moment vollends kraftlos in sich zusammenzusacken.

„Scheiße", fluche ich leise, lege ihn flach auf den Boden und überprüfe erneut Atmung und Puls. Beides nicht vorhanden, wie schon erwartet. Glücklicherweise hat der Mann, den ich so um die 80 Jahre schätze, nur ein Hemd an, weshalb ich dieses leicht aufreißen und sofort mit der Herzdruckmassage beginnen kann.

„Luca, ruf die Rettung, laufende Rea, Anleitung nicht nötig. Dann hilf mir!", schreie ich ihn beinahe an, mein Körper wird plötzlich von Adrenalin durchflutet. Etwas, das der Mann jetzt künstlich zugeführt bekommen müsste.

30 Mal drücken, 2 Mal beatmen. Immer dieser Rhythmus. Nach drei Minuten löst Luca mich mit dem Drücken ab, beatmen tue ich noch. Andere Kunden gehen einfach vorbei, als würde das alles hier nicht passieren. Wenigstens ist eine Verkäuferin vor dem Laden, um die Rettungskräfte zu uns zu bringen.

Ich bin gerade schon dabei, das vierte Mal zu drücken, als hinter mir die erlösenden Worte: „Guten Tag, hier ist der Rettungsdienst, wir übernehmen!", ertönen. Sofort ist ein Sanitäter auf der anderen Seite des Patienten. „Auf fünf wechseln wir", sage ich schon automatisch. Ich ignoriere den etwas komischen Blick seinerseits.

Erschöpft rutsche ich zum nächsten Regal, lehne mich dagegen und schließe die Augen. Ich merke, wie Luca sich ebenfalls völlig fertig neben mir niederlässt. Für ihn war das gerade etwas komplett neues und fremdes. Ich für meine Person merke jetzt gerade einfach, dass ich noch so überhaupt nicht fit bin. Immerhin wurde ich auch gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen.

Als ich meinen Blick dann doch mal über die ganze Szene schweifen lasse, erblicke ich mir zwei nicht gerade fremde Gesichter. Phil und Franco.


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