26 - Alles hat seine Gründe

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Die Zeit verging schnell und schon ist Frau Müller für drei Monate wieder im Haus. Und ich bin froh, im Büro zu sitzen und einen eigenen Praktikanten zu haben. Diesmal ein Schülerpraktikant, mit dem ich weniger Büroarbeit mache. Mit ihm werde ich eher einen erweiterten Erste-Hilfe-Kurs machen, schätze ich. Insgesamt ist er drei Wochen hier, immer im Wechsel eine Woche Praktikum, eine Woche Schule. Was auch immer das für eine Schule ist, die das so komisch geregelt hat.

„Gut Elias, wir sehen uns dann morgen wieder. Ich hoffe, der erste Tag hat dir gefallen." „Ja, ich freue mich auf das Praktikum. Bis morgen", lächelnd geht er raus. Was ein netter Junge. Mit seinen 15 Jahren hat er schon ein konkretes Ziel vor Augen, was mich wirklich beeindruckt. Seufzend lege ich meine Hände auf meinen Bauch, die Kugel ist nun wirklich nicht mehr zu übersehen. Die beiden Kleinen haben sich ganz schnell viel Platz genommen. Und dann sollen die noch 4 Monate in meinem Bauch sein? Na viel Spaß. Ob sie später auch ein Ziel vor Augen haben? Vielleicht werden sie ganz der Papa und wollen Medizin studieren. Oder sie treten in meine Fußstapfen und werden Sanitäter. Letztendlich machen sie etwas komplett anderes. Ich muss selbst über meine Überlegungen schmunzeln. Erst mal sollte ich die zwei heil auf die Welt bringen. Und dann ist auch noch jahrelang Zeit.

Unten auf dem Gang, ich bin gerade auf dem Weg zum Aufenthaltsraum, stoße ich mit jemandem zusammen. „Huch, Schatz, wo hast du denn deine Augen?" Phil hat mich gerade noch so halten können, bevor ich gefallen wäre, lässt mich jetzt aber auch nicht mehr los. „Ja, das kann ich genauso gut dich fragen. Du hättest mir ja auch aus dem Weg gehen können", erwidere ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. „Schön, da hast du recht. Aber ich war gerade mit den Gedanken woanders. Die Hexe ist jetzt endlich weg und ich muss noch ne Schicht schieben. Tut mir leid, ich habe mich jetzt eigentlich auf dich gefreut." Ich seufze auf. „Nicht schlimm, ich weiß ja, wie das so ist. Aber welche Hexe?" „Frau Müller", er schüttelt sich kurz, als er den Namen in den Mund nimmt. „Du kannst mir nicht erzählen, dass diese Frau Sanitäterin werden soll." „Wer hat denn das Glück mit ihr?", frage ich etwas schadenfroh. Immerhin hatte ich vor denen schon das Vergnügen mit ihr. „Daran will ich gar nicht denken." Genervt stöhnt er auf, doch ich fange an zu lachen. „Oh, mein Beileid. Sie tun mir aufrichtig leid, Herr Doktor", sage ich gespielt mitleidig. Phil knufft mir in die Seite. „Nicht so frech werden hier, Frau Sanitäterin", knurrt er leise in mein Ohr. „Na jetzt bekomme ich aber Angst", kichere ich. „Das bekommst du alles zu Hause zurück. In einer ordentlichen Kitzelattacke." Um das zu unterstreichen, gibt er mir einen Klaps auf den Hintern. „Eieiei Herr Funke, das ist aber schon Belästigung am Arbeitsplatz, das wissen Sie hoffentlich." Phils Kopf weicht augenblicklich von meinem zurück, der gerade zu einem Kuss ansetzen wollte. Frank zwinkert uns zu. „Tut mir leid Chef, ich werde mich zügeln." Phils Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. „Ja ja, wers glaubt", Frank geht grinsend weiter. Der neue Versuch an einem Kuss wird diesmal von seinem Melder unterbrochen. „Nicht jetzt", brummt er und guckt drauf. „Tja, deine Patienten suchen sich das ja auch nicht aus, wann es kommt. Meistens jedenfalls." „Tschüss, wir sehen uns dann. Hab dich lieb", ruft er mir zu, nachdem er mir doch noch einen flüchtigen Kuss aufgedrückt hat.

Und so geht es dann die nächsten sechs Wochen weiter. Phil ist fast nur noch auf Arbeit und schiebt eine Extraschicht nach der anderen. Langsam sollte ich mal mit ihm reden, aber jetzt muss ich mich noch um Elias kümmern, der heute seinen letzten Tag hat. „So, da heute dein letzter Tag ist, darfst du entscheiden, was wir machen. Hast du etwas, das du gern wiederholen möchtest?" „Ich glaube, ich würde gern nochmal Verbände anlegen. Da war ich mir noch nicht so sicher bei." „Gut, dann machen wir das. Ich gehe nur eben schnell nach unten in den Materialraum und hole Verbandszeug." Hätte ich mich darauf bloß nicht eingelassen. Oder es ist gut so gewesen, das kann ich nicht sagen.

Phils Sicht

Frau Müller geht mir gewaltig auf die Nerven. Und das ist für meinen Gemütszustand in ihrer Gegenwart noch wirklich freundlich ausgedrückt. „Sag mal Phil, du bist ja schon wieder hier. Langsam solltest du dir mal wieder Frei nehmen, findest du nicht? Du siehst scheiße aus, brauchst eine Pause. Sieh das doch mal ein." Franco guckt mich ernst und kopfschüttelnd an. „Du weißt, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich das auch durch. Außerdem ist das jetzt eine reguläre Schicht, meine Freundin kommt doch auch gleich." „Ich mache tausend Kreuze, wenn diese Frau hier wieder verschwindet", murmelt Franco, worin ich ihn nur bestätigen kann. „Aber sagt Sofia denn gar nichts, wenn du fast nie zu Hause bist?", lenkt Franco das Thema wieder auf den ursprünglichen Punkt. „Bis jetzt noch nicht. Aber ich tue es ja auch für uns, nicht aus irgendeinem anderen Grund und außerdem -" Ich werde von einer grässlich hohen Stimme unterbrochen. „Hallo Phil, na, freust du dich auf unsere Schicht?", Frau Müller legt ihre Hand auf meine Schulter und drückt leicht zu. Sie sucht ständig nach Körperkontakt, was ich immer wieder verhindere. Wie jetzt, wo ich einfach zur Seite weiche und sie ignoriere. Nebenbei bemerkt habe ich mich bei ihr weder mit meinem Vornamen vorgestellt, noch habe ich ihr das Du angeboten. Es ist eine Frechheit, mich einfach zu duzen, obwohl ich hier so gesehen ihr Chef bin. „Und außerdem sehen wir uns in den Pausen. Und da hat sie nie etwas gesagt", setze ich einfach fort und beachte Frau Müller nicht. Ich kriege die Krise bei dieser Frau. Durchgängig macht sie sich an mich ran. Auf meine Hinweise, sie habe bei mir keine Chance, da ich glücklich vergeben bin, lacht sie nur und glaubt mir nicht. Doofe Kuh. In den Zeiten ohne Einsatz flüchte ich meistens zu Sofia ins Büro. Wenn sie gerade nicht ihren Praktikanten hat, also nur jede zweite Woche. „Trotzdem Phil. Franco hat recht. Du solltest mal eine Pause machen. Sonst gehen wir alle zu Frank und lassen dich zwangsbeurlauben", meldet sich Paula von der Couch aus. „Er war schon von allein bei mir. Aber ich habe mich nicht breit reden lassen", gebe ich zu und mache mir dann einen Kaffee. Auch Sofia hat mir heute, wie Franco schon, gesagt, wie scheiße ich aussehe. Im Sinne von ‚ich sehe so fertig aus'.

„Heute ist doch Sofias letzter Tag mit ihrem Praktikanten, oder?", Paula guckt mich mit gerunzelter Stirn an, als ich mich zu ihr auf die Couch fallen lasse. Sofort kleckert mir Frau Müller hinterher und rutscht nah an mich heran, sodass ich schon fast mit Paula kuschle. Lieber mit ihr als mit Frau Müller. „Zum Glück. Jede zweite Woche ist eine Qual." „Ja, weil du kaum noch Zeit mit ihr zu Hause hast", erinnert sie mich. „Und auch du weißt, wofür ich das mache", brumme ich und nehme einen kräftigen Schluck.

„Nee Phil, also bald weigere ich mich, dir das NEF zu übergeben", stößt Alex aus, als er sieht, dass ich seine Ablöse bin. „Komm Kumpel, mach kein Drama und gib mir den Schlüssel. Und Frau Müller, Sie kommen mit. Wir müssen das jetzt checken, so wie immer." Sofort springt sie auf, was mich mit den Augen rollen lässt. „Der letzte Einsatz war groß, du müsstest ein paar Sachen nachfüllen!", ruft mir Alex noch nach. „Der Typ lässt aber auch gar nicht mit sich reden", höre ich Alex dann auch schon fast verzweifelt zu den anderen sagen. „Arme Sofia", kommt es noch von Paula seufzend. Bis jetzt hat sie sich nicht beschwert, da sie weiß, wie das in diesem Beruf ist. Aber gut, ich gebe zu, momentan wirklich mehr als viel zu arbeiten. Wenn nicht auf der Wache, dann bin ich in der Klinik. Aber eben alles aus einem bestimmten Grund.



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