22 - Zu dir, zu mir oder zu uns?

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Die drei Wochen mit Frau Müller verliefen so ziemlich gleich. Jeden Tag aufs Neue dieses uninteressierte Gesicht von ihr vor meinen Augen. Aber egal, immerhin werde ich ja dafür bezahlt.Und in zwei Monaten ist sie wieder da. Dass es dort noch schlimmer wird, daran habe ich nicht zu denken gewagt. In den Pausen habe ich sie dann im Pausenraum abgeliefert und bin selber zu den anderen gegangen. Als sie nach dem letzten Tag Praktikum gegangen ist, war ich noch glücklicher, als ich es sowieso schon bin. Denn mit Phil und mir läuft es perfekt. Wir können kaum noch ohneeinander. Entweder verbringen wir die Nacht bei ihm oder bei mir. Eine getrennte Nacht hatten wir nicht mehr, es sei denn, er hatte Nachtschicht. Aber auch da ist er dann in die Wohnung gekommen, wo ich war.

„Ja?", meine Hände liegen ruhig auf der Tastatur, als es klopft und ich gerade dabei war, eine Materialbestellung aufzugeben. Die Tür öffnet sich und Phil kommt rein. Er ist schon umgezogen. „Wurdest du schon abgelöst?", frage ich ziemlich verwundert, immerhin hat er eigentlich erst in einer halben Stunde Feierabend. „Ja, Birgit kam früher. Und, wie geht es euch?", er steht hinter mir, legt seine Arme um mich und stützt sein Kinn auf meinem Kopf ab. Eigentlich müsste das für ihn total ungemütlich sein, schließlich sitze ich noch am Schreibtisch. Es ist so süß, wie Phil immer fragt, wie es EUCH geht. „Uns gehts super. Meine Übelkeit ist wirklich nur noch Morgens. Aber sag mal, ist was? Du siehst so nachdenklich aus." Leicht besorgt mustere ich ihn durch die Reflexion des Computerbildschirms. Er weicht meiner Frage aus: „Wie lang machst du noch?" Komisch, aber ich lasse das erst mal so stehen. „Ich wollte eigentlich nur noch schnell die Bestellung fertigmachen, dann wäre ich zu dir runtergekommen und hätte auf dich gewartet." „Dann machen wir das jetzt andersrum. Du machst das fertig und ich warte hier auf dich", damit löst er sich von mir und setzt sich an den leeren Schreibtisch mir gegenüber.

Sein Blick, den er mir durchgängig über die Bildschirme hinweg zuwirft, entgeht mir nicht. „Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie wunderschön du bist? Du bist das Schönste, das ich jemals in meinem Leben gesehen habe", sagt er plötzlich und gewinnt so meine vollständige Aufmerksamkeit. „Ja, das sagst du mir täglich. Und du bist das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Aber Schatz, nur noch ein Klick und dann gehöre ich dir, okay?" Beschwichtigend hebt er seine Hände. „Ich will dich nicht aufhalten, immerhin können wir auch nicht arbeiten, wenn du nichts bestellt." Ich grinse ihn an und konzentriere mich noch kurz auf die Bestellung.

Und fertig. Entspannt fahre ich den Computer runter, stehe auf und ziehe mir meine Jacke an. „Fertig?", fragt Phil hoffnungsvoll und springt auf. „Fertig", bestätige ich und im nächsten Moment spüre ich schon seine Lippen auf meinen. „Wow, nicht so stürmisch, junger Mann. Ist alles okay mit dir?" Mit Mühe kann ich mich ein wenig von ihm wegdrücken, um ihm in die Augen zu gucken. Irgendetwas beschäftigt ihn, aber was? „Ja, was soll denn sein? Ich habe dich nur so vermisst." Und schon wieder finden unsere Lippen zueinander. Seine Hände wandern meinen Rücken entlang. „Ich dich auch. Aber dich beschäftigt etwas, stimmts?" „Wollen wir noch etwas essen gehen?", stellt er eine Gegenfrage und weicht somit erneut meiner Frage aus. Hat der was ausgefressen? So kenne ich ihn nicht. Na schön, das werde ich im Laufe des Abends noch herausbekommen.

Phil und ich fahren in ein Restaurant, wo wir uns in eine ruhige Ecke setzen. Das leise Stimmengewirr der vielen anderen Gäste zu dieser Uhrzeit verleiht dem ganzen in Verbindung mit dem gedämmten Licht und den Kerzen auf dem Tisch irgendwie eine gemütliche Atmosphäre. Nachdem uns das Trinken gebracht wurde und wir unsere Bestellung aufgegeben haben, gucken wir uns eine Weile einfach schweigend an, ehe ich erneut mein Glück versuche. „Phil, irgendwas beschäftigt dich. Das sehe ich. Und weiche meiner Frage bitte nicht wieder aus." „Gut, du hast ja recht. Ich habe nachgedacht", er senkt seinen Blick kurz. Nachgedacht? Wieso klingt er plötzlich so ernst und zurückhaltend? Habe ich etwas falsch gemacht? Tausend Fragen schwirren mir in diesen Sekunden durch den Kopf, doch keine Antwort scheint greifbar. Phil atmet tief durch und beginnt dann, zu sprechen. „Weißt du, ich finde die Frage: ‚Zu dir oder zu mir?' jeden Tag einfach ätzend. Ich meine, wir verbringen eh jede Nacht gemeinsam. Wie wäre es einfach mal mit der Antwort: ‚Zu uns?'" Unsicher guckt er mir in die Augen, sein Gesicht ist angespannt. Ohne es verhindern zu können, fange ich an zu lachen. Verwirrt guckt er mich an, während ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln wische. Ich bin ein Mensch, bei dem die Augen schon tränen, wenn man nur ganz kurz und leise gelacht hat. „Jage mir bitte nicht nochmal so einen Schrecken ein. Das hat dich die ganze Zeit beschäftigt? Ich dachte schon, es wäre sonst was passiert. Aber weißt du, ich habe darüber auch schon nachgedacht. Eine Wohnung von uns beiden ist wirklich unnötig. Also, welche geben wir auf?" Verdattert guckt er mich an. „Okay, ich hätte nicht gedacht, dass du so reagierst. Deswegen war ich auch so zögerlich. Ich dachte, du würdest das alles etwas überstürzt finden. Immerhin sind wir gerade mal drei Wochen zusammen." Ich winke ab. „Bei uns läuft das alles irgendwie eh nicht nach Standard ab. Ich werde von dir schwanger, ohne dass wir den Vorgang überhaupt mitbekommen und bevor wir ein Paar sind. Übrigens sind meine Eltern schon nach zwei Wochen Beziehung zusammengezogen. Und pass auf, sie kannten sich da auch erst zwei, vielleicht drei Wochen. Und was ist jetzt aus denen geworden? Zwei Kinder und seit 32 Jahren verheiratet." Sein Mund verzieht sich zu einem schrägen Grinsen, seine Hände suchen auf dem Tisch nach meinen und umschließen diese fest. „Bitte lass das auch unsere Geschichte werden." „Nichts lieber als das", gebe ich grinsend zurück.

„Gut, das ist jetzt also unsere Wohnung", stelle ich fest, überwältigt von meinen Gefühlen fange ich auch noch an zu weinen. Diese Hormone machen mich in der Schwangerschaft echt fertig. Phil zieht mich noch fester an sich, wenn das überhaupt geht. Wir sitzen bei ihm auf der Couch. Ach, entschuldige, bei uns. Wir haben uns für seine Wohnung entschieden, da er ein Zimmer mehr hat. Für die Kinder. „Solange das Freudentränen sind, darfst du weinen. Sonst mag ich das nicht", flüstert er mir ins Ohr und gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Dann müssen wir jetzt nur deine Sachen zu mir bringen und uns dann um eine größere Wohnung kümmern. Immerhin sollen die beiden Kleinen ja eigene Zimmer haben, oder?" Ich stimme Phil zu. „Auf jeden Fall. Ich hätte das fast vergessen, aber morgen ist ja der nächste Termin. Hast du morgen Dienst?" „Nachtschicht, also passt alles." Ich drehe meinen Kopf zu ihm. „Ich wusste nicht, dass ein einziger Mensch mich so glücklich machen kann", stelle ich grinsend fest. „Tut mir leid, du bist nicht die Einzige, die mich glücklicher denn je macht. Da gibt es noch zwei andere kleine Wesen." Mit seiner Hand auf meinem Bauch ist mir auch klar, wen er meint.



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