Zu Hause nehme ich mir ein Glas Wasser und stütze mich dann an der Arbeitsfläche ab. Die Tränen wollen einfach nicht aufhören. Total benebelt von einem zu großen Wirrwarr an Fragen in meinem Kopf bekomme ich gar nichts mehr mit.
„Sofia?" Mein Blick schreckt hoch. Wie lang stand ich denn hier? Phil steht neben mir und guckt mich besorgt an. „Musst du nicht noch arbeiten?", frage ich, ohne mich um einen ruhigen und lieben Ton zu bemühen. Warum auch. Überhaupt, wieso ist er jetzt hier? „Ich habe mich abgemeldet, um dir alles zu erklären. Bitte hör mir zu. Frau Müller hat mich bedrängt. Sie macht sich schon die ganze Zeit an mich ran. Ihr ist es egal, dass ich jedes Mal sage, ich habe eine Freundin. Außerdem flüchte ich auf Arbeit immer vor ihr. Vorhin hat sie das nur schamlos ausgenutzt, dass ich in diesem kleinen Raum war, wo ich so nicht an ihr vorbeikomme!", erzählt er aufgebracht, seine Stimme ist lauter, als ich es bei ihm gewohnt bin. „Ach, wirklich? Aber das passt doch! Immerhin bist du nur noch auf Arbeit! Entweder in der Klinik oder auf der Wache! Wann haben wir bitte das letzte Mal zusammen einen Abend verbracht? Eine Schicht jagt die nächste. Und wenn du dich dann doch mal nach Hause verirrst, gehst du sofort schlafen, um danach direkt wieder zur Arbeit zu gehen! Hallo, mich gibt es auch noch! Wer weiß, ob du wirklich arbeiten bist." Den letzten Satz flüstere ich, davor habe ich ihn einfach angeschrien. Das brannte mir schon ewig auf der Seele. „Wo soll ich denn sonst sein? Frag doch die Kollegen von der Wache, der Klinik oder Frank. Die reden schon die ganze Zeit auf mich ein, ich solle mal einen Gang herunterschalten. Aber dass du jetzt denkst, ich bin gar nicht auf Arbeit, sondern vergnüge mich mit anderen Frauen? Aua." Ich probiere, Phils Blick standzuhalten, doch die Enttäuschung, die ich in seinen Augen sehe, halte ich nicht aus. Ich wende meinen Blick zum Boden und beobachte, wie eine Träne auf dem Boden aufkommt und dabei zu einer winzigen Pfütze platzt. „Sofia, zum letzten Mal. Ich habe nichts mit einer anderen Frau gehabt. Weder mit Frau Müller, noch treibe ich mich bei anderen herum. Wie auch immer du auf so einen Schwachsinn kommst! Wenn du mir nicht glaubst, kann ich es auch nicht ändern. Aber es tut verdammt weh!" Nun schreit er richtig. „In letzter Zeit hatte ich einfach das Gefühl, ich wäre dir total egal! Ja, du warst öfters bei mir im Büro, aber nie zu Hause! Du bist nur zwischen Klinik und Wache gesprungen, zwischen Arztkittel und Notarztuniform! Vielleicht würde ich auch mal gern wieder Zeit mit dir verbringen!" „Ich mache das ganze nicht allein für mich, sondern für -" Von einem Schmerzensschrei meinerseits wird er unterbrochen. Mit zusammengekniffenen Augen halte ich mir den Bauch. „Schatz? Was ist los?", fragt er panisch, seine Wut ist sofort in Besorgnis gewechselt. Bevor ich antworte, muss ich tief durchatmen. „Eines der Babys hat gerade richtig doll getreten. Aber geht schon", winke ich ab. Eigentlich habe ich jetzt eine Reaktion von Phil erwartet. Am ehesten, dass er jetzt seine Hände an meinen Bauch legt, um die Kinder zu spüren. Aber nein, von ihm kommt nichts. „Phil? Ist was?", frage ich unsicher. Sein Blick ist auf mich gerichtet, doch er scheint leer. „Hallo?" Die Tritte des Babys blende ich augenblicklich aus. Mir fällt seine rechte Hand auf, die sich krampfhaft an der Arbeitsplatte festkrallt. „Phil, das ist nicht witzig. Was ist?" Doch da verdreht er schon die Augen und sackt in sich zusammen.
„Scheiße, Phil! Mach die Augen auf! Hörst du mich?", panisch knie ich mich neben ihn, tätschle ihm die Wange und setze ihm schließlich einen Schmerzreiz. Doch er regt sich nicht. Glücklicherweise hat er noch Atmung, und diese ist auch stark und gleichmäßig. Was um Himmels willen ist hier los? Tränen der Angst steigen mir in die Augen und verwischen schnell meine Sicht. Blind greife ich nach meinem Handy, um einen Notruf abzusetzen. Dass dieser überhaupt verstanden wurde, ist ein Wunder, denn meine Stimme zittert und überschlägt sich. Was ein Glück, dass die Wache gleich hier ist und somit die Kollegen schnell bei uns sind. Vorausgesetzt, dort sind gerade ein RTW und ein NEF frei. Doch da klingelt es auch schon kurz darauf und ich sprinte zur Tür.
Das Rettungsteam besteht aus Paula, Franco, Flo und Dustin. „In der Küche", schluchze ich nur, ohne Verzögerung reagieren sie und gehen durch. „Franco, kümmerst du dich um Sofia?", bittet Paula Franco, was er natürlich bejaht und sich mit mir auf die Couch im Wohnzimmer setzt.
„Was ist passiert?", bringt Paula noch kurz in Erfahrung, während Flo und Dustin schon bei Phil sind. „I-ich weiß nicht! Plötzlich h-hat er mich mit einem leeren Blick angeguckt, dann die Augen verdreht und ist in sich zusammengesackt. Atmung war aber immer stark und gleichmäßig." Total aufgelöst stütze ich mein Gesicht mit meinen Händen. Das ist so surreal, meine Kollegen und Freunde in Einsatzkleidung in meiner Wohnung, um Phil zu helfen. Praktisch ist es jedoch allemal, dass sie gekommen sind. So muss nichts über Phils Vorgeschichte erfragt werden, schließlich wissen sie alles.
„Was war denn eigentlich vorhin los? Phil ist total aufgelöst von der Arbeit geflüchtet." Franco hält mich in seinen Armen und streicht mir beruhigend über den Rücken. Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Anscheinend macht es ihm nichts aus, dass ich seine Strickjacke mit meinen Tränen komplett durchnässe. Ich schildere ihm stockend die ganze Geschichte. „Hey, Phil war wirklich immer auf Arbeit. Weißt du, was er gesagt hat? Er möchte, wenn die Kinder da sind, Urlaub nehmen, damit er mit dir und den Kindern die ersten Monate Elternzeit verbringen kann. Da dein Einkommen bei Elternzeit ja nicht gerade groß ist, wollte er vorsorgen und eben so viel Geld verdienen, damit ihr die Zeit ohne sein regelmäßiges Einkommen schafft. Und zu der Sache mit Frau Müller kann ich in Phils Namen schwören, dass er sie nicht angefasst hat. Ich habe ja selber mitbekommen, wie die sich an ihn herangemacht hat. Schrecklich. Er hat wirklich immer abgeblockt und ist gegangen." „Mir tut das alles so leid! Ich bin so ein Idiot! Ich hätte ihm gleich glauben sollen", schluchze ich und verfalle in einen fast schon hysterischen Heulkrampf, der auch Paulas Aufmerksamkeit gewinnt und sie kurz aus der Küche nach mir gucken lässt. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, wie viel Unrecht ich Phil angetan habe. Natürlich hat er die Wahrheit gesagt. Und ich war so dumm und habe ihm nicht geglaubt. „Schschsch, Sofia, beruhige dich. Deine Reaktion war vollkommen verständlich. Immerhin sah alles so für dich aus. Gut, dann hattet ihr mal einen Streit, aber das gehört zu einer Beziehung dazu. Das war euer erster, oder?" Ich nicke nur, für Worte bin ich gerade nicht fähig. Mein Körper weiß nicht, welches Gefühl überwiegen soll. Die Angst um Phil oder die Wut über mein dämliches Verhalten?
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Die beiden Kapitel, die ich gestern hochgeladen habe, sind wirklich gut bei euch angekommen. Vielen Dank für eure lieben Kommentare! Das motiviert mich zum Weiterschreiben, auch wenn mir gerade wirklich die Ideen fehlen. Ich hoffe mal, dass mir schnellstmöglich ein Licht aufgeht.
Also ein dickes Dankeschön für eure lieben Worte! :) Ich hätte niemals damit gerechnet, dass so viele meine Geschichte lesen und ich dann auch noch solch nette Rückmeldungen bekomme. Da macht das Schreiben doppelt soviel Spaß! :) Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :) (Und einen guten Start in die Woche)
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Zufälle verbinden (Asds)
FanfictionSofia zieht nach Köln, um Neues zu erleben. Doch gleich ihr erster Tag gestaltet sich anders als erwartet. Öfter als gedacht kreuzen sich die Wege mit bestimmten Personen, was sehr bald zur Regelmäßikeit wird. Wird aus dieser Freundschaft auch Liebe...