25 - Hauptstadtchaos

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Eine Woche Urlaub mit Phil in Berlin bei meiner Familie. Inzwischen bin ich im vierten Monat schwanger und man kann es schon erahnen. Deshalb trage ich heute auch extra ein weites Oberteil, damit das noch eine Überraschung für meine Eltern bleibt. Mein kleiner Bauch veranlasst Phil nur noch öfter, dorthin zu fassen. Seine Vorfreude auf die Kinder ist mehr als süß.

„Na, bist du aufgeregt?", ich wende meinen Blick nur ganz kurz von der Autobahn und grinse ihn an. „Nein", sagt er etwas zu langgezogen. Dafür kassiert er einen beherzten Klaps auf den Oberschenkel. „Ja ja, verarschen kann ich mich selber. Ich sehe, dass du aufgeregt bist." Phil seufzt. „Na schön, ja, ich bin etwas aufgeregt." „Etwas", murmele ich lachend nach.

Voller Freude parke ich Phils Auto vor dem Einfamilienhaus meiner Eltern. Es liegt eher am Rand von Berlin, jedoch hat man von hier super Verbindungen zur Innenstadt und ist innerhalb von 20 Minuten da. „Auf auf!", glücklich springe ich aus dem Wagen, was Phil mir nach kurzem Kopfschütteln, welches aber von einem Grinsen begleitet wird, gleichtut. Dabei sieht er jedoch weniger glücklich als angespannt und nervös aus. „Schatz, denke daran, was du mir gesagt hast. Das gilt nämlich auch für meine Familie", erinnere ich ihn und gebe ihm noch einen Kuss, der seine Anspannung sichtlich löst. Wenn auch nur ein bisschen. Er nimmt noch schnell den Blumenstrauß und die zwei Weinflaschen aus dem Kofferraum, dann folgt er mir zur Tür, vor der ich schon längst stehe und geklingelt habe. „Oh, hallo Sofia, was machst du denn hier?", begrüßt mich meine Mutter und schließt mich in die Arme. „Euch überraschen. Ich habe da auch jemanden mitgebracht." Ich deute mit einem Nicken zu Phil. „Guten Tag, ich bin Phil, Sofias Freund. Die Blumen sind für Sie." Nachdem Phil ihr die Hand gegeben hat, übergibt er die Blumen. „Oh, vielen Dank, das wäre doch nicht nötig gewesen. Und ich bin Nadine, das Sie lassen wir mal gleich weg. Freut mich, dich kennenzulernen."

Drinnen warten schon mein großer Bruder und mein Vater. Letzterer guckt mich kurz verwundert an, ehe auch er mich umarmt. Meinen Bruder habe ich mit dem Vorwand, sie überraschen zu wollen, schon hierher gebracht. Dass ich ihnen meinen Freund vorstellen will, wusste aber auch er nicht. Phil geht in der Zeit zu meinem Bruder. „Ach, warte mal, Sie kenne ich doch", stellt Luca nach kurzem Überlegen fest. „Ja, wir sind uns schon begegnet. Ich habe Sofia zweimal behandelt. Ich bin Phil, ihr Freund." Ehrlich gesagt muss ich zugeben, dass ich das fast vergessen hätte, dass sie sich schon kennen. Nur Phil hat mich kurz vor diesem Besuch daran erinnert. „Mich kennst du ja dann auch schon. Luca." Danach ist noch mein Vater dran und Phil überreicht jeweils eine Flasche Wein an meinen Bruder und Vater. Er wollte ihnen unbedingt etwas mitbringen, wobei ich dann gleich an Wein gedacht habe. Den trinken mein Vater und mein Bruder gern zusammen.

Auch Phil versteht sich sofort gut mit meiner Familie. Ich bin wirklich erleichtert, dass wir keine Probleme mit den Familien haben. Das hätte ja auch schiefgehen können. Und ebenso wie Phils Familie haben meine Eltern und mein Bruder freudig auf die Schwangerschaft reagiert. Überbracht haben wir es ihnen wie bei Phil zu Hause.

Nach einem ausgiebigen Frühstück zu zweit, meine Eltern, bei denen wir für die Woche hier in Berlin wohnen, müssen arbeiten, machen Phil und ich einen kleinen Städtetrip und besuchen die schönsten Ecken Berlins. Jedenfalls meiner Meinung nach die schönsten. „Du warst wirklich nicht hier, als du in Berlin warst?", frage ich noch immer etwas entsetzt über den Fakt, dass Phil nicht am Alexanderplatz war, als er in Berlin war. Wir sind gerade an der Weltzeituhr. „Nein, ich war ja zu einer Fortbildung hier, und da blieb eben kaum Zeit für etwas anderes. Leider." „Gut, wirklich schön ist das hier am Alex aber auch nicht mehr, muss ich zugeben. Früher, als ich noch klein war, war das hier viel schöner", seufze ich und erinnere mich an die Zeiten zurück, wo man hier noch keine Angst haben musste, gleich von irgendwelchen Freaks beklaut oder ohne Grund zusammengeschlagen zu werden.

Phil und ich laufen gerade Hand in Hand an einer etwas ruhigeren Straße entlang, als es natürlich mal wieder direkt vor unseren Augen passieren muss. Glück für die Opfer ist es immerhin. Ein unachtsamer Fußgänger überquert die Straße, ein Auto mit ungefähr 30 km/h sieht ihn nicht, bremst zu spät ab und erwischt ihn. Phil und ich bleiben abrupt stehen und starren wie eingefroren auf den Unfall. Und dann, wie, als wäre nichts passiert, steht der angefahrene junge Mann auf und guckt sich verwirrt um. Wie geht das? Er wurde gerade mit circa 25 km/h umgebrettert und steht jetzt einfach so da? Phil und ich brauchen uns nur einen kurzen Blick zuzuwerfen und gehen auf das Auto zu, vor dem noch immer der Fußgänger bedröppelt dreinschauend steht. Phil wendet sich an ihn, ich gucke nach dem Fahrer, der das Lenkrad fest umklammert und nach draußen starrt. Definitiv ein Schock. Ich öffne die Autotür, die Fahrerin reagiert nicht. „Hallo, verstehen Sie mich?", frage ich laut. Ein langsames Nicken kommt zurück. Gut, da kann ich jetzt auch nicht viel anrichten. Die arme junge Frau, die in Zukunft wahrscheinlich noch lang mit dem Geschehen zu kämpfen hat. „Phil, wie sieht es bei dir aus?" Ich gehe zurück zu ihm, der mit dem Fußgänger zurück auf den Gehweg gegangen ist. „Platzwunde an der Seite des Kopfes, da ist er anscheinend aufgekommen. Außerdem sieht seine Hand deutlich frakturiert aus. Und wiederholt andauernd die Frage, was passiert ist. Entweder ein Schock oder es kommt von einer Gehirnerschütterung. Rufst du mal einen RTW?"

Hinter der Unfallfahrerin hat sich inzwischen ein dicker Stau gebildet, durch den sich die Rettungskräfte nun schlängeln müssen. Nach meiner Unfallbeschreibung haben sie neben zwei RTW auch gleich ein NEF geschickt. Ist Phil auch lieber, wie ich ihm an seinem Gesicht ablesen kann. Selbstverständlich trifft auch die Polizei ein. Bevor die Polizei uns befragen kann, kommt der Notarzt auf uns zu. Ein junger Mann, wahrscheinlich gerade erst frisch die Bezeichnung der Notfallmedizin tragend. Phil schildert ihm alles und erwähnt nebenbei, in seine Arztrolle vertieft, auch Verdachtsdiagnosen. „Ach, da hat jemand zu viele Arztsendungen geguckt", bemerkt der Notarzt etwas sehr überheblich. Phil schnaubt, bemüht darauf, ruhig zu bleiben. „Entschuldigen Sie, aber ich bin Arzt, ebenfalls auch Notarzt, und meine Freundin ist Notfallsanitäterin. Und nee, solche Sendungen sehe ich mir nicht an, ich bin froh, wenn ich mal meine Ruhe vor Unfällen habe." Der Notarzt reißt seine Augen ungläubig auf und läuft rot an. Dann verschwindet er schleunigst zu seinen Kollegen, die sich schon um den Fußgänger kümmern. Tja, damit hätte er jetzt wohl nicht gerechnet. „Vielleicht wird das hier ja zwischen dem Notarzt und der Fahrerin eine nette Geschichte. Wenn sie auch so ein Händchen für Zufälle hat. Kommt mir irgendwie bekannt vor", Phil grinst mich von der Seite an. „Echt? Komisch. Ich weiß gar nicht, wovon du redest."




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