6 - Oder eben doch öfter

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Zum Essen gibt es heute ganz klassische einfache Nudeln mit Tomatensoße. In die Sauce mache ich immer noch Gemüse rein, so essen wir das am liebsten. Ehe ich mich wirklich zum Aufstehen überwinden konnte, hat es noch knappe zwanzig Minuten gebraucht. Ups, das macht mich hier echt zu einem faulen Menschen. Mir fehlt die Arbeit so ungemein. Ich war schon immer ein Mensch, der seine Arbeit geliebt hat und traurig war, wenn er krankgeschrieben wurde.

Zuerst setze ich Nudelwasser auf, danach fange ich mit dem Gemüse an. Um es vorwegzunehmen: Das Schneiden des Gemüses ging gut. Bis zur letzten Paprika. Durch einen lauten Knall von draußen habe ich so einen Schrecken bekommen, dass ich mit dem Messer abgerutscht bin und schon war es quer durch meine Hand. Und das tief. Ordentlich tief.

„Scheiße!", fluche ich durch zusammengebissene Zähne. Es brennt wie sonst was und das Blut tropft schon unaufhaltsam auf den Boden. Schnell halte ich meine Hand unter Wasser, um die Wunde zu reinigen und sie danach genauer anzugucken. Doch egal, wann ich sie vom Wasser wegnehme, sofort versperrt mir eine Menge an Blut die Sicht. Meiner Schätzung nach zu urteilen ist der Schnitt jedoch ganz schön tief, super. Ich eile ins Badezimmer, um mir Verbandszeug zu holen. Dabei hinterlasse ich eine Blutspur durch die Wohnung. Einen kurzen Moment muss ich schmunzeln, sieht aus wie ein Tatort.

Im Badezimmer wasche ich mir erneut meine Hand ab, doch merke schon bald, dass ich das sein lassen kann. Also krame ich mit einer Hand nach dem Verbandszeug in meinem Spiegelschrank gegenüber der Badewanne. Schnell ist ein mehr oder minder gelungener Druckverband angelegt. Eben einer, den man so mit einer Hand hinbekommt.

Doch was war das für ein lauter Knall? Etwas schwankend, durch den hohen Blutverlust, mache ich mich auf den Weg zu meinem Balkon. Und was ich dort sehe, versetzt mir einen Adrenalinschub. Mein Schwindel ist wie weggeblasen, meine unverletzte Hand greift automatisch nach meinem Handy. Dann renne ich, nachdem ich in meine Schuhe geschlüpft bin, nach unten vor die Wohnungstür.

Direkt vor dem Haus ist ein heftiger Auffahrunfall passiert. Und zu meinem Schrecken regt sich hier nichts. Rein gar nichts.

Im ersten Auto, welches von hinten angefahren wurde, sitzt eine junge Frau, die eine ordentliche Platzwunde an der Stirn hat und nicht auf Ansprache reagiert, im zweiten sitzt ein noch jüngerer Mann, auf der Rückbank zwei Kinder, geschätzte 5 und 10 Jahre alt. Die beiden sind glücklicherweise ansprechbar, beim Vater der Kinder, wie mir von denen gesagt wird, sieht das jedoch ähnlich wie bei der Frau aus.

„Bei euch ist alles okay? Ihr habt keine Schmerzen?", erkundige ich mich bei den beiden Kindern. Beide haben laut ihren Aussagen nichts. Doch das Mädchen, die jüngere der beiden Kinder, bekommt langsam aber sicher Panik. Zum Glück kümmert sich ihr großer Bruder sofort.

Kaum habe ich den Notruf abgesetzt, kommt von hinten ein weiteres Auto und bremst scharf ab. Der Fahrer des Autos ist kein anderer als mein Bruder, der direkt herausspringt und zu mir eilt.

„Was ist hier passiert?", fragt er, sein Blick huscht zwischen den beiden Autos hin und her. Knapp schildere ich ihm die Situation und schließe mit den Worten: „Könntest du bei der Frau bitte durchgängig Puls und Atmung überprüfen? Wenn was ist, dann rufe." Er nickt und tut gesagtes, ich mache das gleiche beim Mann.

Keine vier Minuten später fährt ein NEF mit Blaulicht von links in die Straße ein. Und bei meinem Händchen für Zufälle hätte ich mir fast denken können, dass dort Phil und Franco aussteigen. Der Fahrer des Autos ist inzwischen zu sich gekommen, als ich die beiden zu mir winke. „Na, mal wieder die Retterin?", bemerkt Phil grinsend, konzentriert sich aber schnell aufs Wesentliche, als ich ihm mit einem kurzen Schnauben alles schildere. Franco bleibt beim Mann, der somnolent am Steuer sitzt, Phil kümmert sich um die bewusstlose Frau. Kurz darauf kommen auch zwei RTW in die Straße gefahren. Nach meinen Beobachtungen kennen Franco und Phil die Besatzungen nicht. Anders jedoch bei der Polizei, die inzwischen auch eingetroffen ist. Sie sehen mit Phil und Franco sehr vertraut aus. Auch von den beiden Polizisten, die sich als Sindera und Richter vorgestellt haben, werde ich noch befragt. Wirklich viel sagen konnte ich jedoch nicht, immerhin habe ich nur den Knall gehört.

Luca parkt noch sein Auto ordentlich, dann stellt er sich zu mir. Ich für meine Person jedoch sitze inzwischen auf der Stufe zur Wohnungstür, da der Schwindel zurückgekommen ist. Ein Blick auf den Verband verrät mir, dass dieser schon komplett getränkt von Blut ist. Durch das Adrenalin habe ich das gar nicht mitbekommen, doch jetzt, wo sich gekümmert wird, kommt auch der Schmerz.

„Was hast du denn da gemacht?", entfährt es Luca erschrocken, als er meine Hand sieht. „Da sollten die vielleicht auch noch nach gucken." Ich winke ab. „Geht schon, hab mich nur geschnitten, da ich mich durch den Aufprall der Autos so erschrocken habe." Doch in diesem Moment bleibt Phils Blick kurz an mir hängen. Besser gesagt an meiner Hand. Schneller als man gucken kann steht er vor mir, Franco mit Notfallrucksack im Schlepptau. Wie ich solch eine Aufmerksamkeit liebe. Nicht.

„Was ist jetzt da passiert?" Phil nimmt meine Hand behutsam in seine und löst langsam den Verband. „Ach, halb so wild. Hab mich durch den Knall der Autos so erschrocken, dass ich mit dem Messer abgerutscht bin. Aber das geht schon." „Sieht man. Das war ein ordentlich angelegter Druckverband. Und trotzdem hat das so doll weiter geblutet. Hast du eine Blutgerinnungsstörung?" Von Franco bekommt er neues Verbandsmaterial, womit er mir einen neuen Druckverband anlegt. „Nee", antworte ich langgezogen, als mir der Geistesblitz kommt und ich mir mit meiner unverletzten Hand gegen die Stirn haue. „Ich hab heute Morgen eine Aspirin genommen, da ich Kopfschmerzen hatte." Franco und Phil stöhnen gleichzeitig auf. Aspirin wirkt, neben der bei mir gewünschten Wirkung gegen Schmerzen, auch Blutverdünnend. Ist klar, dass meine Hand jetzt nicht mehr aufhört.

Auch ich habe nach einer kleinen Diskussion eingesehen, dass ich mit meinem Schwindel mit in die Klinik gehen sollte. Außerdem hat Phil gesagt, dass der Schnitt so tief sei, dass er genäht werden müsse. Na schön, also ein Ausflug in die Klinik im NEF mit Franco. Wenigstens von einem RTW für mich konnte ich sie abhalten.

Wieso ich jetzt lieber doch mit Luca einkaufen gegangen wäre? Ich hätte mir den tiefen Schnitt gespart. Obwohl ich so dann auch nicht so schnell hätte helfen können, aber gemacht habe ich eigentlich eh nichts. Und so sitze ich jetzt in der Notaufnahme, Infusion an meinem Arm, damit ich wieder mehr Flüssigkeit bekomme, und warte auf das Nähen.


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