21 - Man muss ja nicht jeden mögen

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„Ich komme dann in der Pause mal vorbei. Ich wünsche dir einen ruhigen Dienst." Mit diesen Worten verabschiede ich mich von Phil, dann trennen sich unsere Wege. Ich gehe in die dritte Etage der Wache, wo sich die Büros befinden. Dort werde ich Frank ein wenig unter die Arme greifen und ihm beim Organisatorischen helfen, aber auch mal Praktikanten oder Azubis an die Büroarbeit im Rettungsdienst und an die Materialien führen. Denn das muss ja schließlich auch sein. Phil und ich haben heute Morgen noch ausgemacht, wie wir den anderen die Schwangerschaft sagen. Da sie eh nicht mehr mit dem Fragen aufhören würden, wenn ich nicht mehr auftauche, haben wir beschlossen, es heute einfach direkt herauszuhauen.

Ich bin gerade dabei, ein paar Beispiele für meinen heutigen Azubi herauszusuchen, als es auch schon klopft. „Herein!", rufe ich und eine Frau, vielleicht drei Jahre älter als ich, mit langen blonden Haaren und etwas sehr auffällig geschminkt, betritt das Büro. Auch wenn das sehr oberflächlich ist, ist sie mir irgendwie schon auf den ersten Blick unsympathisch. Und dies wird sich in Zukunft auch bestätigen. „Ach, Sie müssen Frau Müller sein, oder?", frage ich, was sie mit einem Nicken bejaht. An dieser Stelle würde ich ihr das Du anbieten, ist an unserer Wache einfach üblich, aber irgendwie habe ich eine Abneigung gegen sie. „Gut, ich bin Frau Wegener und für die nächsten drei Wochen für Sie zuständig. Ein Praktikum im Einsatz hatten Sie noch nicht, wenn ich mich recht erinnere, oder?" „Nein, das habe ich in drei Monaten", etwas zu viel Gleichgültigkeit für diesen Job schwingt mir in ihrer Stimme mit. Und sie will Sanitäterin werden?

In der Pause schiebe ich sie im Pausenraum ab, ich selber gehe nach unten in den Aufenthaltsraum. Mein Herz klopft jetzt doch ganz schön. Wie werden sie wohl alle reagieren? Natürlich kann es auch sein, dass Phil gerade zu einem Einsatz ist. Und tatsächlich, genau er ist weg, als ich gerade den Raum betrete. Dafür sitzen Paula, Jacky, Flo und Dustin auf der Couch und zappen durch das Fernsehprogramm. Wirklich wahrgenommen haben die mich scheinbar noch nicht. „Na, kommt nichts Spannendes?", frage ich gespielt mitleidig und lache. Vor Schreck zucken alle vier zusammen, sie haben mich also wirklich nicht bemerkt. „ Was machst du denn hier?", fragt Flo verwirrt, nachdem er sich von seinem Schock erholt hat. „Nach euch gucken, was sonst?", frage ich lässig zurück. „Ja, aber woher kommst du?", hakt nun Dustin nach. „Aus Deutschland? Berlin?" Flo und Dustin schnalzen genervt mit der Zunge und verdrehen die Augen, Jacky und Paula grinsen nur.

„Aus den Büros. Ich habe für drei Wochen eine tolle Praktikantin. Mit der dürft ihr in drei Monaten auch Bekanntschaft machen. Könnt ihr euch drauf freuen, so viel Grips habe ich schon lang nicht mehr erlebt", beantworte ich gerade seine Frage, als die Tür aufgeht. Sofort drehe ich mich um, um direkt in Phils und Francos Gesichter zu sehen. „Da bist du ja", stelle ich glücklich fest. „Tut mir leid, stehst du schon lang hier?" Ich schüttele den Kopf. „Nee, bin auch gerade erst gekommen", verschwörerisch grinse ich ihn an, was er wohl zum Anlass nimmt, um auf mich zuzukommen und mich zu umarmen. „Und, wie geht es euch?", fragt er mich, jedoch betont laut. „Uns gehts blendend. Nach heute Morgen war es dann auch mit der Übelkeit vorbei." „Das freut mich", er löst seine Umarmung, nur um mir einen Kuss zu geben. „Ähm, Leute, was geht hier gerade ab? Was habe ich bitte verpasst?", Franco legt seinen Kopf schief, seine Augenbrauen sind zusammengezogen. „Wie geht es euch?", wiederholt auch Flo total verwirrt. Paula wirft sich währenddessen schon weg vor Lachen. „Und was war das gerade bitte? Seit wann seid ihr zusammen?", kommentiert nun auch Dustin. Jacky grinst, anscheinend ahnt sie es schon. Frauen eben. „Ja, darf ich vorstellen? Das sind Sofia, seit gestern übrigens meine Freundin, und unsere beiden kleinen Mäuse", er legt einen Arm um mich, zieht mich an sich ran und drückt mir einen sanften Kuss auf die Schläfe. Wir grinsen beide die anderen um die Wette an. „Wie jetzt. Eure beiden kleinen Mäuse? Wo?" Francos Augen suchen gerade die ganze Umgebung ab. „Da drinnen! Sofia und ich werden Eltern du Idiot!" Phil deutet lachend auf meinen Bauch. Alle Augen weiten sich, außer die von Paula und Jacky. Letztere springt quietschend auf, umarmt mich und dann Phil stürmisch. „Ist das süß!", quietscht sie. Eine typische Reaktion einer Frau auf eine Schwangerschaft einer Freundin. „Hä? Aber ihr habt die Mehrzahl benutzt", Franco scheint noch immer nichts zu checken. Phil und ich stöhnen genervt auf. „Ja, weil es Zwillinge werden du Depp!", ich fange unweigerlich an zu lachen. Und jetzt haben es endlich auch die Männer gecheckt und umarmen uns nacheinander.

„Aber wie? Ich meine, ihr seid seit gestern zusammen?", kommt es noch immer etwas verwirrt von Franco. „Also wie Kinder entstehen, muss ich ja nicht erklären, schätze ich. Und wir haben selber beide davon gar nichts mitbekommen. Passiert ist das nämlich an Weihnachten, als wir zusammen in einer Bar waren. Ja, da ist eben der ein oder andere Tropfen zu viel gelaufen", schildere ich die ganze Situation kurz und knapp.

Die Pause verging viel zu schnell und schon musste ich wieder nach oben. Die Freude auf Frau Müller ist groß. Nicht. Ich hatte noch nie einen Azubi, der so wenig gecheckt und so wenig Interesse gezeigt hat. Warum um alles in der Welt will sie dann diesen anspruchsvollen Beruf machen? Na ja, man muss ja nicht jeden mögen.


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