27 - Zwischen Wahrheiten und Lügen

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Phils Sicht

„Also, ich hole jetzt schnell das Zeug aus dem Materialraum", sage ich genervt zu Frau Müller. Mir fällt es immer schwerer, freundlich mit ihr zu reden. Aufgrund von Renovierungen ist im Materialraum momentan kaum Platz zum Bewegen. Und genau das soll mir jetzt zum Verhängnis werden. Ich bin gerade dabei, in dem kleinen Raum für Materialien direkt an der Fahrzeughalle alles zusammenzusuchen, als hinter mir die Tür ins Schloss fällt. Eigentlich habe ich die offen gelassen. Vor Schreck lasse ich die Verbandspäckchen, die ich gerade in der Hand hatte, fallen und drehe mich um. Direkt vor mir steht Frau Müller. Wahrscheinlich probiert sie, ein sexy Gesicht zu machen. Doch für mich sieht sie eher aus wie eine missglückte Schönheitsoperation, tut mir leid, so hart das auch klingt. Langsam kommt sie auf mich zu, ich gehe rückwärts und stoße schon schnell gegen ein Regal hinter mir. Irgendwie fühle ich mich von ihr bedrängt. Ist auch nicht verwunderlich, denke ich. „Was auch immer das hier werden soll, lassen Sie es einfach", sage ich und lache auf. Auf ihre Lippen legt sich ein ekelhaftes Grinsen. „Komm schon Phil, wir wissen doch beide, dass es zwischen uns funkt." „Erstens habe ich Ihnen nie erlaubt, mich zu duzen, und zweitens haben wir beide gemerkt, dass mit Ihnen etwas gewaltig falsch läuft." Ich muss lachen, was ihr anscheinend nicht so gefällt. „Hör auf und spiele dir selbst nichts vor. Sieh es ein, okay?" „Was soll ich einsehen? Dass ich eine Freundin habe, die ich über alles liebe? Das sollten Sie mal einsehen." „Komm, red nicht so'nh Blödsinn, sondern küss mich einfach." Verdattert gucke ich sie an, ihre Augen sind mit meinen auf gleicher Höhe. So was absurdes habe ich weder mal erlebt, noch gehört. Ist ihr das nicht peinlich oder unangenehm? Ich glaube, diese Frau hat ein psychisches Problem. „Sind Sie wirklich so blöd oder tun Sie nur so?", frage ich entgeistert. Ich rede weiter, ohne überhaupt auf eine Antwort zu warten. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss das jetzt einsortieren und dann zum Chef. Das hier ist Belästigung. Also gehen Sie aus dem Weg, dass ich hier durchkomme." Denn sie versperrt mir den Weg zur Tür.

Als sie gerade zu einer Erwiderung ansetzen wollte, wird die Tür hinter ihr geöffnet. Vor Schreck macht Frau Müller einen Satz nach hinten und dreht sich schwunghaft um. Mein Blick gleitet an ihr vorbei und trifft sofort den von Sofia.

Sofias Sicht

Unten in der Fahrzeughalle steht ein NEF offen, doch Personen sind nicht zu sehen. Komisch. Auch der Materialraum ist geschlossen, was er eigentlich nie ist. Meine Hand legt sich auf die Klinke und plötzlich habe ich ein komisches Gefühl im Magen. Unsicher, woher das so ohne Vorhersage kommt, drücke ich die Klinge runter. Und erstarre. Frau Müller macht einen Satz nach hinten und guckt mich erschrocken an. Hinter ihr kommt Phil zum Vorschein, auch er starrt mich an. Das sieht hier alles ganz falsch aus. „Äh", bringe ich hervor, ein schmerzhaftes Gefühl kriecht meinen Hals hoch. „Sofia, das ist nicht das, wonach es aussieht. Wirklich nicht", spricht Phil sofort los und will eigentlich an Frau Müller vorbei, doch schafft es nicht, da sie ihm den Weg versperrt. „Sag mir, dass das nicht wahr ist", flüstere ich und befreie meinen Hals von diesen Schmerzen, indem ich den Tränen einfach freien Lauf lasse, die sich angesammelt haben. „Nein Sofia, es ist nicht das passiert, was du denkst!", beteuert Phil und hat es endlich geschafft, sich mit so wenig Berührung wie nur möglich an Frau Müller vorbei zu quetschen. Er will gerade nach mir greifen, doch ich weiche zurück, drehe mich um und gehe weg. „Was fällt Ihnen eigentlich ein? Sie werden vom Chef hören!", höre ich Phil kurz darauf wütend schreien, als ich gerade wieder einen Fuß in den Flur gesetzt habe. „Sofia, jetzt warte doch mal! Bitte!", ruft er weiter, seine Schritte hallen schnell auf dem Boden. Doch ich bleibe nicht stehen, sondern verschwinde in einer Toilettenkabine und schließe ab.

Diese Frau Müller war mir von Anfang an nicht ganz geheuer. Jetzt macht das auch Sinn, wieso Phil fast nur noch auf Arbeit ist. Zumindest sagt er das, wer weiß, wo er sich so herumtreibt, wenn er auf ‚Arbeit' ist. Wieso tut er mir das an? Denkt er nicht an seine Kinder? Ich dachte, er würde mich lieben. Ja, ich habe nicht direkt gesehen, wie sie sich geküsst haben. Aber bitte, alles hat danach ausgehen. Beide allein im kleinen Materialraum, Tür zu, sie ganz nah an ihm. Beide erschrockene Gesichter. Das ist doch eindeutig. Mein Kopf fällt auf die Knie, die ich angewinkelt habe und so auf dem Deckel der Toilette sitze. Die Tränen kommen einfach so, begleitet von leisem Schluchzen. Mein Körper bebt. „Sofia? Ich höre dich. Hör zu, zwischen Frau Müller und mir ist nichts gelaufen. Wirklich nicht. Sie hat mich bedrängt und ich bin nicht an ihr vorbeigekommen. Ich liebe dich doch." Phils Stimme zittert leicht. „Ach, geh bitte. Ich kann dich jetzt nicht ertragen." Meine Stimme ist brüchig, eigentlich zu brüchig, um sie zu verstehen. „Nein Sofia, glaub mir doch. Es ist so -" „Phil! Hau ab! Und wehe, du schickst jemanden zu mir!" Ich vernehme ein Seufzen, doch er geht wirklich. Als ob dieser Idiot jetzt wirklich gegangen ist! So schnell gibt er auf? Okay nein, jetzt tue ich ihm Unrecht. Immerhin wollte ich ja, dass er geht.

Phil hat wirklich keinen mehr geschickt. Kurz sitze ich noch so da, ehe ich zu den Waschbecken gehe, mein Gesicht mit kaltem Wasser wasche und dann wieder zu Elias gehe. „Ist alles okay?", fragt dieser erschrocken, als er mich sieht. „Na ja, mir geht es gerade nicht so gut. Die Schwangerschaft. Wäre es okay, wenn wir deinen letzten Tag hier beenden? Tut mir leid, ich weiß ja, wie dir das gefallen hat." „Natürlich, kein Problem. Ich wünsche gute Besserung." Und schon ist er draußen.

Bei Frank noch mit der gleichen Lüge abmelden und ab nach Hause. Phil und ich laufen immer, wir wohnen ja nicht weit von der Wache. In meinem jetzigen Zustand auch besser so, denn meine Sicht wird mir durch Tränenschleier genommen. Nur ein Wort schwirrt mir die ganze Zeit durch den Kopf. Wieso? Und was mache ich jetzt mit ihm? Ich liebe ihn, aber er hat mich augenscheinlich betrogen. Auch wenn er das nicht zugibt. Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll. Aber es ist schon auffällig, dass er nur noch arbeiten ist und kaum noch Zeit mit mir verbringt.




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