12 - Feinde werden zu Helden

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„Nein!", schreie ich, da ich dachte, der Boss hätte abgedrückt, doch nein, dieser sackt leblos in sich zusammen. Auch Phils Beine geben nach, doch er hat seine Augen offen und drückt sich auf sein Bein, welches inzwischen doch eine etwas größere Menge Blut verloren hat. Binnen Sekunden ist der Anführer von einer Lache Blut rund um seinen Kopf umgeben. Scheppernd fliegt eine Waffe in die Ecke, die Waffe des Entführers, der mich gehalten hat und nun unser Leben gerettet hat. Auch er sinkt schluchzend zu Boden. Ich muss sagen, ich habe fast Mitleid mit ihm, doch dafür bleibt mir jetzt keine Zeit. Ein kurzes Danke geht noch an ihn, dann stürze ich mich sofort auf Phil, während die Polizisten die Männer festnehmen und mir fremde Ärzte und Sanitäter in den Raum stürmen.

„Wie ist das jetzt passiert?", fragt Phil, völlig benebelt wegen des inzwischen doch heftigen Blutverlusts, und guckt mir in die Augen. Eine junge Ärztin kümmert sich mit zwei Sanitätern um ihn. „Ich habe meinen Typen bereden können, bis er ihm schließlich einen Kopfschuss gegeben hat", vor Erleichterung breche ich erneut in Tränen aus und sacke kraftlos zusammen. Dem Tod von der Schippe gesprungen, so kann man das fast ausdrücken. Plötzlich greift jemand nach meiner Hand und drückt sie, bemüht darum, einen festen Druck zustande zu bringen. Doch es ist trotzdem schwach. Als ich meinen Tränenschleier erfolgreich weg blinzeln konnte, erkenne ich, wie Phil mich aufmunternd anlächelt. Er ist es, der meine Hand genommen hat. „Hey, du hast mir mein Leben gerettet. Zum zweiten Mal. Jetzt sind wir quitt, danke", flüstert er, noch ein warmes, schwaches Lächeln von ihm, dann kippt sein Kopf zur Seite. Seine Augen sind geschlossen, sein Gesicht erstarrt. „Phil!", schreie ich, springe auf und liege im nächsten Moment wieder auf dem Boden. Denn auch bei mir ist es schwarz geworden.

„Zum Glück ist das ganze noch ganz glimpflich ausgegangen, zumindest für die drei", vernehme ich eine bekannte Stimme gedämpft, als wäre ich von einer Glaskuppel umgeben. Die drei? Was ist mit Phil? Und wo bin ich inzwischen? Mühsam kämpfen meine Lider darum, sich zu öffnen. Mein Körper ist bewegungsunfähig, doch er wird ordentlich durchgeschüttelt, als würde ich gerade fahren. Im Liegen. Ha, ich bin in einem RTW! „Aufatmen können wir aber noch nicht", gibt eine andere Stimme zu bedenken, die mir ebenfalls bekannt vorkommt. „Jetzt male den Teufel nicht an die Wand! Wir kriegen ihn wieder hin, daran glaube ich fest!", fährt die erste Stimme, eine Frau, die zweite, eine männliche Stimme, an. „Hey Paula, ja, daran glaube ich auch. Es ist für uns alle nicht leicht. Aber Phil ist ein Kämpfer und schafft das", spricht der Mann besänftigend auf sie ein. Paula! Langsam gewinnen meine Lider den Kampf und öffnen sich Stück für Stück, bis sie sich an das Licht gewöhnt haben. „Na, auch mal wieder Lust, uns mit deiner geistigen Anwesenheit zu beglücken?", scherzt Flo, dem ich als erstes in die Augen geguckt habe. „Sofia!", Paula springt von dem Begleitersitz auf und umarmt mich umständlich und fest auf der Trage. Leises Schluchzen genau neben meinem Ohr vernehme ich. Sie weint. „Ich bin so froh, dass ihr wieder da seid. Da haben unsere Freunde von der Polizei beste Arbeit geleistet", langsam, und darauf bedacht, bei der Fahrt nicht das Gleichgewicht zu verlieren, lässt sie sich wieder auf ihren Sitz sinken und wischt sich die Tränen weg. „Wie geht es Phil? Was ist mit ihm?", schießt es sofort aus mir heraus, obwohl ich noch unzählige weitere Fragen habe. Paula öffnet den Mund zum Reden, schließt ihn jedoch wieder und senkt ihren Blick. „Er ist bewusstlos geworden und wurde daraufhin ins künstliche Koma gelegt. Er hat durch die Schusswunde doch sehr viel Blut verloren. Aber er wird es schaffen, da glauben wir alle fest dran. Er ist jetzt mit Alex, Yannik und Ralf ebenfalls auf dem Weg zur Klinik, also in besten Händen, das weißt du", antwortet Flo für Paula, doch auch seine Stimme zittert leicht.

„Was mache ich aber bei euch im RTW, wenn ihr vor Ort gar nicht da wart? Und was ist mit Franco und Jacky? Wie lang waren wir weg und warum war unsere Polizei da, obwohl das gar nicht deren Umkreis für Einsätze ist?", platzen alle Fragen aus mir heraus, die nun geduldig von Paula beantwortet werden. „Wir wurden direkt von Klaus informiert, der auch bei euch im Einsatz war. Wir sind dann alle losgefahren und haben euch dort von den fremden Kollegen übernommen, um euch in unsere Klinik bringen zu können. Außerdem kennen wir uns, macht alles leichter. Franco und Jacky wurden von Moritz und Paul mit dem Streifenwagen in die Klinik gefahren, einfach zur Kontrolle, denen ging es rein körperlich gut. Die Psyche ist eben nur im Arsch. Weg wart ihr vier Tage, fast fünf, wir haben die Stunden gezählt, so verrückt haben wir uns auf der Wache gemacht. Und unsere Polizei hat die Ermittlung aus eigener Hand gemacht. Tag und Nacht, sie haben kaum ein Auge zugetan. Deshalb sind sie auch auf eigene Faust zu euch gefahren, als sie den entscheidenden Hinweis eines Zeugen bekommen haben."

Das muss ich erst mal alles sacken und auf mich wirken lassen.

Phil konnte schnell wieder aus dem künstlichen Koma geholt werden. Es stand dennoch sehr kritisch um ihn, da hat keiner ein Geheimnis draus gemacht. Tag und Nacht waren Jacky, Franco und ich bei Phil, auch wenn das auf der Intensivstation eigentlich nicht so geht. Aber für uns haben alle eine Ausnahme gemacht. Wir drei durften eh eine Weile nicht arbeiten, also haben wir Phil Gesellschaft geleistet, auch wenn er die ersten Tage im Koma davon nichts mitbekommen hat. Den Anblick seine Körpers, intubiert, mit etlichen Kabeln an Geräten angeschlossen, werde ich nie vergessen. Zu schrecklich war das und damit auch die Verbindung der Tat.

Nach vier Wochen wurde Phil kerngesund aus der Klinik entlassen, wir vier mussten uns nur noch einer Psychotherapie unterziehen, ehe wir wieder arbeiten durften. Aber das hatten wir auch dringend nötig. Der Anführer unseres Unglücks ist durch den rettenden Schuss gestorben, seine Komplizen werden für Mittat vielleicht zehn Jahre bekommen, laut der Schätzung von Klaus und Co.



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