13 - Verschlafen in die Normalität

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Sturmklingeln reißt mich aus dem Schlaf, dann kommt auch noch lautes Hämmern gegen die Tür dazu. „Sofia! Wir müssen los!", schreit jemand von draußen. Mit einem Mal sitze ich kerzengerade im Bett und erhasche einen kurzen Blick auf den Wecker. Scheiße, ich habe verschlafen. „Ich komme!", rufe ich, renne zur Tür und reiße sie auf. Phil steht in Einsatzkleidung davor. Ohne etwas zu sagen renne ich zurück in mein Schlafzimmer, schmeiße mich in meine Ersatzuniform, die ich immer zu Hause habe, mache mich ganz schnell im Bad frisch und stehe keine fünf Minuten später vor meiner Haustür, vor der Phil schmunzelnd wartet. Es ist schön, ihn wieder lächeln zu sehen. Seit einer Woche arbeiten wir nun wieder, nachdem wir das Okay von den Therapeuten bekommen haben. Und die ersten Tage war es mit Phil nicht leicht, genauer gesagt mit keinem von uns. „Was ist?", frage ich mit schrägem Kopf. Er drückt mir meinen Melder in die Hand, dreht sich um und geht die Treppe runter. „Die Haare würde ich so lassen, steht dir", erwähnt er dann noch und kann sich ein richtiges Grinsen nicht verkneifen. Stimmt, meine Haare. Also nochmal ins Bad, Haarbürste holen und dann Phil hinterher. Unten steht das NEF, in dem Phil und ich heute Dienst haben. Und kaum sitze ich drin, bekommen wir einen Einsatz. „Dein Glück, das ist der erste für heute", informiert mich Phil und ich gebe ordentlich Gas. ‚Armverletzung Kind' ist das Einsatzstichwort.

In der Schule angekommen, kommt uns sofort eine Lehrerin entgegen, die uns auf den Schulhof zieht. Dort sitzt ein circa achtjähriges Mädchen, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Arm hält. Neben ihr ein weiteres Mädchen und eine zweite Lehrerin. „Hallo, ich bin Sofia, was ist denn passiert?", ich hocke mich vor das Mädchen und sehe ihr verweintes Gesicht. „I-ich bin vom Klettergerüst gefallen und wollte mich mit meinen Armen auffangen. Und dann hat der so komisch geknackt und tut jetzt richtig dolle weh", schluchzt sie vor sich hin. Die arme. „Und wie heißt du?" „Lisa." „Hallo, ich bin Phil, dürften wir uns deinen Arm mal angucken, damit wir dir helfen können?", schaltet sich Phil mit ein, der vorher mit der Lehrerin gesprochen hat und jetzt ebenfalls neben mir hockt. Zögernd nickt Lisa und zieht ihre Nase hoch. Doch kaum berührt Phil ganz leicht ihren Arm, schreit sie vor Schmerzen auf. „So schlimm?", frage ich mitleidig, was sie mit einem Nicken beantwortet. „Gut, so wird das nichts, soll ich gleich Schmerzmittel aufziehen?", werfe ich ein, was Phil bejaht.

Der RTW kam kurz nach uns an, die Besatzung bestehend aus Jacky und Flo. „Oh, Sofia hat auch mal auf die Arbeit gefunden", Flo zwinkert mir grinsend zu, konzentriert sich dann aber auf seine Arbeit. „Haha, sehr witzig. Also, das ist Lisa, acht Jahre alt und vom Klettergerüst gefallen. Wahrscheinlich distale Radiusfraktur", bringe ich die beiden auf den Stand der Dinge. Nach Schmerzmittelgabe folgen noch die Standarduntersuchungen, anschließend verladen wir sie in den Rettungswagen. Aufgrund der Schmerzmittel begleitet Phil sie lieber, und so fahre ich mit dem NEF hinterher und sammle Phil an der Klinik wieder ein.

Das schöne Wetter vom Morgen kippt im Laufe des Tages noch ordentlich. Was Phil und ich zu Genüge spüren sollen. Es herrscht Schweigen, als wir an einer roten Ampel stehen und warten. Nur der Regen ist zu hören. „Hunger?", erfüllt Phil diese Ruhe. Ich gucke ihn an und nicke. „Soll ich zum Bäcker des Vertrauens fahren?", schlage ich vor, was sofort bejaht wird. Eigentlich waren wir gerade von einer Schmerzbehandlung einer alten Dame wieder auf dem Weg zur Wache.

Vier Minuten später parke ich vor besagtem Bäcker, Phil und ich springen aus dem Auto und rennen in die Backstube, die gerade sehr gut besucht ist. Ein Geruch von frischem Kaffee und süßem Gebäck steigt mir in die Nase. „Da sind ja meine uniformierten Freunde", begrüßt uns Marko, der Chef der Bude, über die ganzen wartenden Köpfe hinweg. Wie auf Knopfdruck drehen sich alle zu uns um. „Was darf es denn sein?", will er wissen und zieht uns somit vor. Das macht er immer netterweise, da uns ja jederzeit ein Einsatz überraschen kann. „Was willst du? Ich bezahle", Phil guckt mich fragend an. „Schön, dann bin ich nächstes Mal aber dran. Ich lass mich überraschen", damit entferne ich mich von Phil und setze mich an einen Tisch. Er weiß, wie ich es hasse, wenn er bezahlt.

Zwei Minuten später kommt er mit zwei Bechern Kaffee in den Händen und zwei Tüten unter den Armen geklemmt zu mir an den Tisch und setzt sich. „Hier für die Dame", er reicht mir eine Tüte. „Vielen Dank der Herr, das brauche ich jetzt dringend", freudig beiße ich in das belegte Brötchen. Phil hat das gleiche und fängt ebenfalls an zu essen.

Kaum haben wir den letzten Bissen geschluckt, gehen unsere Melder lauthals los. Zuerst stöhnen Phil und ich synchron auf, doch dann müssen wir lachen, da sich viele Gäste hier beim Bäcker erschreckt haben. „Ruhige Schicht euch noch", wünscht uns Marko grinsend, als Phil und ich mit unseren Bechern zum NEF rennen. Der Regen ist noch schlimmer geworden.

„01/NEF/01 für Leitstelle", tönt es aus dem Funkgerät, nachdem es geknackt hat. „01/NEF/01 hört", gibt Phil zurück. „Es wurde ein Jugendlicher gemeldet. Bewusstlos, Ursache unklar", übermittelt der Disponent alle vorhandenen Informationen. Gut, nicht wirklich informativ.

Wie es das Schicksal so will, sind wir das erste eintreffende Mittel. Super, also kein RTW, in den man sich vor dem Regen retten kann. Also bleibt Phil und mir keine andere Wahl, als draußen mit der Behandlung zu beginnen. Im strömenden Regen.

Sauer und nass bis auf die Haut treten Phil und ich aus der Notaufnahme. Regenwetter lässt Launen ertrinken. „Sag mal, hast du als Jugendliche auch so einen Mist gemacht?", Phil wischt sich mit seiner Hand durchs Gesicht und die Haare, die ihm platt herunterhängen. Von seinen Locken ist gerade nichts mehr zu sehen. „Nee, und so, wie du dich aufregst, warst du auch ein vernünftiger Kerl", ich kann nicht anders und grinse Phil an. Er sieht einfach zu süß aus, wenn er sich aufregt. Und dann sein Gesicht, was er durch seine nassen Klamotten so verzieht. Himmel, was denke ich denn gerade. Süß? „Na ja, vernünftig ist vielleicht noch was anderes, aber so etwas habe ich nicht gemacht", er zuckt mit den Schultern und wischt sich diesmal mit seinem Ärmel der Einsatzjacke übers Gesicht. Auch kein allzu großer Erfolg. „Was hat denn der böse Phil so gemacht?" „Ich hatte eine Phase, so in dem Alter des Patienten, da war ich auf vielen Partys und habe auch mal etwas zu viel Alkohol getrunken. Aber nicht so viel, da kannst du mir glauben."

„Huch, wart ihr planschen?", Franco kommt uns auf dem Gang der Wache entgegen und bemüht sich erst gar nicht, ein Grinsen zu verkneifen. „Nein, wir haben nur einen siebzehnjährigen, vollgesoffenen Deppen auf der Straße behandelt, weil der RTW gefühlte Stunden gebraucht hat", brummt Phil. „Das war jetzt nicht gegen den RTW, sondern gegen den Deppen", verteidige ich sofort unsere Kollegen einer anderen Wache. „Na los, zieht euch um. Ich löse dich ja eh ab. Und Paula ist auch schon da", mit einem noch breiteren Grinsen und unseren Meldern in der Hand verschwindet Franco Richtung Aufenthaltsraum, Phil und ich in den Umkleiden.

Zeitgleich kommen wir raus. Seine Haare sehen nun zerstrubbelt aus. Wahrscheinlich hat er probiert, sich die trocken zu rubbeln. „Na, heute noch was vor?", fragt er betont beiläufig, während wir zum Ausgang der Wache laufen. „Nee, du?" „Hättest du Lust, noch was zu machen? Du könntest zu mir kommen und wir machen uns noch einen entspannten Abend und bestellen was?", schlägt er vor. „Klingt verlockend. Einverstanden." Ein leichtes Grinsen stiehlt sich auf seine Lippen, mein inneres Ich macht gerade Luftsprünge. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder? Warte, ein gutes Zeichen für was? Woran denke ich bitte? Oh Mann, dieser Typ hat echt etwas Besonderes.

Der Abend wird wunderschön. Phil und ich lachen viel, bestellen später Pizza und gucken noch einen Film, ehe ich sehr spät nach Hause gehe. So verläuft bei uns eigentlich jedes Treffen, mal bei mir, mal bei ihm, wir wohnen ja eh nur zwei Straßen auseinander, wie praktisch. Doch leider ist es auch heute nicht zu Annäherungen gekommen. Zu meinem Leidwesen.

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Wegen eines Fehlers meinerseits geht es bei Kapitel 15.1. weiter. Dann kommt 15.2. und dann geht es normal bei 16 weiter :)





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