11 - Zwischen Panik und Verzweiflung

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Mal wieder so ein Tag voller Routinefälle. Wenige Zeit später verfluche ich mich für diesen Gedanken.

„01/NEF/01 für Leitstelle kommen", ertönt es aus dem Funkgerät. „01/NEF/01 hört", spricht Phil zurück. Ich sitze mit ihm im NEF und fahre es gerade eigentlich wieder zur Wache, da Phil nicht mehr gebraucht wurde. „Fahrt zur Mühlenstraße 2 zum alten Bunker, dort wird eine verletzte Person gemeldet, Melder nicht mehr vor Ort, Lage unklar. RTW rollt, Sonderrechte frei." „Verstanden, wir rollen." Phil entfährt ein lauter Seufzer. „Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Einsätze in alten, verlassenen Gebäuden hasse?" „In der Tat, das hast du. Und ich hasse sie auch", gebe ich zurück, nachdem ich gewendet bin und das Blaulicht eingeschalten habe. „Aber der große, starke Phil passt ja auf die kleine Sofia auf", Phil grinst mich von der Seite an. Ich wende meine Augen kurz von der Straße, um ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. Wir necken uns gegenseitig viel, das ist Alltag bei uns allen auf der Wache.

Ein RTW biegt hinter uns um die Ecke und verfolgt uns. „Wer sitzt drin?", frage ich interessiert. „Franco und Jacky. Scheinen zu uns zu gehören." Ich nicke. Und tatsächlich, sie kommen am Einsatzort zeitgleich mit uns zum Stehen und steigen aus. „Gruselig", entfährt es Jacky, als sie sich die Umgebung genauer anguckt. Der Weg, der hierher führt, ist eher ein Trampelpfad. Wir packen unsere Materialien und machen uns dann auf die Suche nach dem Patienten. Die Dämmerung hat schon eingesetzt, was das alles nicht gerade gemütlicher macht.

Nachdem wir außen nichts gefunden haben, beschließen wir, in den Bunker zu gehen. Doch das war ein fataler Fehler. Kaum waren wir alle vier ein paar Schritte drin, schloss sich die massive Metalltür mit einem lauten Knarren und Quietschen. „Scheiße!", rufen wir alle vier auf einmal und gucken uns panisch an. Vor Schreck ist mir das Funkgerät heruntergefallen und in tausend Teile gesprungen, kein Wunder, das neueste Model war es nicht gerade. „Aber ihr habt doch noch eure Funke bei, oder?", frage ich unsicher und hoffnungsvoll zugleich. „Äh", Jacky und Franco gucken sich an und lachen zitternd auf. „Die haben wir im RTW gelassen", rückt Franco mit der Sprache raus. Ich glaube, mir weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht. Die Versuche von Phil, sich gegen die Tür zu schmeißen und sie so zu öffnen, enden ohne Ergebnis. „Keine Chance", außer Atem steht er wieder neben mir und reibt sich schmerzvoll die Schulter. Es ist ein Bunker, dementsprechend gibt es auch keine Fenster.

„Aber wenn wir uns bei der Leitstelle nicht mehr melden und nicht zurückkommen, werden sie ja ganz von allein mal eine Streife schicken um zu gucken, was los ist", probiert Phil, uns alle zu beruhigen, doch auch er klingt nicht gerade entspannt. Hinter uns öffnet sich die Tür erneut. Fünf Männer, einer breiter als der andere, betreten den Bunker. „Ihr seid ja süß. Als würden wir euch hier lassen. Das wäre wirklich dumm von uns. Los Jungs, jeder einen", befehlt der Typ, der ganz vorne steht. Wahrscheinlich der Anführer. In mir kommt die Angst hoch, die mich noch mehr zittern lässt. Doch die vier Männer hinter ihm regen sich nicht. Sie sehen manipulativ aus, vielleicht können sie uns noch helfen. „Habe ich mich falsch ausgedrückt? Jeder einen!", schreit der erste Mann plötzlich laut, was uns alle, einschließlich die vier Entführer, zusammenzucken lässt. Dann setzen sie sich in Bewegung, um uns aus dem Bunker in einen Transporter zu führen.

Meine Uhr verrät uns, dass wir eine knappe halbe Stunde gefahren sind und schließlich in ein altes Fabrikgebäude, oder so etwas in der Art, geführt wurden. Wirklich erkennen konnten wir es durch die Dunkelheit nicht. „Was wollt ihr von uns?", fragt Franco mit fester Stimme, als wir in einem dunklen Raum ohne Fenster und mit Stahltür zum Stehen kommen und dort endlich losgelassen werden. „Eigentlich nichts bestimmtes. Es war euer Unglück, wir hätten jeden genommen, egal, wer zu diesem Einsatz gekommen wäre. Aber es gab da mal einen Vorfall mit dem Rettungsdienst und jetzt will ich mich einfach rechen, egal an wem. Wir lassen uns noch etwas schönes für euch einfallen. Und für die beiden hübschen Frauen hätte ich schon so einige Ideen", der Anführer grinst dreckig. Sofort schiebt sich Phil beschützend vor mich und versperrt mir so die Sicht. Auch Franco hat sich vor Jacky gestellt. Der Anführer lacht und verlässt dann den Raum. Seine vier Angestellten, wie man fast sagen könnte, trotten ihm hinterher. Diese sehen noch immer nicht wirklich überzeugt von der Sache aus.

Die Tage vergehen, zumindest glaube ich es, jegliches Zeitgefühl hat mich verlassen, und die Entführer kommen ab und zu, um uns eine klägliche Menge Wasser und Brot zu geben. Ich sitze durchgängig an Phil gekuschelt auf dem Boden, Jacky an Franco. Bis jetzt ist mit uns glücklicherweise noch nichts passiert.

Tumult von draußen lässt mich aus meinem Dämmerzustand schrecken. Auch die anderen scheinen plötzlich wach zu sein. „Scheiße!", höre ich es laut rufen, dann Getrampel und schließlich wird die Tür auf geschmettert. „Die Bullen sind da. Los, du nimmst die da und ich den. Die anderen beiden können meinetwegen abhauen", der Anführer deutet auf mich und sofort spüre ich einen festen Griff um meinem Arm und werde auf die Beine gezogen. Phil wird vom Anführer gepackt. Plötzlich spüre ich auch noch etwas metallisches an meiner Schläfe. Eine Pistole. Jacky und Franco ergreifen sofort die Flucht und von draußen höre ich vertraute Stimmen einiger Polizisten, die sie freudig empfangen und dann näher kommen, bis sie im Raum bei uns stehen. „Lassen Sie die beiden los!", ruft Stephan. Anscheinend braucht das SEK zu lange, weshalb sie das jetzt übernehmen müssen, eine viel zu gefährliche Sache. „Lasst uns gehen, dann passiert euren Freunden auch nichts", erwidert der Anführer gelassen und stellt sich mit Phil genau zwischen die Beamten und mich und meinem Entführer. Heiße Tränen bahnen sich wie Flüsse den Weg über meine Wangen, ich zittere am ganzen Körper. Auf gut Deutsch gesagt: Mein Arsch geht gerade gewaltig auf Grundeis. Obwohl das sehr lieb ausgedrückt ist, für einen Moment, der voll Todesangst gefüllt ist. Nur vom festen Griff des Entführers werde ich auf den Beinen gehalten. In diesem Moment scheint mein Leben an mir vorbeizuziehen. Tausend ungesagte Dinge gehen mir durch den Kopf. Ganz vorn dran die unausgesprochenen Gefühle für Phil, denen ich mir jedoch selbst noch nicht ganz im Klaren bin. Dass ich ihn jedoch anders als die anderen männlichen Kollegen und Freunde sehe, ist unumstritten. Um ihn habe ich gerade mehr Angst, als um mein eigenes Leben. Mein Kumpel, der mir gerade noch die Pistole an den Kopf gehalten hat, atmet fast unhörbar erleichtert aus und nimmt die Waffe runter, als er von seinem Chef nicht mehr gesehen wird. Okay, er ist definitiv manipulierbar und könnte uns wirklich helfen.

Die Polizisten und gleichzeitig engen Freunde von uns machen einen kleinen Schritt auf uns zu. „Kein Schritt näher oder die beiden sind tot!", schreit der Anführer wieder, nimmt die Waffe von Phils Kopf weg und schießt ihm dafür ins Bein. Phil jault leise auf, doch es schießt kein Blut aus der Wunde. Zum Glück keine Arterie getroffen. Der Typ meint es ernst. „Phil", jammere ich leise. Ich drehe meinen Kopf zu dem Mann an meiner Seite. „Bitte, tu was!", flehe ich ihn leise an. „Hör auf mich so anzugucken", raunt er mir zu. „Bitte!", probiere ich es nochmal. Durch das Wortgefecht zwischen dem Boss und der Polizei werden wir nicht gehört. Jetzt atmet der Komplize hörbar aus und hebt seine Hand mit der Waffe. Doch er richtet sie nicht auf mich, sondern auf seinen Chef. Seine Hand zittert extrem. „Gut, Sie haben es nicht anders gewollt", knirscht der Anführer Stephan an, sein Finger am Lauf der Pistole, die an Phils Schläfe gedrückt wird.

Und dann ist ein Schuss zu hören, der das ganze Gebäude kurz zum Beben bringt.



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