10 - Reflexe muss man haben

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Die Notaufnahme. Eine tagtägliche Umgebung für Rettungsdienstler. Doch eigentlich nur, um ihre erstversorgten Patienten zur weiteren Behandlung abzugeben, nicht, um dort selber als Patient zu landen. Mein Hang zu Unfällen müsste jedoch bereits bekannt sein, da mir nicht erst einmal etwas im Dienst passiert ist. Und von meinen vergangenen Unfällen ganz zu schweigen.

Der erste Monat verging super schnell und ich habe mich auf Arbeit noch nie so wohl gefühlt, wie ich es hier tue. Es gibt eigentlich keinen Kollegen, mit dem ich nicht klarkomme.

Der Erste Einsatz dieses Tages lässt auf Phil und mich nicht lange warten, ein VU, Franco und Jacky begleiten uns mit dem RTW auf die Autobahn. Praktischerweise ist die Polizei schon vor Ort und hat die Unfallstelle abgesichert. „Du siehst heute wirklich fertig aus, alles gut bei dir?", will ich von Phil wissen, während ich das NEF sicher durch die eher schlechte als rechte Rettungsgasse steuere. „An sich ja, die Nacht war nur weniger berauschend. Meine Nachbarn dachten sich, mitten in der Woche eine Party feiern zu müssen." „Wenn es nur das ist", erwidere ich leicht amüsiert und bremse am Unfallort ab.

Schnell machen Phil und ich uns auf den Weg und sichten erst einmal die Lage, ehe wir uns unseren ersten Patienten nehmen und behandeln. Der Unfall hat ein ganz schön großes Ausmaß, aber glücklicherweise keine wirklich Schwerverletzten. Als wir den letzten Patienten in einen RTW verfrachtet haben, gehen wir beide noch zu einem Polizisten, um den restlichen Ablauf zu besprechen und gegebenenfalls noch weitere Informationen zu bekommen. Ich bin gerade in das Protokoll vertieft, als plötzlich lauter Schreie von unseren Kollegen auftauchen, der Polizist, mit dem Phil und ich reden, wird weggezogen. Mein Blick schnellt nach oben, direkt in das Gesicht eines Geisterfahrers. Auch Phil hat sich umgedreht, rührt sich aber keinen Millimeter. Im letzten Moment schnappe ich mir seinen Arm und springe zur Seite, ihn reiße ich mit. Doch leider knallt Phil mit voller Wucht gegen mich, ich verliere das Gleichgewicht, falle zur Seite und rolle den matschigen Abhang an der Autobahn hinunter. Und Phil reiße ich mit.

Während des Rollens macht meine Stirn noch Bekanntschaft mit einer netten Wurzel und sie verstehen sich auf Anhieb gut. Das tat scheiße weh. Unten angekommen bleiben wir endlich liegen. Nach kurzer Schockstarre merke ich peinlich berührt, dass ich genau in Phils Armen liege. „Alles okay bei dir?", fragt Phil sofort besorgt, regt sich ein wenig unter mir, steht auf und zieht mich mit auf die Beine. „Mhm. Tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich den Abhang mit hinunter gerissen habe." „Dir tut es leid? Du hast mir mein verdammtes Leben gerettet. Aber deine Stirn sieht nicht gut aus." Ich spüre die warme Flüssigkeit schon mein Gesicht überqueren und will automatisch meine Wunde anfassen, doch Phil reagiert schneller, hält mein Handgelenk fest umschlossen und zieht es runter. „Nicht anfassen, du machst da nur Dreck rein", ist sein Kommentar. „Alles gut bei euch?", ruft Franco besorgt, neben ihm taucht Jacky auf. „Ja, bei mir ist alles gut, nur Sofia hat eine ganz schöne Platzwunde an der Stirn", antwortet Phil ebenfalls rufend. Plötzlich fangen Jacky und Franco an zu lachen. „Ihr habt euch wirklich hübsch gemacht", bringt er hervor. Ich gucke an Phil hinunter, er an mir. Dann werfen wir Franco und Jacky einen bösen Blick zu. „Das ist nicht witzig!", kommt es von mir. Phil und ich sind komplett mit nasser Erde bedeckt. Super, es musste ja unbedingt in dieser Nacht regnen.

„Kommt ihr da alleine wieder hoch?", Franco muss sich richtig zusammenreißen, nicht weiter zu lachen. „Wird schon. Ich laufe hinter dir, falls du abrutschen solltest", Phil schiebt mich am Rücken sanft nach vorne. Nach mehreren Schwankungen und Ausrutschern haben wir es endlich nach oben geschafft und sehen das Ausmaß. „Aber es wurde keiner verletzt, oder?", frage ich. Der Geisterfahrer ist in ein querstehendes Polizeiauto gerast. „Zum Glück nicht. Und leider auch nicht der Geisterfahrer", den zweiten Satz murmelt Franco fast unverständlich, trotzdem haben wir ihn alle gehört. „Franco!", kommt es von uns dreien. „Was denn? Der Typ hat vorher eine Bank ausgeraubt und wollte so fliehen. Schön doof für ihn, genau in ein Polizeiauto zu rasen. Tja, dumm gelaufen", verteidigt er sich. Also eigentlich hat er ja recht.

Franco fährt Phil und mich mit dem NEF in die Klinik, die anderen Patienten mussten nicht von einem Arzt begleitet werden. Die Blicke der wartenden Patienten in der Notaufnahme werde ich nie vergessen. Und der Wartebereich ist brechend voll. „Oh, was ist denn mit euch passiert?", werden wir von Gisela am Empfang begrüßt, die ebenfalls mit dem Lachen zu kämpfen hat. „Setzt euch, Paula kommt gleich und wendet sich dann an euch", sie deutet auf drei freie Plätze, wo Franco, Phil und ich uns niederlassen, bevor wir ihr überhaupt antworten konnten. Phil hatte meine Wunde vorher provisorisch verarztet. Er klagt über Schmerzen im Arm, das muss auch untersucht werden.

Nach fünf Minuten kommt Paula, die heute Dienst in der Klinik hat, in den Empfangs - und Wartebereich und lässt ihren Blick über die Patienten schweifen, bis sie bei uns hängenbleibt und sofort lacht. „Ah, da seid ihr ja", sie kommt auf uns zu. „Hör auf zu lachen, das ist nicht witzig", brummt Phil ein wenig eingeschnappt, was ihn wirklich süß wirken lässt. Ah, scheiße. Ich muss damit aufhören. Solche Gedanken habe ich in letzter Zeit ständig. „Schon gut, beruhige dich. Kommt mal mit in den Behandlungsraum, oder wollt ihr getrennt werden?" Ich gucke Phil an. „Also wir können auch im gleichen Raum behandelt werden", sagt er nach einem kurzen Blickaustausch.

Nach wenigen Untersuchungen stehen unsere Diagnosen. Phils Arm ist nur leicht geprellt, das wird aber schnell wieder und er ist auch nicht arbeitsunfähig. Ich hingegen habe eine mittlere commotio und soll zur Überwachung 24 Stunden im Krankenhaus bleiben. Respekt an mich, nach dem ersten Einsatz des Tages schon außer Gefecht zu sein. Außerdem hat Paula mir meine Platzwunde an der Stirn genäht und mir ein starkes Schmerzmittel verabreicht, da mein Kopf jeden Moment platzt. Jedenfalls fühlt es sich für mich so an. Franco ist schon lange wieder mit Jacky unterwegs, Phil hingegen hört für heute auf, da er sich trotz seiner Unversehrtheit heute noch schonen sollte. „Soll ich dir noch Kleidung für morgen bringen?", bietet er mir an, währenddessen gehen wir nach vorn in den Empfangsbereich und werden von Linda begleitet, die mich auf mein Zimmer bringen will. „Wäre lieb von dir. Eine Tasche findest du im Flur. Ach und der Schlüssel ist leider in meiner Tasche auf der Wache." „Kein Problem, dann kann ich die anderen auch auf den neuesten Stand bringen. Und für heute bringe ich dir auch noch Klamotten mit. Es sei denn, du willst diese anbehalten", er grinst mich schelmisch an, was mich ebenfalls zum Schmunzeln bringt. Aus dem Schmunzeln wird jedoch ein Lachen, da auch Phils Notarztkleidung von oben bis unten dreckig ist. „Und Phil, bitte zieh dich auch noch um. Solche dreckigen Klamotten sind in einem Krankenhaus nicht gerne gesehen. Hygiene und so", meldet sich Paula zu Wort, die sich an den Empfangstresen gestellt hat, um ein Rezept auszufüllen. „Ach Frau Doktor, zum Glück haben Sie mich daran erinnert, darauf wäre ich niemals von alleine gekommen. Arzt müsste man sein, ja, das wäre schön", zum Schluss seufzt Phil theatralisch auf, was uns alle in lautes Gelächter fallen lässt. Die Patienten im Wartebereich, es sind nicht wenige, gucken uns alle viel zu verwirrt an. Ihre Symptome sind gerade wohl vergessen. „Leute, ich sollte mich langsam mal hinlege, irgendwie wird mir ein wenig schwindelig", unterbreche ich das ausklingende Lachen. „Wenn es schlimmer wird, dann sag Bescheid. Ich gucke nochmal nach dir, bevor ich nach Hause gehe", dann verschwindet Paula auch schon nach hinten.

Kurz nachdem ich im Zimmer angekommen bin, schlafe ich ein. Nicht mal von Phil werde ich wach, der mir noch meine Sachen vorbeibringt. Ja, ich schlafe tatsächlich den ganzen Tag. Erst am Abend werde ich wieder wach, esse mein Abendbrot, werde nochmal auf meine Pupillenreaktion getestet und schlafe dann auch zügig wieder ein.

Am nächsten Morgen werde ich von einer Schwester geweckt, die mir mein Frühstück bringt. Nach der Visite bekomme ich die Nachricht, dass ich um 12 Uhr gehen darf. Diese Zeit schlage ich mir noch an meinem Handy tot und schreibe ein wenig mit einer Freundin, bis ich schließlich nach Hause gehe. Unter dem Arm meine dreckige Dienstuniform, da ich damit meine Tasche nicht versauen will. Kann es sein, dass solche Uniformen die Blicke der Mitmenschen praktisch anziehen und festhalten, bis man aus dem Sichtfeld ist? Am Eingang treffe ich tatsächlich auch Franco und Jacky, die gerade ihren RTW nach einem Einsatz reinigen und mir netterweise anbieten, mich schnell zu Hause abzuliefern.




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