Verlangen

Kapitel 1

"Sag mal, du stehst auf Charlotta, oder?"
Fred schaute seinen Kommilitonen erwartungsvoll an.
"Unsinn. Wie kommst du denn darauf?"

"Du starrst sie die ganze Zeit schon an. Echt creepy. Pass bloß auf, dass sie dich nicht dabei erwischt. Mädchen stehen nicht auf Stalker, weißt du?"
Fred lachte laut auf. Es machte ihm unheimlichen Spaß, Oskar zu ärgern und er ließ keine Gelegenheit dazu aus.

"Verdammt, ich hab sie nicht angestarrt", beteuerte Oskar, doch seine Wangen färbten sich rot, was nicht gerade zur Glaubwürdigkeit seiner Aussage beitrug.
"Gib's auf, ich hab dich ertappt."
Oskar warf Fred einen bösen Blick zu.
"Schon gut. Stalk sie das nächste mal halt etwas unauffälliger."
"Ich hab sie nicht gestalkt", erklärte Oskar etwas zu laut.

Die drei Mädchen in der Sitzreihe vor ihnen tauschten irritierte Blicke aus.
"Oh Mann, hast du das gesehen? Die halten mich jetzt bestimmt für einen Freak."
"Du bist ja auch Einer."
Oskar verzog beleidigt das Gesicht.
"Sei doch froh, dass Charlotta nichts davon mitbekommen hat."

Charlottas Platz befand sich so ziemlich am anderen Ende des Hörsaals.
Durch das konstante Murmeln der Kommilitonen war es tatsächlich unmöglich, dass sie Oskars kleinen Ausbruch mitbekommen hatte.
Sie schien ganz vertieft in den Vortrag des Professors zu sein.

Er hielt gerade einen ellenlangen Monolog über die Gravitation von Schwarzen Löchern.
Ununterbrochen tippte Charlotta Notizen in ihren Tablet PC ein und sah dabei richtig motiviert aus.

"Wow, sie ist ein echter Astro-Nerd", bemerkte Fred.
"Hast du ein Problem damit?"
"Nein, überhaupt nicht. Frauen, die für ihre Leidenschaft brennen finde ich klasse."
Dieses Mal erntete Fred den giftigen Blick eines der Mädchen aus der vorderen Reihe.
"Bin ich froh, dass du schon vergeben bist. Wie es aussieht, passt Charlotta ja ziemlich gut in dein Beuteschema."
"Du gibst also zu, dass du auf sie stehst?"

Oskar verdrehte genervt die Augen.
"Sie ist toll. Ich mag sie, okay?"
Er hoffte, dass Fred sich mit dieser Antwort zufrieden gab und das Thema endlich ruhen lassen würde.
"Na klar magst du sie. Das sieht selbst ein Blinder aus zehn Kilometern Entfernung. Also, wie lautet dein Plan?"
"Plan? Wofür brauche ich denn einen Plan?"

Oskar sah leicht verwirrt aus. Beinahe so, als hätte er wirklich keine Ahnung, worauf Fred hinaus wollte.

"Um sie zu erobern. Du brauchst einen Plan, der eine todsichere Strategie enthält."
"So ein Quatsch. Liebe lässt sich nicht berechnen. Entweder der Funke springt über, oder eben nicht."
"Trotzdem. Du kannst einiges dafür tun, um eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit zu erzielen. Wenn du sie bloß aus der Ferne beobachtest und nicht die Initiative ergreifst, stehen die Chancen eher schlecht."
"Und was soll ich deiner Meinung nach tun, hm?"

"Du führst sie zu einem Date aus."
"Was? Du spinnst ja total! ich hatte noch nie ein richtiges Date. Ich wüsste gar nicht, wie ich mich anziehen sollte, geschweige denn, worüber ich mit ihr reden sollte! Und gute Restaurants kenne ich auch nicht."
Die unsicherheit stand Oskar ins Gesicht geschrieben.

"Du hattest noch nie ein Date? Bei deinem Aussehen kein Wunder", scherzte Fred, doch Oskar lachte nicht.
"Spar dir deine blöden Bemerkungen."

"Schon gut. Was hältst du von einem Doppeldate? Gwendolyn und ich könnten dich begleiten und für Gesprächsstoff sorgen, falls dir mal die Worte fehlen sollten. So wird es garantiert nicht zu einem unangehmen Schweigen kommen."

Oskar wirkte immer noch nicht komplett überzeugt.
"Und was, wenn sie sich dann mehr für dich interessiert, als für mich?"
"Wieso sollte sie sich für mich interessieren?"
"Tu doch nicht so unwissend. Du siehst locker zehn mal besser als als ich."

"Du verstehst wirklich nichts von Frauen, oder? Denen ist das Aussehen vollkommen egal, solange man kein müffelnder Höhlenmensch ist. Worauf es wirklich ankommt, sind die persönlichen Interessen. Bestenfalls überschneiden sich deine mit denen der begehrten Frau. Gemeinsame Interessen halten Beziehungen am Laufen. Ich sehe vielleicht besser aus, aber du kannst mit deinem astronomischen Fachwissen glänzen. Und überhaupt, wenn du so unzufrieden mit deinem Aussehen bist, dann ändere es doch einfach."

"Ich glaube du hast Recht. Ich werde es einfach versuchen. Was habe ich schon zu verlieren?"