Verlangen

Kapitel 49

Vor wenigen Minuten hatte Gwendolyn endlich ihr volles Bewusstsein zurück erlangt.
Das Erste, was sie wahrnahm, war der schreckliche Gestank, der sich in ihrer Nase ausbreitete.
Es war irgendeine Mischung aus Fäkalien, Schweiß und Geschlechtsverkehr.
Der Geruch war so intensiv, dass es ihr kaum möglich war, zu atmen.

Sie sah sich in dem Raum um und stellte fest, dass sie nicht allein war. Eine junge Frau, etwa Ende zwanzig, war gerade dabei, sich die Pulsadern mit einer Glasscherbe aufzuschlitzen.

„Halt, hör sofort auf damit!", schrie Gwendolyn, die direkt alarmiert war.
Als die Frau beim ersten Mal nicht auf sie hörte, riss Gwendolyn ihr die Scherbe einfach aus der Hand, was ihr erstaunlich leicht fiel.
Dabei zog sie sich selbst eine kleine Verletzung am Daumen zu.
Entgegen ihrer Erwartung protestierte die Frau nicht. Im Gegenteil, sie wirkte sogar dankbar.

„Bist du gekommen, um mich hier raus zu holen?"
„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung was ich hier mache, aber ich bin mir sicher, dass uns bald jemand retten wird."
Gwendolyn sprach in einem ernsten Tonfall. Sie war sich tatsächlich sicher, dass Fred demnächst hier auftauchen würde.  

Nun ergab alles einen Sinn.
Er hatte die letzten Tage so verrückt gespielt, weil er wusste, dass es irgendjemand auf sie abgesehen hatte.
Aber wieso hatte er ihr nicht einfach gesagt, was Sache war?

„An deiner Stelle wäre ich nicht so optimistisch", krächzte die Frau.
„Wieso nicht? Da draußen gibt es schließlich Menschen, die nach uns suchen. Irgendwann werden sie uns finden."
„Pah!"
Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich bin schon seit Ewigkeiten in diesem Loch und bisher ist noch niemand aufgetaucht, um mich zu retten."

„Wie lange bist du denn schon hier unten?"
„So genau kann ich das nicht sagen, ich habe irgendwann aufgehört, die Tage zu zählen. Glaub mir, wenn du erstmal so lange hier bist, wirst du auch das Verlangen haben zu sterben. Alles ist angenehmer, als ein Leben wie dieses weiterzuführen."