Kapitel 6

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Charlotta sah an diesem Abend sogar noch hübscher aus als sonst. Ihre langen Haare, sie sonst meistens zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, hingen nun elegant und glatt herunter.
Um den Hals trug sie einen Choker mit Alien-Anhänger.
Ihre Kleidung war die gleiche, die sie heute morgen in der Uni getragen hatte.

Oskar war wirklich froh, dass er nicht mit Hemd und Krawatte hier aufgekreuzt war.

Charlotta grinste breit und bewegte sich zielstrebig auf den Tisch zu, an dem Oskar und seine Gefolgschaft Platz genommen hatten.
Er hatte sie zuvor darüber aufgeklärt, dass noch zwei Freunde mitkommen würden.
Dabei hatte er sogar ein bisschen stolz geklungen. Beinahe als wäre er froh darüber, ihr beweisen zu können, dass er kein kompletter sozialer Versager war. 

"Hey, alle miteinander", begrüßte Charlotta die Gruppe, "wartet ihr schon lange auf mich?"
"Ach was, wir sind auch gerade erst gekommen."
"Dann ist ja gut. Du bist sicher Gwendolyn, oder?"

Charlotta setzte sich neben ihr auf den Stuhl.
Oskar saß ihr nun direkt gegenüber.

Ihre grünen Augen schienen noch mehr zu strahlen als sonst.
"Richtig geraten. Freut mich, dich kennenzulernen."
"Ebenso. Fred kenne ich ja bereits. Sag mal Oskar, woher wusstest du eigentlich, dass ich eine Vorliebe für Sushi habe?"
"Naja, ehrlich gesagt war es Freds Idee, hier essen zu gehen. Ich kenn mich in der Stadt noch nicht so gut aus, deswegen hab ich ihn gebeten, ein Restaurant auszusuchen."
"Kein Wunder, dass du dich hier nicht auskennst, wenn du nie vor die Tür gehst", witzelte Fred, woraufhin er einen Tritt gegen das Schienbein kassierte.

"Nicht schlecht, Fred. Ich wusste gar nicht, dass du so einen guten Geschmack hast."
"Also bitte. Ich bin für meinen guten Geschmack bekannt."

Gwendolyn verdrehte die Augen. Am liebsten hätte sie sich Fred geschnappt und ihm gesagt, dass er sich bei einem Date gefälligst zu benehmen hatte.
Glücklicherweise schienen sich Oskar und Charlotta nicht sonderlich an seinen Kommentaren zu stören.

Nachdem sich alle Vier eine Cola bestellt hatten, fingen sie endlich mit dem Essen an.
Neben ihnen befand sich ein Fließband, welches kleine Teller mit den unterschiedlichsten Sushi-Variationen an die Tische beförderte.

"Das ist das Paradies", sagte Gwendolyn, während sie sich einen Teller mit Maki Sushi heraus pickte.

"Du sagst es. Ich kann jetzt schon mit Sicherheit behaupten, dass dieses Restaurant mein absoluter Favorit in der Stadt ist", verkündete Charlotta.
"Du kanntest das Running Sushi noch gar nicht?"
"Sehe ich etwa aus wie jemand, der öfter mal nach einem Date gefragt wird?"
"Ehrlich gesagt, nicht wirklich", antwortete Fred, doch dieses Mal sah man ihm an, dass er es nicht ernst meinte.

Genussvoll schob er sich eine Frühlingsrolle nach der anderen in den Mund.

Oskar hatte große Mühe, mit dem Essverhalten seiner Freunde mitzuhalten.
Genau wie Fred es vorhergesagt hatte, bekam er vor Nervosität kaum einen Bissen herunter.
Sein Magen fühlte sich zum Überlaufen voll an, obwohl er den ganzen Tag nichts gegessen hatte, um sich den Hunger für den Abend aufzusparen. Im Nachhinein ärgerte er sich über diese Entscheidung.

"Sagt mal, Leute, wovor fürchtet ihr euch am meisten?", fragte Charlotta völlig unvermittelt in die Runde.

"Eine interessante Frage", kommentierte Fred und schloss dabei die Augen, als würde er sich wirklich Gedanken über eine Antwort machen.

"Also ich habe Angst vor Menschen", begann Oskar. "Das größte Horrorszenario ist meiner Meinung nach, wenn man darauf angewiesen ist, mit Fremden zu reden. Zum Beispiel wenn man sich in der Stadt verlaufen hat und nach dem Weg fragen muss."
"Das ist absolut nichts Neues, Oskar."
"Ich kann das total gut verstehen. Ich finde sowas auch immer total unangenehm", sagte Charlotta.

"Ihr würdet echt ein süßes Paar abgeben", bemerkte Gwendolyn und zwinkerte Oskar zu.
In diesem Moment färbte sich sein Gesicht gefährlich rot.
Auch Charlotta wirkte peinlich berührt.
Es war offensichtlich, dass sie Gefühle für Oskar hatte, die über eine einfache Freundschaft hinaus gingen.

Auch Fred hatte dies bereits bemerkt, entschied sich aber dazu, keinen Kommentar dazu abzugeben.
Stattdessen wollte er nun die eben gestellte Frage beantworten.
"Meine größte Angst ist es, von Kannibalen gehäutet, gekocht und anschließend auf einem Silbertablett mit Salat und Tomaten als Beilage serviert zu werden."

Gwendolyn warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Sie kannte Freds größte Angst und diese bestand definitiv nicht darin, von Kannibalen verspeist zu werden.
Er deutete mit einer Handgeste an, dass sie bloß nichts dazu sagen sollte.
Wenn Oskar und Charlotta von seiner größten Angst erfahren würden, würde er sich nie wieder normal mit ihnen unterhalten können.

"Danke für die detaillierte Beschreibung. Jetzt hast du mir den Appetit endgültig verdorben", sagte Oskar.

"Eine sehr berechtigte Angst", kommentierte Charlotta in einem leicht angewiederten Ton.
"Dann bin ich wohl jetzt dran", verkündete Gwendolyn.
Charlotta schaute sie erwartungsvoll an.

"Ich mach es kurz und schmerzlos. Ich habe unheimliche Angst vor Clowns. Diese komische Schminkee und die aufgesetzte Fröhlichkeit sind einfach nur zum Fürchten."
Gwendolyn erzählte noch weiter, doch Oskar war nicht mehr dazu in der Lage, ihr zuzuhören.

Das Wort Clown hatte ihm einen Schock durch den ganzen Körper gejagt.
Vor ein paar Tagen war er bei "Para.Secrets" auf einen Link gestoßen, der von einem User namens Clownface gepostet worden war.
Der Link hatte zu einer unprofessionellen Shopping Seite geführt.
Später am Abend, hatte er sich ins Bett gelegt und wäre beinahe eingeschlafen, hätte ihn nicht ein lauter Knall aus dem Reich der Träume gerissen.
Es hatte sich so angehört, als sei etwas Schweres aus einem seiner Schränke gefallen.
Tatsächlich lag dort etwas auf dem Boden, doch es handelte sich nicht um einen Gegenstand von Oskar.

Vorsichtig hatte er das Objekt untersucht, welches scheinbar von irgendjemandem durch sein Fenster geworfen worden war.

Es handelte sich um einen großen Stein, auf dem mit Tesafilm ein Polaroid Foto befestigt war.
Der Anblick des Fotos hatte Oskar sofort in Panik versetzt, denn die Aufnahme zeigte das bösartig grinsende Gesicht eines Clowns.

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