Kapitel 5

77 14 3
                                    

Endlich ertönte das lang ersehnte Klingeln an der Haustür.
Oskar hatte mit Fred und Gwendolyn abgesprochen, dass sie ihn bei seiner Wohnung abholten, damit er nicht in die peinliche Situation geriet, alleine mit Charlotta im Restaurant zu sitzen.
In der Mensa war das zwar nie ein Problem für ihn gewesen, aber ein Date war ja auch etwas völlig anderes.

"Da seid ihr ja endlich. Ihr müsst mir unbedingt helfen. Ich kriege die Krawatte nicht gebunden und..."
"Moment mal", unterbrach Fred seinen Redeschwall, "was zum Teufel willst du mit der Krawatte? Das ist ein Date, kein Geschäftsessen!"

Gwendolyn musste sich zusammenreißen, nicht laut los zu lachen.
"Ich hab's dir doch gesagt. Ohne uns ist er aufgeschmissen", flüsterte Fred ihr zu.
"Du hast nicht zu viel versprochen."
"Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann?"

"Oskar, bei einem Date geht es nicht darum, so spießig wie möglich auszusehen. Es geht darum, man selbst zu sein. Zieh am besten dein Lieblingsshirt an, damit machst du nichts falsch."
"Alles klar, Meister", erwiederte Oskar mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme.
Er verschwand kurz in seinem Schlafzimmer, um sich umzuziehen.

"Sag mal, für wie wahrscheinlich hältst du es, dass die Beiden tatsächlich ein Paar werden?", fragte Gwendolyn mit ernster Miene.
"Für ziemlich wahrscheinlich. Wenn ich eine genaue Zahl nennen müsste, fünfundachzig Prozent."
"Wow, du bist aber zuversichtlich. Wie kommt das?"
"Sie sind beide totale Nerds und vermutlich auch beide noch Jungfrau. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder?"

Nach ein paar Minuten kam Oskar wieder zurück.
Er hatte das weiße, glattgebügelte Hemd gegen ein T-Shirt ausgetauscht, auf dem sich eine comichafte Darstellung des Zwergplaneten Pluto befand. Darüber prangte die Aufschrift "Size doesn't matter".

"Was für ein niedliches T-Shirt", schwärmte Gwendolyn, die ebenfalls ein Faible für japanische Comics hatte.
"Danke. Ich finde, Pluto hat seinen Planetenstatus zu unrecht entzogen bekommen."
"Spar dir die Unterhaltung lieber für Charlotta auf. Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen, wenn wir noch vor ihr da sein wollen", drängele Fred.

Die Gruppe entschied sich dafür, mit der Straßenbahn zum Running Sushi zu fahren.
Wie immer war diese zum Zerbersten voll. An einen Sitzplatz zu gelangen war nahezu unmöglich.
Glücklicherweise befand sich das Restaurant nur drei Stationen weiter.

Als die Türen der Bahn sich endlich öffneten, schnappte Gwendolyn erleichtert nach Luft.
"Oh Mann, die Luft da drin war ja dermaßen stickig. Ich weiß schon, wieso ich öffentliche Verkehrsmittel nicht ausstehen kann."
"Es ging nun mal nicht anders. Zu Fuß hätten wir es niemals rechtzeitig geschafft."

Oskar warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die Stunden und Minuten als Binärcode anzeigte.
Er hatte sie heute aus gegebenem Anlass angezogen.
Als er sich das erste Mal mit Charlotta unterhalten hatte, war sie sehr angetan von dieser Uhr gewesen.

"Noch zehn Minuten, bis sie hier ankommt", stellte er fest.
"Lasst uns lieber schon mal rein gehen und einen freien Tisch suchen. Wäre ja ziemlich peinlich, wenn wir dann zu viert hier stehen und darauf warten, dass etwas frei wird", meinte Gwendolyn.
"Das Problem hätten wir nicht, wenn Oskar einfach vorher einen Tisch reserviert hätte, aber er hat sich natürlich nicht getraut, im Restaurant anzurufen", warf Fred ein.
"Ich verstehe die Leute am Telefon aber immer so schlecht. Außerdem ist das hier auch dein Date, also hättest du auch anrufen können, Fred!", argumentierte Oskar leicht gereizt.
Dazu fiel Fred kein Konter ein. Beleidigt senkte er den Blick.

"Seht mal, da vorne ist ein Tisch frei!"  Gwendolyn deutete auf einen Platz, der sich relativ nah am Eingang befand.
"Hier sieht Charlotta uns sofort, wenn sie rein kommt."
Fred setzte sich Gwendolyn gegenüber, Oskar nahm neben ihm Platz.

"Sagt mal, wie begrüße ich sie am besten? Soll ich sie umarmen oder lieber nur die Hand geben?"
"Weder noch. Beim ersten Date solltest du möglichst distanziert sein, sonst empfindet sie dich womöglich noch als aufdringlich."
"Hör nicht auf Fred, der will dich nur verrückt machen. Wie begrüßt du sie denn normalerweise, wenn du sie siehst?"
"Hm, eigentlich immer mit einem einfachen Hi und dann fängt sie meistens direkt an, über irgendein Thema zu reden."

Oskar merkte, wie es in seinem Bauch angenehm zu kribbeln begann.

"Dann wird es heute genauso ablaufen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", versicherte Gwendolyn.
"Du hast Recht. Ich mache mir viel zu viele Gedanken."

Kurz nachdem Oskar diesen Satz ausgesprochen hatte, öffnete sich die Eingangstür des Restaurants.

VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt