Kapitel 43

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August 1998


Wehmütig schaute Susan aus dem Fenster. Wie beinahe jeden Tag spielten Amalia und Fred miteinander Fußball, auch wenn sie die Regeln kein bisschen ernst nahmen.
Es war schön zu sehen, dass die Kinder sich so gut verstanden. Streit gab es zwischen den Beiden nur selten und sollte es doch mal dazu kommen, dauerte es keine zwei Minuten, bis sie sich wieder versöhnt hatten.

Sie waren tolle Kinder.
Der Entschluss war Susan sehr schwer gefallen, allerdings hatte sie selbst erkannt, wie aussichtslos die Lage war.
Jede Sekunde konnte es soweit sein.
Jeden Moment würde Marco hier aufkreuzen und Amalia mitnehmen.
Diese Vorstellung war einfach grauenvoll.

Sie hatte schon häufig in Erwägung gezogen, einfach mit den Kindern abzuhauen und irgendwo ein neues Leben zu beginnen, aber das würde Marco sicher nicht einfach so hinnehmen.
Er würde stinksauer sein. Wer weiß, was er dann getan hätte? Der Kerl war völlig unberechenbar.

Wie auf's Stichwort klingelte es auf einmal an der Tür.
Ein letztes Mal blickte Susan in das fröhliche Gesicht ihrer Tochter.
Ob sie wohl jemals wieder so lachen würde?
Wie würde sie das Ganze verkraften?
Susan hatte große Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten.
Es folgte ein zweites ungeduldiges Klingeln.

„Ich komm ja schon", murmelte Susan, obwohl sie wusste, dass Marco sie sowieso nicht hören konnte.
Resigniert öffnete sie die Tür.
„Na, hast du schon sehnsüchtig auf mich gewartet?"
Sie gab bloß einen stöhnenden Laut von sich. Sie hatte keine Lust mit ihm zu reden.
„Keine Sorge. Ich gebe dir das Geld, wenn ich deine Tochter zurückbringe. Das wird nicht länger als drei Stunden dauern."
Susans Blick wanderte in Richtung Boden.
„Sag mal... Was werden die mit Amalia machen?"

Marco kratzte sich am Kopf.
„Das kann ich dir nicht genau sagen. Jeder Kunde hat andere Vorlieben, verstehst du?"
Susan spürte, wie sich ihr Mittagessen langsam einen Weg nach oben bahnte.
Warum gab es solche widerlichen Menschen überhaupt? Hätte sie sich bloß niemals auf Marco eingelassen.

„Wo ist die Kleine? Ich hab nicht ewig Zeit."
„Sie spielt im Garten. Ich geh sie holen."

Sie trat auf die Terrasse und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
Amalia war gerade dabei, Fred zu trösten, der während des Fußballspielens hingefallen war. Dieser Anblick brach Susan fast das Herz.

„Amalia, kommst du mal her?"
„Ja, Mami!" Eilig rannte sie ihrer Mutter entgegen.
„Ich glaube Fred braucht ein Pflaster, er blutet ein bisschen."
„Ich sehe mir das gleich mal an."
Susan wandte den Blick von ihrer Tochter ab. Sie sollte auf keinen Fall mitbekommen, dass etwas nicht stimmte.

Marco gesellte sich ungefragt dazu.
„Guten Tag, Amalia", sagte er und streckte seine Hand nach ihr aus.
„Mama, wer ist das?"
Amalia versteckte sich ängstlich hinter ihrer Mutter.
„Das ist Marco. Du wirst gleich für ein paar Stunden mit ihm mitgehen."
„Aber du hast doch gesagt, dass man nicht mit Fremden gehen soll."
„Ich bin ein Freund deiner Mutter", mischte sich Marco ein.
„Wieso hab ich dich dann noch nie gesehen?"
Er ignorierte die Frage.

„Hör zu, deine Mutter hat mich darum gebeten, heute Nachmittag auf dich aufzupassen. Sie hat noch einiges zu erledigen und du würdest sie dabei nur stören."
Amalia verschränkte die Arme.
„Und was ist mit Fred? Wieso darf er dann hier bleiben, Mama?"
Susan konnte diese Szene nicht länger mit ansehen.
„Tut mir Leid..."
Mit beiden Händen vor dem Gesicht rannte sie ins Haus. Amalia sah ihr verwirrt nach.

„Komm jetzt, wir haben nicht mehr viel Zeit."
„Aber..."
„Los!"

Als sie sich weigerte, Marco zu folgen, machte er kurzen Prozess und trug sie einfach davon. 

Aus dem Küchenfenster konnte Susan sehen, wie dieser ekelhafte Kerl ihre Tochter auf den Rücksitz seiner dämlichen Luxus Karre verfrachtete.

Sie konnte es nicht länger halten.
Die halb verdauten Speisereste fanden sich nun auf den frisch geputzten Fliesen wieder.

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